Der irrende Richter. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502914
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davon, das können der Herr Landgerichtsrat glauben“, sagte Käthe, nun wieder ermuntert durch seine Verzeihung. „Das ist ja ein netter Ehegemahl, dieser Herr Goland! Nimmt erst seiner Frau das Geld ab, und dann schlägt er sie obendrein noch und will sie totschiessen. Ein feiner Mann ...“

      „Nicht wahr?“ ging Sonter lebhaft darauf ein, weil dieses Urteil sich völlig mit seinem Empfinden deckte, und nicht nur mit dem richterlichen. „Unterschreibe ich vollständig, Käthe. Man braucht ja auch nicht besonders gelehrt sein, um zu einer solchen Ansicht zu kommen.“

      „Dumm genug von der Frau, dass sie sich das alles gefallen liess“, eiferte Käthe weiter. „Ich jedenfalls hätte mich gewehrt, und wenn ich das erste beste Ding genommen hätte. Die Augen hätte ich dem Kerl ausgekratzt.“

      Sonter lachte auf. „Ei, ei, was muss ich hören, ich bekomme ja ordentlich Angst vor dir. Übrigens ist Kerl der richtige Ausdruck.“

      Genugtuung sprach aus seinen Zügen, denn während des ganzen Prozesses hatte sich in ihm der Widerwille gegen Goland in dem Masse gesteigert, in dem er die bedauernswerte Klägerin zu verehren begann.

      „Herr Landgerichtsrat würden sich doch auch niemals so vergessen können. Und nun gerade vor mir Angst haben, — ach, du lieber Himmel!“ Nun lachte sie. „Erstens bin ich viel zu wenig, und zweitens krieche ich jetzt schon in ein Mauseloch, wenn ich manchmal sehe, dass Herr Sonter ärgerlich sind.“

      „Ich hielt dich immer für ungemein demütig, sozusagen für eine Dulderin“, sagte er, um bei dieser Gelegenheit ihre Natur einmal vollständig zu erschöpfen, und nun muss ich zu meiner Überraschung hören, dass du aufsässig sein könntest. Mir ganz etwas Neues.“

      „Na, das käme doch auf die Verhältnisse an. Ich meinte ja nur, wenn ich an Stelle dieser Frau Goland gewesen wäre.“

      Die etwas wegwerfende Betonung des Namens ärgerte nun Sonter, so dass er plötzlich einen anderen Ton anschlug. „Das verstehst du nun ganz und gar nicht, weil du die Auffassungen dieser Kreise nicht kennst.“

      „Entschuldigen Herr Landgerichtsrat nur, aber was sind das für Auffassungen, wenn ein Mann seine Frau mit der Reitpeitsche schlägt?“

      Sonter sah ein, dass er sich in seiner Belehrnug vergriffen hatte. „Ich meinte das ja auch nur in bezug auf die Dame, — auf die Dame, verstehst du? Eine Dame der Gesellschaft kann eben nicht zu jedem ersten besten Ding greifen, wie deine einfältige Vorstellung es dir ausmalt. Dja. Sie erträgt die Schmach einmal, vielleicht auch zweimal, vielleicht noch öfters, wenn sie Rücksicht auf ihren Ruf zu nehmen hat, oder wenn noch andere Verhältnisse vorliegen sollten, die ihre Scheu vor einem öffentlichen Skandal erklärlich machen. Ist aber schliesslich das Mass voll, dann sucht sie sich ihr Recht auf anständigem Wege und — findet es auch. Dja.“

      „Na, dann ist auch an der Dame nicht viel dran, — nehmen’s mir der Herr Landgerichtsrat nur nicht übel. Aber wenn sie sich das so gefallen lässt, dann fordert sie den Mann ja geradezu heraus, es öfters zu tun. Ich wenigstens nähme meine Beine in die Hand und liefe, so weit ich laufen könnte, um mich allein zu ernähren.“

      „Das ist deine Meinung“, sagte Sonter nun so abweisend, dass sie erschreckt zurückwich. Am liebsten hätte er sie nun nach dieser Herabsetzung Frau Golands, die er auch persönlich empfand, vom Tische gejagt, aber sofort erinnerte er sich der „Sache“, und so fühlte er sich in der Rolle des wohlmeinenden Richters, der es sich während seines ganzen langjährigen Berufes zur Aufgabe gemacht hatte, Unwissenheit und offener Ehrlichkeit das nötige Verständnis entgegenzubringen.

