Im Sternbild des Zentauren. Verena Rank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verena Rank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960894230
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mir eine Jahreskarte für den Zoo, den ich besuche, so oft es geht. Ich liebe es, durch dieses riesige Areal zu spazieren und die Tiere zu beobachten. Am liebsten bin ich im Tropenhaus, wo mich vor allem die Flora fasziniert. Auch hier habe ich bereits mit Pflanzen kommuniziert und still und heimlich meine Gabe der Heilung angewendet.

      ****

      Weil wir ohnehin schon spät dran sind, entschließen wir uns, die U-Bahn zu nehmen und steigen einige Minuten später an der Haltestelle „Universität“ aus. Von dort sind es nur noch zwei Querstraßen bis zu unserem Lieblings-Mexikaner. In Schwabing gibt es unheimlich viele Restaurants und Kneipen Tür an Tür, außerdem sind die Technische Universität, sowie die Ludwig-Maximilian-Universität in unmittelbarer Nähe. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Straßen auch lange nach Feierabend noch sehr belebt sind. Kurz bevor wir unser Ziel erreichen, spüre ich plötzlich ein heftiges Kribbeln im Nacken und bleibe abrupt stehen. Jemand rennt in mich hinein und flucht. Ich entschuldige mich halbherzig, doch meine Aufmerksamkeit gilt etwas, oder besser gesagt jemandem auf der anderen Straßenseite. Wie erstarrt sehe ich direkt in smaragdgrüne Augen, die fest auf mich gerichtet sind. Sie ist wieder da, denke ich mit rasendem Herzen, während sich unsere Blicke aneinanderheften. Sie wirkt traurig und doch liegt ein Lächeln auf ihrem zarten Gesicht, das von dunklen Locken eingerahmt ist. Auf ihrem Kopf sitzt ein Kranz aus bunten Blüten, der ihr elfenhaftes Aussehen noch unterstreicht. Ich habe Angst zu blinzeln, weil sie dann vielleicht fort sein könnte. Wie immer gilt mein erster Gedanke meiner Mutter, doch dafür ist sie viel zu jung. Sie kann kaum älter sein als ich selbst, allerhöchstens Ende Zwanzig. Was mir jedes Mal eine Gänsehaut beschert, ist, dass ich anscheinend der einzige bin, der sie sehen kann. Sie steht einfach nur da, sieht mich an und lächelt schwermütig. Ihr dünnes Kleid flattert wie im Wind, doch heute Abend regt sich kein Lüftchen. Obwohl sie mitten auf dem Gehweg voller Menschen steht, scheint ganz offensichtlich niemand Notiz von ihr zu nehmen. Die junge Frau wirkt beinahe wie ein Hologramm aus einer anderen Welt, unwirklich und doch ganz klar und deutlich. Passanten hetzen an ihr vorbei, ohne sie anzurempeln. Als ich durch ein Hupen aufschrecke, gehorcht mein Körper endlich wieder. Ich will über die Straße zu ihr, doch in diesem Augenblick fährt ein Transporter vorüber und versperrt mir die Sicht. Es sind nur Sekundenbruchteile, doch kaum ist der Wagen vorbei, ist die junge Frau fort. Wie vom Erdboden verschluckt, so wie jedes Mal. Mein Blick gleitet suchend den Gehweg entlang, doch ich kann sie nirgends entdecken. Mein Herz hämmert hart in meiner Brust. So hart, dass ich automatisch die Hand darauflege und versuche, ruhiger zu atmen. Meine wild umherfliegenden Gedankenfetzen werden unterbrochen und ich zucke zusammen, als mich Sabrina sanft am Arm berührt.

      „Was ist los, Ben?“ Sie folgt meinem Blick über die Straße, dann sieht sie mich mit gerunzelter Stirn an. „Hast du sie wieder gesehen? Die Frau mit den grünen Augen?“

      Ich nicke abwesend.

      „Ja“, antworte ich heiser und atme tief ein und aus, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. „Glaubst du, ich werde verrückt?“

      „Noch verrückter, als du jetzt schon bist?“, fragt Sabrina sanft lächelnd und hakt sich bei mir unter. „Das geht doch gar nicht.“ Sie blickt mich besorgt an. „Willst du darüber reden?“

      Ich schüttle den Kopf. „Nicht jetzt, die anderen warten.“ Die Schultern straffend füge ich hinzu: „Lass uns feiern!“

      Als wir die gemütliche Kneipe betreten, sitzen unsere Freunde bereits an unserem reservierten Tisch. Wir kennen uns alle noch aus der Schulzeit und treffen uns regelmäßig zu verschiedenen Aktivitäten. Mit Mike und Katrin bin ich oft Bergwandern. Heidi arbeitet in einer Fördereinrichtung für behinderte Kinder und Noah ist mein Ex-Freund. Ich habe vor etwa einem Jahr Schluss gemacht, weil es sich für mich irgendwann einfach nicht mehr richtig angefühlt hat. Er wird schnell aufbrausend, eifersüchtig und bestimmend. Ich lasse mich nicht gerne herumkommandieren und ich muss in einer Beziehung auch nicht ständig an meinem Partner kleben. Noah teilt meine Leidenschaft fürs Bergwandern absolut nicht und war jedes Mal beleidigt, wenn ich mich sonntags um halb sieben am Morgen auf den Weg in die Natur gemacht habe und erst am Abend wiedergekommen bin. Mit der Zeit haben wir immer öfter deswegen gestritten und so hab‘ ich die Notbremse gezogen. Anfangs war es schwer, weil ich ihn als Freund nicht verlieren wollte. Noah war sehr verletzt, aber wir haben die Kurve gekriegt und ich möchte ihn nicht missen. Ich weiß, dass er immer noch an mir hängt und mich gerne zurückhaben würde, aber ich will das nicht mehr.

