Im Sternbild des Zentauren. Verena Rank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verena Rank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960894230
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genauer unter die Lupe zu nehmen. Vater und Großvater folgen mir.

      „Kannst du da noch was machen?“, fragt Großvater und blickt dann seinen Sohn missbilligend an. „Ja, gießen musst du deine Pflanzen schon, Ludwig“, fügt er tadelnd hinzu und schnalzt ein paar Mal mit der Zunge. Vater zuckt mit den Schultern und ich muss innerlich lachen, weil er wie ein kleiner Junge den Kopf einzieht, als hätte er was angestellt und wäre dabei erwischt worden.

      „Ich weiß nicht, was ich falsch mache, aber dieses scheiß Basilikum geht mir immer ein.“

      Als ich ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwerfe, entschuldigt er sich sofort.

      „Ich meine, also ohne scheiß … nur Basilikum, sorry.“

      „Schon gut, sie nimmt es dir nicht krumm“, antworte ich und nehme die Pflanze näher in Augenschein. Sie ist völlig ausgetrocknet.

      „Du hast sie zu wenig gewässert. Außerdem verträgt sie kein kaltes Wasser und vermutlich hast du wieder darüber gegossen, statt in den Übertopf.“

      Er kratzt sich hinter dem Ohr.

      „Ist das denn wirklich so wichtig?“

      „Jep, ist es“, antworte ich, während ich meine Hände knapp über den verdorrten Blättern schweben lasse und konzentriert die Augen schließe. In meinem Kopf höre ich den Wind, der die Wipfel der Bäume sanft hin und her wiegt, Vogelgezwitscher, hoch oben in den Baumkronen … und das vertraute Flüstern und Ächzen der Pflanzen, wenn ich sie heile. Wenn sie zu neuem Leben erwachen, mir ihre Blütenköpfe und Blätter entgegenstrecken. So rasch wie sie gekommen sind, verstummen die Geräusche und als ich die Augen öffne, ist die Pflanze satt und grün und gesund. Lächelnd berühre ich eines der Blätter behutsam mit den Fingerspitzen. Der intensive Duft von Basilikum steigt mir in die Nase und erfüllt den ganzen Raum.

      „Auch wenn es mich immer wieder fasziniert, macht es mir doch genauso viel Angst“, wispert Vater neben mir. Als ich ihn ansehe, starren er und Großvater den Kräutertopf mit großen Augen an.

      „Macht euch keine Sorgen, ich kann es mittlerweile ganz gut steuern. Niemand außer euch und Sabrina wird es je erfahren.“

      „Das war aber nicht immer so und ich denke mit Grauen an die Zeit zurück, als es dir Angst gemacht hat und du dich allein und ausgeschlossen gefühlt hast“, erwidert Vater leise.

      „Da war ich noch ein Kind.“ Ich lege eine Hand auf seine Schulter. „Wir hatten es wirklich nicht leicht. Aber ihr habt immer an mich geglaubt und mich behandelt, wie ein ganz normales Kind.“

      „Das warst du für uns ja auch“, erwidert Großvater nachdrücklich. „Na ja, mit ein paar Extras halt.“

      Ich grinse. „Ich kann mich noch an Papas Gestammel erinnern und an seine Schweißausbrüche, als er versucht hat, der Nachbarin zu erklären, wie unsere Zimmerpflanzen über Nacht mutieren konnten.“

      Heute können wir gemeinsam darüber lachen … auch bei der Erinnerung, wie ich in der Schule mein Klassenzimmer verschönern wollte und es plötzlich aussah, als würde sich der Raum mitten im Wald befinden. Als ich etwa acht oder neun war, hat alles angefangen. Ich interessierte mich immer mehr für die Natur und die verschiedenen Pflanzen. Ich hörte ihr Flüstern und war imstande, sie wachsen zu lassen, oder zu heilen. Anfangs habe ich es überhaupt nicht kontrollieren können und es war sehr schwer, alles zu erklären. Mit der Zeit habe ich gelernt, meine Fähigkeiten zu unterdrücken, oder gezielter einzusetzen.

      „Und heute bist du ein junger, erfolgreicher Mann und ich kann dir gar nicht sagen, wie stolz ich auf dich bin.“ Vater lächelt selig und scheint für ein paar Sekunden in Erinnerungen zu schwelgen. In dem Moment steckt Marlies den Kopf zur Tür herein

      „Kommt ihr? Ben, du musst die Kerzen ausblasen.“

      Eine Tasse Kaffee und zwei Tortenstücke später wird es Zeit, nach Hause zu fahren, denn ich hab’ noch einiges vor.

      „Dann wünsche ich dir ganz viel Spaß heute Abend“, sagt Marlies, während sie den Rest der Geburtstagstorte in eine Frischhaltedose packt.