      „Verzeihen der Herr Landgerichtsrat mir nur, wenn ich etwas zu viel gesagt haben sollte, ich kenne die Dame ja gar nicht“, kam ihm danach Käthe eingeschüchtert entgegen. „Ich würde mir wohl sonst eine derartige Beurteilung nicht erlaubt haben. Aber der Herr Landgerichtsrat sagen ja immer selbst, dass die Richter ohne Ansehen der Person zu urteilen pflegen, — neulich erst haben der Herr Rat es wieder ausgesprochen, als die Herren hier waren. Und da habe ich mir das gemerkt. Ich merke mir eben alles, was der Herr Landgerichtsrat sagen.“

      „Im Ernste?“ lenkte Sonter nun heiter ein. „Das ist hübsch von dir. Dann merke dir also nochmals: steck’ deine Nase nicht in meine Akten, lass vor allem nicht deine Haarnadeln als Andenken zurück.“

      „Ich werde es gewiss nicht wieder tun, Herr Landgerichtsrat, und den Mund will ich mir auch nicht wieder verbrennen.“

      „Nun könntest du doch den Rotwein und zwei Gläser bringen. Ich denke, wir stossen einmal auf dein Gelöbnis an. Wenn du willst.“

      „Wenn der Herr Landgerichtsrat erlauben ...“

      Sie hatte sich erhoben und holte nun wieder vom Büfett die Flasche, aus der sie einschenkte, Sonter ein volles Glas und sich ein halbes. „Der Herr Landgerichtsrat wollten doch auch noch mit mir reden“, sprach sie dabei.

      „Ach so“, sagte Sonter, gleichsam ernüchtert. Mit dem Reiz, den sie vorübergehend auf ihn auszuüben begonnen hatte, war es sofort vorbei, denn zu sehr trug sie die Vernunft der Dienerin zur Schau, die alle Illusionen zerstörte.

      Er sah sie wie bedauernd an, erhob das volle Glas, ohne jedoch mit ihr anzustossen, nippte daran und stand dann auf, um den übrigen Wein Schluck für Schluck bei dem Studium der Akten zu nehmen. Es war wie eine Flucht vor seiner Frau, vor dieser Frau, mit der ihn eigentlich weiter nichts verband als das Zusammenleben unter einem Dache.

      „Wann wünschen der Herr Landgerichtsrat zu Mittag zu speisen?“ fragte Käthe betroffen. „Vielleicht um zwei?“

      „Es ist mir recht.“

      Danach ging er ohne weiteres in sein Arbeitszimmer, denn die Sache Goland kontra Goland verlangte es, dass er sich noch einmal in sie vertiefte. Jetzt erst recht.

      Die blonde Käthe blickte ihm ein paar Augenblicke nach, so mit dem Gefühl eines verlassenen Geschöpfes, das soeben von dem Geliebten etwas ganz anderes erwartet hatte. Sie fuhr sich mit der arbeitsharten Hand über die Augen, weil es ihr da feucht emporgedrungen war. Dann trug sie die Flasche mit dem Wein und das Glas, so wie es war, nach dem Büfett, ging wieder zu dem Tische zurück und begann ihn abzuräumen.

      Ein leiser Seufzer kam über ihre Lippen. Sie sah ein, dass ihr Reich wohl ewig die Küche sein und bleiben werde.

      II.

      Die Türe war offen geblieben, und so konnte Sonter deutlich den Seufzer seiner Frau vernehmen, dem er unwillkürlich einen von gleicher Art folgen liess, was beinahe wie eine ungewollte Antwort auf die Zweifelsfrage der enttäuschten Frau klang.

      Er setzte sich, nahm wieder das Aktenstück vom Schreibtisch und hielt es, wie es seine Gewohnheit war, fast dicht vor das Gesicht, weil die dunkle Übergardine diese Fensterecke ganz unnötig dem Lichte entrückte. In diesem dämmrigen Winkel spannen sich aber die Gedanken zu gut, und wenn er sich weit in den Sessel zurücklegte, brauchte er nicht zu befürchten, von dem Mummelgreis da drüben, der während des ganzen Tages den Rauch seiner Pfeife gegen die Scheiben blies, als Schaufensterobjekt betrachtet zu werden.

      Sonter kam aber heute nicht zur Sammlung, obwohl er sich die grösste Mühe gab, seine Anmerkungen an der richtigen Stelle anzubringen. Rein mechanisch griff er nach dem dickleibigen Band auf dem Aufsatze des Tisches, um sich in die Kommentare gewisser Paragraphen zu vertiefen, aber er las nur die Worte, ohne ihren Begriff zu erfassen. Seine Gedanken waren auf andere Dinge gerichtet. Er hörte, wie Käthe, um ihn nicht zu stören, fast geräuschlos das Geschirr zusammensetzte, und wie sie dann mit ihrem etwas schweren Schritt davonging. Das zwang ihn, das Buch fahren zu lassen und sich wieder zu erheben. Als er sie aber noch einmal hereinbitten wollte, war sie bereits verschwunden.

      Um mehr zur Ruhe zu kommen, zündete er sich eine Zigarre an und ging dann, die Hände auf dem Rücken, ein paarmal in dem einfenstrigen Zimmer auf und ab, wie er es manchmal tat, wenn ihn Zweifel über eine Rechtsfrage beschäftigten. Dann trat er wieder an seinen Schreibtisch und nahm einen mit der Morgenpost eingetroffenen Brief, den er vordem in die Schreibunterlage geschoben hatte. Im Stehen las er ihn nochmals, obwohl er seinen