Der irrende Richter. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502914
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der ihn auf den Isolierschemel hinwies, — im Gegenteil trat durchaus keine Veränderung in seinem Verkehr ein, denn wenn die üblichen Einladungskarten ins Haus kamen, so lauteten sie nach wie vor nur auf Herrn Landgerichtsrat Sonter allein, ganz ohne den Zusatz „und Frau Gemahlin“.

      Zuerst hatte Sonter seine Verwunderung darüber nicht unterdrücken können und dahinter so etwas wie zarte Rücksichtnahme auf seine menschliche Verirrung erblickt, die man dem ausgezeichneten Richter nicht übelnehmen wolle; allmählich aber kam er zu der Einsicht, dass man, weil er niemand von seiner „Vermählung“ Kenntnis gegeben hatte, auch keine Notiz von der Existenz seiner „Gemahlin“ zu nehmen brauche, falls man überhaupt von seiner Ehe etwas wisse.

      Als Landgerichtsrat Sonter zu dieser Überzeugung gekommen war, schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und nannte sich einen Narren, lobte aber zugleich die wundersamen gesellschaftlichen und sozialen Einrichtungen einer Grossstadt, die es ermöglichten, dass sich kein Mensch um das Privatleben des anderen bekümmerte, sobald es nicht an die grosse Glocke gehangen wurde.

      So gab er sich selbst den schönen Titel „verheirateter Junggeselle“, während die, die es am meisten hätte angehen sollen, ihn nach wie vor für total ledig hielten.

      Und das war nicht zuletzt der Bescheidenheit und Verschwiegenheit seiner „Geheimfrau“ zu verdanken, wofür er ihr im stillen auch nicht die Anerkennung versagte, weil gerade dadurch das Zusammenleben einigermassen erträglich wurde.

      III.

      Am anderen Tage, nachmittags zwischen fünf und sechs Uhr, als Sonter gerade ein neues Aktenbündel vorgenommen hatte, liess sich eine Dame bei ihm melden, was etwas ganz Ungewohntes war. Käthe überbrachte die Visitenkarte, so in einer Art, als wüsste sie selbst nicht, was sie dazu sagen solle. Natürlich hatte sie rasch die Aufschrift gelesen, nachdem die Besucherin von ihr in den Salon geführt war.

      „Frau Doktor Julia Birkenheimer? Kenne ich nicht“, sagte Sonter etwas kurz, ohne sich vom Sitz zu rühren. Er war ärgerlich über diese Störung, denn er hatte bereits Toilette zum Ausgehen gemacht, um einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, denn seit neun Uhr morgens hatte er sich fast ununterbrochen mit den Auslassungen des streitsüchtigen Publikums beschäftigt.

      „Eine sehr elegante Dame“, warf Käthe ein.

      „Was wünscht sie denn?“

      Käthe zuckte mit den Achseln. „Danach habe ich natürlich nicht gefragt, — das steht mir ja auch nicht zu. Wenn aber der Herr Landgerichtsrat wollen ...“

      „Der Herr Landgerichtsrat wollen weiter nichts als ungestört sein“, äffte er sie an.

      „Gut, dann werde ich es ihr sagen.“

      „Käthe, du bist wohl verrückt?“

      „Ja, das war ich mal“, sagte sie, nun auch ziemlich erregt, weil sie nicht wusste, wie sie sich in dieser Angelegenheit verhalten sollte.

      Indem sie schon gehen wollte, erhob sich Sonter, um sich selbst zu der Dame zu bemühen, weil er sein Verhalten nun für unschicklich hielt. Ohne auf seine Frau noch Rücksicht zu nehmen, ging er, die Visitenkarte in der Hand, geradenwegs in den Salon. Käthe aber blieb mitten im Speisezimmer stehen und sah ihm nach, so im Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Schon seit gestern morgen empfand sie instinktiv, dass in ihm etwas Besonderes vorgehen müsse, was mit den Akten Goland kontra Goland zusammenhänge, denn gar zu sehr hatte er sich für diese Frau ins Zeug gelegt.

      Draussen auf der Strasse lag die noch brennende Junisonne, und so ging Käthe auf den Balkon, um den durstigen Blumen etwas von dem Wasser zu geben, das die sorgsame Frau Klenke schon vorher hinausgestellt hatte. Käthe nahm das kleine, grün lackierte Giesskännchen, schöpfte damit aus dem Eimer und begann still die Blumen zu begiessen, wobei sie auf der Seite anfing, die dem Salon, dessen Fenster weit geöffnet waren, am nächsten lag.