      „Nicht so viel!“ Ich verdrehe die Augen. „Wer soll denn das alles essen?“

      „Ach, ich kenn euch doch“, mischt sich Vater grinsend ein und drückt Marlies einen Kuss auf die Wange. „Ihr kommt um drei Uhr morgens betrunken heim und habt tierischen Hunger.“

      Als ich ihn amüsiert mustere, zuckt er mit den Schultern. „Was? Das war bei uns damals auch nicht anders, stimmt’s Schatz?“, wendet er sich an seine Frau, die ihm beipflichtet, indem sie vehement nickt.

      „Auf jeden Fall! Wenn es wirklich zu viel ist, kannst du deinen netten Nachbarn etwas bringen.“

      Ich hebe beschwichtigend die Hände. „Okay, okay … ich nehm’s ja mit. Bei Kreon und Anna schauen wir eh noch vorbei, bevor wir gehen. Vielen Dank.“

      Nachdem ich mich vom Rest der Familie verabschiedet habe, begleitet mich Vater zur Tür.

      „Ben?“

      „Ja?“ Die Hand bereits auf der Türklinke, schaue ich mich nach ihm um.

      „Du trägst doch den Stein, oder?“ Plötzlich wirkt er nervös. „Ich weiß, das ist albern, aber ich habe tatsächlich das Gefühl, er beschützt dich … irgendwie. Keine Ahnung. Gerade wenn ihr nachts unterwegs seid.“ Hilflos zuckt er mit den Schultern und lächelt mich schief an. Instinktiv greife ich in den Kragen meines Hemdes, taste nach dem Edelstein und ziehe ihn hervor.

      „Klar, Papa – immer.“

      „Nimm ihn nicht ab, okay?“

      Ich schüttle lächelnd den Kopf. „Niemals, versprochen.“

      Zur selben Zeit in Mytherra, im Schimmerwald …

      Hektor

      Mit jedem Schritt, den ich mich vom Zentauren-Lager entferne, kann ich leichter atmen. Manchmal habe ich das Gefühl, es keinen Tag mehr dort aushalten zu können, aber wo sollte ich denn sonst hin? Zentauren sind Wesen, die nur in Clans leben. Wir sind keine Einzelgänger und doch fühle ich mich unheimlich einsam. Mein Blick folgt einem der letzten Sonnenstrahlen, die sich vor der Abenddämmerung ihren Weg zwischen die dicht stehenden Bäume erkämpfen. Ich schließe seufzend die Augen und genieße für einen Moment die friedliche Stille. Nur ganz oben, in den Wipfeln der Tannen, Kiefern und Eichen hört man das fröhliche Zwitschern der Vögel. Ich bin auf dem Weg zum Teich, wo ich mich mit Lilaja verabredet habe. Seit Kreons Flucht vor zehn Jahren gab es fast keinen Tag, an dem wir uns nicht gesehen haben. Die offene Abneigung und der Hass des Clans sind oft unerträglich. Hier im Wald habe ich das Gefühl, Kreon näher zu sein. Zugleich übermannt mich oft die Wut, denn wegen ihm bin ich nichts anderes, als der Bruder des Verräters.

      Lilaja wartet bereits auf mich und winkt mir fröhlich zu, bevor sie zügig ans Ufer schwimmt. Ihre unbeschwerte Art ist jedes Mal Balsam für meine geschundene Seele. Mit ihr kann ich meine Sorgen teilen, sie hört mir stundenlang zu. Die Najade ist wie eine Schwester für mich - und das war sie auch für Kreon.

      Der Sonnenuntergang hinterlässt ein prächtiges Farbenspiel, das rot und orange auf dem Wasser tanzt. Es heißt, die Zeit heile alle Wunden, doch ich vermisse meinen älteren Bruder mit jedem Tag mehr. Besonders nachts, wenn der Himmel klar ist und die Sterne das Firmament erleuchten, scheint die Sehnsucht beinahe unerträglich. Wenn sich das Sternbild des Zentauren hell und eindrucksvoll am Himmel zeigt, schnürt es mir vor Kummer die Brust zusammen. Kreon hat jeden einzelnen Stern und jeden Planeten benennen können, und er wusste über viele Sternbilder eindrucksvolle Geschichten zu erzählen. Ich konnte ihm stundenlang zuhören, wenn wir zusammen im Wald waren. Und nun weiß ich nicht einmal, ob mein Bruder noch lebt.

      Mittlerweile verbringe ich sehr viel Zeit im Wald – zum Ärgernis von Rigorus, dem Oberhaupt des Clans. Ich kann kaum glauben, dass mein bester Freund Nox wirklich sein