Der irrende Richter. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502914
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geschaffen, den Schall viel zu dämpfen, und so war es Käthe möglich, alles mit anzuhören, was sie um so lieber tat, als sie sich einbildete, als Frau ein gewisses Recht dazu zu haben, besonders da der Besuch sich beinahe wie eine gute Bekannte einführte und so aufdringlich liebenswürdig tat.

      Einmal schlug Käthe das Gewissen, denn sie dachte an das Sprichwort: „Der Horcher an der Wand, hört seine eigne Schand!“ Denn es dünkte ihr beinahe wie eine Art Schande, dass Frau Birkenheimer sie für ein „Fräulein“ hielt, weil ihr dabei nur zu sehr zum Bewusstsein kam, wie sie als Sonters Frau gleichsam von ihm versteckt wurde, damit sein guter Ruf nur nicht unter dieser Ehe zu leiden habe.

      Sie huschte von ihrem Lauscherposten hinweg und machte den Versuch, die Blumen weiter zu begiessen, aber das Giesskännchen zitterte in ihrer Hand. Es ging etwas in ihr vor, was sie bisher nicht empfunden hatte. Und diese sonderbare Empfindung verstärkte sich noch, als sie, unwiderstehlich zum Weiterhorchen angetrieben, nun noch hörte, dass ihr Mann das „Junggeselle“ ruhig einsteckte, ohne den Mut zu einer Richtigstellung zu finden.

      Ihr Herz schlug heftig, und wenn sie nun Empörung empfand, so kam es daher, dass Sonter sie im Hause so offen zu einer Dame verleugnete, die aus jener Welt kam, in die sie niemals hineinkommen durfte, weil ihr Herr und Gebieter es so verlangte. Bisher hatte sie noch keine eifersüchtigen Regungen empfunden, was daher kam, weil ihr niemals Gelegenheit dazu geboten worden war. Nun aber passierte etwas anderes: Da war ein elegantes Weib erschienen, nannte sich Schwester der Frau Goland, erweckte in Sonter alte Erinnerungen an diese und lockte ihn schliesslich in ihre Wohnung.

      Ei, dachte Käthe, da nimmt man dir ja eine schöne Binde von den Augen. Sie glaubte nun die Erklärung dafür zu haben, weshalb ihr Ehemann diese in Scheidung liegende Ehefrau verteidigt und sie so sehr als Dame herausgestrichen hatte, um den Unterschied zwischen ihr und seiner Frau festzustellen. Und das hatte sie am meisten gekränkt.

      Was redet denn diese Person eigentlich noch so viel, er will doch fortgehen, dachte sie dann ganz aufgebracht, weil sie ihre Ohnmacht gegen diesen Zustand fühlte. Am liebsten hätte sie geklopft und hineingerufen: Herr Rat, Sie wollten doch Ihren Spaziergang machen!

      Dann, als sie vernahm, dass Frau Birkenheimer nun endlich gehen wollte, ergriff sie hastig den leeren Wassereimer und huschte durch das Speisezimmer, hinaus über den Korridor.

      Als sie dann mit einem vollen Eimer zurückkehrte, war Sonter gerade in sein Arbeitszimmer getreten.

      Eine frische Zigarre zwischen den Lippen, trat er sacht auf den Balkon, wo sich Käthe gerade die Augen aussah, um noch etwas von der eleganten Dame zu erhaschen.

      „Käthe, denken Sie nur, was alles vorkommt“, begann er, nun erfreut, eine geduldige Zuhörerin beim Ausschütten seiner kleinen Schmerzen zu haben.

      Diesmal drohte nebenan nicht die fette Nachbarin, und so brauchte er wenigstens nicht auf seine Worte Rücksicht zu nehmen.

      „Herr Rat sind ja so lange aufgehalten worden“, sagte sie mit dem Ausdrucke der Besorgnis, obwohl ihre Brust stürmisch ging. Ohne ihn anzusehen, begoss sie nun auf dieser Seite die Blumen, vorsichtig Topf für Topf.

      „Es ging nicht anders. Denken Sie nur, kommt da eine Dame und will Auskunft von mir haben über einen schwebenden Prozess.“

      „Ach was! Hätte ich das gewusst, so hätte ich sie gleich abgefertigt. Die Tür vor der Nase hätt’ ich ihr zugeschlagen.“

      „Sie sind ja heute sehr zärtlich in Ihren Bemerkungen. Die Dame verlangte doch mich zu sprechen!“

      „Das weiss ich, Herr Rat. Aber das muss mir doch der gesunde Menschenverstand sagen, dass sich ein Richter nicht über seine Akten aushorchen lässt, so viel habe ich doch auch schon vom Herrn Rat gelernt.“

      „Diese Ansicht ehrt Sie, Käthe. Sie haben aber noch viel Schlimmeres begangen, Sie haben sogar hinter meinem Rücken die Akten studiert und alle meine Anmerkungen gelesen. Bedenken Sie nur.“

      „Dafür bin ich auch Ihr — Fräulein, Herr Rat.“

      Ein Lachen folgte, wie er es in dieser Art von ihr noch nicht gehört hatte. Was hat sie denn eigentlich, dachte er und setzte sich auf den Korbstuhl, der zur Hälfte schon im Zimmer stand, mit der Lehne diesem zugekehrt. Er zog den kleinen Balkontisch zu sich heran, legte die Arme auf den Tisch und verfolgte auf diese Art mit seinem ruhigen Blicke die Bewegungen der Fleissigen, die noch immer kein Auge für ihn hatte.