      Kaum war Sonter im Salon und hatte seine höfliche Verbeugung gemacht, als Frau Doktor Julia Birkenheimer, von dem grünseidenen Sessel aufhüpfend, ihm auch schon wie eine gute Bekannte entgegenrauschte und ihn, ohne seine Anrede erst abzuwarten, mit einem Schwall liebenswürdiger Worte zu benebeln begann, aus denen ihm vor allem die Entschuldigung im Ohre haften blieb, dass sie es wage, einen „vielbeschäftigten, in seinem Berufe so andauernd tätigen und“, wie man ihr gesagt habe, „schwer zugänglichen Herrn“, zu stören, — natürlich nur auf ein paar Minuten! Aber wenn der Herr Landgerichtsrat den Grund dazu erfahren haben werde, werde er diese unliebsame Störung gewiss verzeihlich finden. Ihr Mann habe ihr zwar gleich davon abgeraten, denn Richter seien keine juristischen Auskunftsbureaus, und besonders seien preussische Richter unnahbar in dieser Beziehung, namentlich wenn es sich um delikate Amtsdinge handle, aber was tue man nicht alles einer geliebten Schwester wegen, die zwischen Hangen und Bangen schwebe und eher den Tod vorziehen würde, als die Fesseln eines unwürdigen Ehejochs noch länger zu ertragen. Und eben deshalb ... und gerade deswegen — und so weiter.

      Ein scharfer Duft von Veilchen erfüllte das Zimmer und strömte in sanften Wellen dem von vornherein stumm gemachten Sonter entgegen, der mit seinem Napoleonblick die elegante, in Seide knisternde, wenn auch nicht mehr ganz junge, so doch noch immer einladende, plappernde Modepuppe umfasste, ohne sie vorerst mit dem Herrscherauge zur Ruhe zwingen zu können.

      „Gnädige Frau haben sich wohl im Hause geirrt“, kam er endlich zu Worte. „Sicher wollten Sie Justizrat Samter nebenan in Anspruch nehmen. Eine Verwechslung der Namen liegt sehr nahe.“

      Frau Birkenheimer lachte, so dass die kleine Goldplombe an dem Seitenzahn aufblitzte.

      „Nein, nein, ich komme direkt zu Ihnen, Herr Landgerichtsrat. Ich habe wohl ganz vergessen zu sagen, dass ich die Schwester von Frau Goland bin, wie? Dann bitte ich vielmals um Entschuldigung.“

      Sie hätte das nicht erst zu bestätigen brauchen, denn die Ähnlichkeit mit ihrer Schwester war unverkennbar, wenn sie auch eine mehr lädierte Schönheit war, die unstreitig das Bestreben zeigte, sich durch kosmetische Mittel in den früheren Zustand zu versetzen. Jedoch war Sonter durch diesen Überfall so verblüfft, dass er sich durchaus ratlos vorkam. So stand er unter den Gefühlen eines Mannes, der zwischen Freude und Ärger schwankt und erst überlegen muss, was ihm vorteilhafter sein würde.

      „Ich wollte es dem Fräulein nicht gleich sagen, sonst hätten Sie mich vielleicht gar nicht vorgelassen“, fuhr Frau Birkenheimer eifrig fort. „Ich seh’s Ihnen nämlich schon an. Seien Sie mir nur nicht böse, Herr Landgerichtsrat.“

      „Durchaus nicht, gnädige Frau“, warf Sonter nun verbindlich ein, beinahe schon erfreut darüber, dass sie Käthe für sein Fräulein gehalten hatte; denn er sah gleichsam ein Hindernis fortgerückt, wonach er sich freier äussern dürfe.

      „Ich weiss ja, dass Junggesellen immer etwas ungnädig sind, wenn man sie in der Arbeit stört“, sprach Frau Birkenheimer weiter und nahm ohne Aufforderung wieder Platz, weil sie eine längere Aussprache für selbstverständlich hielt.

      Sonter wurde zwar etwas rot, erhob aber auch dagegen keinen Einspruch, weil er sich dazu nicht für verpflichtet hielt. Halb gezwungen setzte er sich ebenfalls, neugierig, was nun weiter kommen würde.

      „Jedenfalls gibt es Ausnahmen, gnädige Frau“, bemerkte er leichthin, um über diesen Punkt doch etwas zu sagen.

      „Cilly hat Sie für einen so scharmanten Herrn erklärt, dass mir der Gang dadurch bedeutend erleichtert wurde, wollen Sie glauben?“ ermunterte ihn Frau Birkenheimer, eine bessere Laune zu zeigen, denn seine Zurückhaltung konnte ihr nicht entgehen. „Wissen Sie, was sie gestern abend erst sagte? Sie sagte, dass sie bei der letzten Zeugenvernehmung ganz entzückt gewesen wäre von Ihrer Liebenswürdigkeit, mit der Sie sich ihrer angenommen haben, als Golands Anwalt allerlei unschöne Bemerkungen fallen liess. Das soll ja geradezu ein Patentekel sein. Ich bitte Sie! Es so hinzustellen, als könnte meine Schwester ihre Zofe und das übrige Dienstpersonal beeinflusst haben! Das ist doch überhaupt eine Unverschämtheit. Blaue Flecke am Arme macht man sich doch nicht zum Vergnügen. Ich habe das selbst gesehen. Mein Mann wollte nur nicht, dass ich mich da hineinmische. Drei ganz unparteiische