Im Sternbild des Zentauren. Verena Rank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verena Rank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960894230
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Augenpaare richten sich auf mich. „Was wird es diesmal sein?“, frage ich und überlege, während ich vor meinen Schreibtisch trete und mich dagegen lehne. „Ey sorry, Herr Wagner, ich kann nix dafür“, ahme ich Hakan nach und ernte schon die ersten Lacher. „Wir haben heute früh die Katze verlegt und mussten sie suchen … oder hat das arme Tier gar die Schultasche gefressen und er musste warten, bis es sich übergeben hat?“, frage ich amüsiert. Lautes Gelächter füllt den Raum aus, als im nächsten Moment die Tür aufgerissen wird und ein schwarzhaariger Junge mit hochrotem Gesicht hereinstürmt.

      „Ey sorry, Herr Wagner!“, japst er abgehetzt. „Ich schwör, ich kann nix dafür!“ Jetzt gibt es kein Halten mehr, das Gelächter der Schüler hallt mit Sicherheit bis auf den Flur hinaus. Hakan zuckt zusammen und sieht sich irritiert um. Obwohl es überhaupt nicht mehr möglich scheint, läuft sein Gesicht noch dunkler an. Mit einem Handzeichen ermahne ich alle zur Ruhe und sehe Hakan an.

      „Guten Morgen, Hakan“, begrüße ich meinen notorischen Zuspätkommer. „Was hat dich denn diesmal davon abgehalten, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen?“

      Ein paar Sekunden sieht mich mein Schüler an und scheint fieberhaft zu überlegen, was er antworten soll. Ich kann regelrecht die Zahnräder in seinem Gehirn klicken hören. Er kratzt sich verlegen hinter dem Ohr und grinst schließlich schief.

      „Also meine Oma hat den Wecker gestellt“ antwortet er, worauf die ersten bereits zu lachen beginnen. „Aber sie hat die Zeitverschiebung mit der Türkei wohl vergessen.“ Ich muss die Klasse ein weiteres Mal zu Ruhe ermahnen, doch zugleich muss ich mich zusammennehmen, um nicht lauthals loszuprusten. Während sich Hakan mit gesenktem Haupt zu seinem Platz begibt, setze ich mich kopfschüttelnd an meinen Schreibtisch, um die Zeugnisvergabe vorzubereiten.

      Der restliche Vormittag verläuft recht ereignislos. Der Unterricht endet heute bereits um kurz nach zehn Uhr und so strömen die Massen unter Freudengeschrei, Lachen und lautem Stimmengewirr durch die Schulflure und aus dem Gebäude. Ich staple meine Unterlagen, um sie in meiner Tasche zu verstauen, als ich bemerke, dass ich angestarrt werde. Lydia, Sophie und Anna Maria stehen vor mir und strahlen um die Wette. Ich grinse etwas irritiert zurück.

      „Na? Ich dachte eigentlich, ihr könnt es gar nicht erwarten, hier rauszukommen. Gibt es noch etwas?“, frage ich neugierig, worauf Sophie, die in der Mitte steht, etwas hinter ihrem Rücken hervorholt.

      „Alles Gute zum Geburtstag, Herr Wagner“, sagt sie, während ihre Wangen die Farbe von überreifen Tomaten annehmen. Ihre Freundinnen nicken beipflichtend und kichern, während mir ein in pinkfarbenes Papier gewickeltes Geschenk mit goldener Schleife entgegengestreckt wird. Ich sehe die Mädels erstaunt an.

      „Woher wisst ihr, dass ich heute Geburtstag habe?“, frage ich.

      „Wir haben da so unsere Informationsquellen“, antwortet Sophie selbstbewusst, worauf alle drei glucksen.

      „Ja und außerdem wollen wir uns auch für den tollen Unterricht bedanken, den Sie immer machen.“ Anna Maria lächelt so breit, dass ich einen Moment nur zwei weiße Zahnreihen sehe. „Seit wir Sie in Sport haben, ist das mein Lieblingsfach“, fügt sie hinzu und nickt dabei nachdrücklich. Da sie beim Sportunterricht meistens mit ‚verstauchtem Knöchel‘ auf der Bank sitzt, bezweifle ich das zwar, aber ich fühle mich geschmeichelt. Ich nehme das Geschenk an und nicke den dreien freundlich zu.

      „Wow, das ist aber nett von euch, vielen Dank.“

      „Sie können es später aufmachen, schöne Ferien Herr Wagner!“

      „Das wünsche ich euch auch“, antworte ich amüsiert. „Erholt euch gut.“

      Die drei verschwinden kichernd und ich packe grinsend meine restlichen Sachen zusammen.

      Die Kolleginnen und Kollegen sind bereits da, als ich das Lehrerzimmer betrete. Ich werde mit lautstarkem Jubel begrüßt, während Sektkorken knallen. Auf dem Konferenztisch hat Frau Stieglmeier, unsere Sekretärin, selbstgemachte Häppchen serviert und schenkt geschäftig die Gläser voll. Wie praktisch, dass mein Geburtstag ausgerechnet auf den letzten Schultag fällt, an dem wir ohnehin feiern.