      „Heeeeey, da seid ihr ja!“ Mike grinst, hebt seinen Long Island Eistee und prostet mir zu. „Sorry, aber wir mussten schon mal ohne euch trinken.“

      Ich lache kopfschüttelnd. „Schon klar.“

      Nacheinander stehen alle auf, um uns zu begrüßen und mir zum Geburtstag zu gratulieren. Von den Mädels werde ich mit Wangenküssen überhäuft, während mich Mike in eine Umarmung reißt, die sich eher nach Schwitzkasten anfühlt. Er trainiert viermal die Woche im Fitnessstudio und rennt am Wochenende mit mir in den Bergen herum – kein Wunder, dass er aussieht, wie ein Schrank. Noah küsst mich auch auf die Wange und sieht mich schon wieder so komisch an.

      „Alles Gute, Ben“, wispert er in mein Ohr und seufzt sehnsüchtig hinein.

      „Nimm die Zunge aus Bens Ohr, sonst hört er sein Geburtstagsständchen nicht“, ruft Sabrina trocken, worauf sich Noah mit roten Wangen zurückzieht.

      „Oh nein, ihr wollt doch wohl nicht singen?“, frage ich entsetzt und sehe mich panisch im Raum um. Das könnte peinlich werden.

      „Wir sind doch keine Tierquäler“, erwidert Heidi lachend, als auch schon der alte Klassiker Happy Birthday aus den Lautsprechern tönt. Gleichzeitig kommt meine Lieblingskellnerin Britta um die Ecke geschwebt. Auf einer Handfläche balanciert sie ein Tablett voller Schnapsgläser und auf der anderen eine Torte mit brennenden Wunderkerzen. Wir johlen und klatschen und auch die Gäste an den anderen Tischen applaudieren und rufen Glückwünsche herüber. Britta stellt die Sachen ab und breitet ihre Arme aus.

      „Ben, mein Hübscher! Lass dich drücken.“ Sie presst mich an ihre großen Brüste und küsst mich links und rechts auf die Wangen. „Alles Gute zum Geburtstag!“ Sie lächelt mich breit an, dann verteilt sie die Schnapsgläser an uns und nimmt sich auch eins. „Der geht aufs Haus, Leute! Auf Ben!“

      „Auf Ben!“, rufen alle jubelnd durcheinander. Ich lache in die fröhliche Runde und proste allen zu, bevor ich das Gesöff mit einem Schluck hinunterschütte. Ja pfui Teufel! Captain Morgan noch vor dem Abendessen … das kann ja noch heiter werden.

      Zwei Cocktails und eine Runde Schnaps später packe ich meine Geschenke aus. Von Heidi bekomme ich einen schönen Füller und ein Notizbuch und Katrin und Mike haben einen Gutschein für den Sportshop besorgt, in dem ich immer meine Wanderausrüstung kaufe. Noah hat mir mein Lieblingsparfüm gekauft und sieht mich erwartungsvoll an, nachdem ich es ausgepackt habe. Die anderen sind in Gespräche vertieft, während er sich ganz nah zu mir neigt und an meinem Hals schnüffelt.

      „Du riechst immer gut, Ben. Auch ohne Parfüm … gerade morgens, wenn du aufgewacht bist.“

      Ich glaube mich verhört zu haben, rücke ein Stück von ihm ab und sehe ihn verwundert an. Ich bin froh, dass ich die farbigen Kontaktlinsen trage. Noah starrt mich so intensiv an – da muss ich seinen Blick nicht auch noch mit meiner irren Augenfarbe erwidern. Seufzend lege ich eine Hand an seine Wange und tätschle sie leicht.

      „Noah, du weißt, dass du mir sehr viel bedeutest …“, setze ich an, worauf er eifrig nickt und wieder ein Stück näher rückt. „Und deswegen rate ich dir, ab jetzt nur noch Wasser zu trinken, okay?“

      Noah zieht seine Augenbrauen zusammen, macht dann eine Schnute und zuckt mit den Schultern.

      „Du weißt ja gar nicht, was dir entgeht“, murmelt er, gerade so laut, dass ich ihn verstehen kann. Ich schüttle grinsend den Kopf und stoße mit meiner Schulter gegen seine, worauf er auch lachen muss. Ich wuschle durch seinen blonden Lockenschopf und ordere bei Britta ein Desperados für mich und ein großes Mineralwasser für Noah.

      Erst