      „Haben Sie sich über etwas geärgert, Käthe?“

      „Geärgert? Ich? Herr Rat wissen doch, dass ich mich in alles schicke. Ich bin ja schon zufrieden, wenn man mich in Ruhe lässt ... Werden Herr Rat heute länger fortbleiben? Ich möchte gern einmal das Fenster im Arbeitszimmer putzen.“

      „Das könnten Sie doch auch Frau Klenke machen lassen, Käthe. Sie wissen doch, dass ich das nicht gerne von Ihnen sehe.“

      Wieder kam das halbverschluckte, helle Lachen, das ihm so fremd war.

      „Die macht das nicht sauber genug, Herr Rat. Ausserdem ist das ja immer so gewesen. Ich bin an Arbeiten gewöhnt, und aus der Nachbarschaft mache ich mir gar nichts.“

      „Käthe, Ihnen ist heute etwas in den Kopf geschossen. Seien Sie doch gemütlich, ich bin es ja auch.“

      Wenn Landgerichtsrat Sonter mit seinen Akten durch war, dann legte er auch den Beamten allmählich ab, besonders wenn er schon einen „anderen Menschen“ angezogen hatte.

      Käthe setzte die Giesskanne plötzlich hin, kehrte sich ihm nun zu und nestelte mit beiden Händen an ihrem üppigen Haar hinten, so dass ihre ganze Büste sich straffte. „Mir ist gar nichts, Herr Rat, wirklich nicht. Es ist nur heute so schrecklich warm ... Sie werden nun doch wohl ausser dem Hause essen?“

      „Ich muss dir wohl schon den Gefallen tun, Käthe“, sagte er freundlich, indem sein Blick wieder ihre kräftige Gestalt umfasste, was ihn, da er kein Heuchler war, mit Wohlgefallen erfüllte. Manchmal glaubte er besondere Reize an ihr zu entdecken, und dann bedauerte er in Gedanken, dass in diesem Kopfe nicht ein anderes Hirn mit einem anderen Denkvermögen steckte.

      „Herr Rat dürfen aber nicht vergessen, dass morgen früh die Akten abgeholt werden. Herr Rat scheinen mir heute nämlich ganz besonders gut aufgelegt zu sein, und dann könnte es vielleicht etwas spät werden.“

      „Nicht daran zu denken.“

      „Dann müssen der Herr Rat aber bald gehen. Die Dame hat Sie sehr lange aufgehalten.“

      Damit ergriff sie einfach die Giesskanne und ging an ihm vorüber ins Zimmer, wobei sie sich seitwärts vorbeidrängte, um nicht mit ihm in Berührung zu kommen.

      Sonter erhob sich, ging ihr nach und zwang sie dadurch zum Bleiben. „Eigentlich bist du doch ein ganz hübsches Mädel, Käthe“, sagte er, ganz unter dem Eindruck ihres Anblicks stehend.

      Käthe wurde rot. „Das wissen Herr Rat jetzt erst?“ erwiderte sie dreist. „Andere haben mir das schon früher gesagt.“

      Sonter lachte friedlich. „Du hast neben mir auch noch andere? Das ist ja ganz etwas Neues.“

      Käthe spielte die Ernste. „Weiss ich denn, ob der Herr Rat nicht auch andere haben?“

      „Dann wäre ja die Ehescheidung fertig“, platzte es Sonter heraus, beinahe mit demselben Ernst, den sie zeigte.

      Käthe, die mit dem Rücken gegen das Büfett gelehnt dastand und mit dem Giesskännchen leise gegen ihr Kleid wippte, behandelte die Sache durchaus lustig. „Da könnten ja der Herr Rat mich bald wieder los werden.“

      „Oder du mich, Käthe“, ging Sonter darauf ein und schritt vor dem Esstisch auf und ab durch die ganze Länge des Zimmers. Diese Unterhaltung interessierte ihn nun, denn es war da ohne sein Wollen ein Gespräch angeknüpft, über dessen Möglichkeit er seit längerer Zeit schon nachgedacht hatte.

      Käthes Lächeln erstarb.

      „Was mich betrifft, so ist das natürlich alles nur Scherz“, sagte