      „Hui, schaut mal, Ben hat ein pinkfarbenes Geschenk bekommen!“ Andrea, unsere Religionslehrerin, ist chronisch gut gelaunt und hängt an beinahe jeden Satz ein vergnügtes Glucksen an. Sie hält mir ein Sektglas hin und sieht mich durch die Gläser ihrer Hornbrille vergnügt an. Ihre pausbäckigen Wangen glühen, als hätte sie bereits ein, zwei Gläschen intus.

      „Alles Gute zum Geburtstag, Ben!“

      Auch die anderen kommen jetzt näher, um zu gratulieren und um zu sehen, was ich von meinen Schülerinnen geschenkt bekommen habe.

      „Nun mach es schon auf!“

      „Ich habe noch nie etwas von meinen Schülern zum Geburtstag bekommen.“

      „So jung und gutaussehend müsste man halt noch sein.“

      Während ich die Verpackung löse, quasseln alle durcheinander.

      „Ihr seid schlimmer als die Kids“, stelle ich lachend fest, während ich eine Packung Pralinen und ein paar Socken aus einem kleinen Karton nehme.

      „Socken?“, fragt Frau Reimann, die Direktorin verwundert, worauf ich lachend nicke.

      „Ja, aber nicht irgendwelche Socken“, antworte ich begeistert, während ich mein Geschenk hochhebe, damit alle es sehen können. „Star Wars – Meister Yoda – Socken mit Ohren!“ Meine Kollegen brechen in Gelächter aus, während ich die Socken grinsend betrachte. Sie sind knallgrün, mit dem Gesicht von Yoda vorne drauf und seitlich stehen seine großen, spitzen Ohren ab.

      „Die Mädels haben wirklich gut aufgepasst“, sage ich und schüttle amüsiert den Kopf.

      „Natürlich – sie machen ja nichts anderes, als seufzend an deinen Lippen zu hängen und deiner Stimme zu lauschen“, erwidert Andrea, worauf die anderen erneut lachen. Ich rolle mit den Augen, zugleich spüre ich so etwas wie Stolz. Von meinen Kollegen bekomme ich einen Gutschein für mein Lieblingsrestaurant, einem Mexikaner in Schwabing, in dem ich heute Abend mit Freunden feiern werde. Vom Sekt leicht beschwipst mache ich mich ein wenig später auf den Weg zu meiner Familie, die eine knappe halbe Stunde von der Schule entfernt wohnt. Meine Stiefmutter macht mir zu Ehren heute ganz traditionell Schweinebraten mit Knödeln und Blaukraut. Als ich sechs Jahre alt war, haben mein Vater und Marlies geheiratet und ich habe noch einen Bruder und eine Schwester dazu bekommen. Felix ist achtzehn und besucht die Fachoberschule, während unser Nesthäkchen Antonia nach den Ferien die vierte Klasse der Grundschule besuchen wird.

      Meine leibliche Mutter habe ich nie kennengelernt, ihre gesamte Existenz und die Umstände, wie sie mich damals bei meinem Vater gelassen hat, sind sehr mysteriös. Ich weiß nur, dass ich wohl aus einem One-Night-Stand entstanden bin. Sie hat meinem Vater nicht mal ihren Namen genannt. Alles, was ich von ihr habe, ist ein unförmiger, geschliffener Smaragd, in der Größe einer Zwei-Euro-Münze. Mein Vater hat mir den Edelstein an meinem zwölften Geburtstag gegeben, seitdem trage ich ihn an einem Lederband um den Hals. Vaters Erzählungen nach muss meine Mutter wunderschön gewesen sein, aber sehr geheimnisvoll und zurückhaltend. Ihre Augen sollen vom selben intensiven Grün gewesen sein wie der Smaragd. Und genau diese Farbe haben auch meine Augen, aber ich verstecke sie unter braunen Kontaktlinsen. Als Kind bin ich ständig angeglotzt und gehänselt worden, bis mein Augenarzt offiziell eine Lichtempfindlichkeit diagnostizierte und ich in der Schule eine Brille mit verdunkelten Gläsern tragen durfte. Der Arzt hat damals gesagt, es wäre wohl eine Laune der Natur, er selbst habe in seiner ganzen Laufbahn nie solch eine Augenfarbe gesehen – auch keiner seiner Kollegen. Es ist nicht nur dieses tiefe Grün allein, manchmal scheinen meine Augen regelrecht von innen zu leuchten. Je nach Stimmung variiert die Farbe. Wenn ich zum Beispiel wütend bin, wird sie dunkel wie der Grund eines Moorsees. Bei Aufregung jeglicher Art scheint das Grün am intensivsten und dann tanzen goldene Lichter in den Iriden.

      Vater erinnert sich an eine feucht-fröhliche Nacht, in der er mit einigen seiner Studienkollegen um die Häuser