Im Sternbild des Zentauren. Verena Rank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verena Rank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960894230
Скачать книгу
noch mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten kann. Zerstreut, verwundert und nachdenklich, würde ich sagen.

      Am Morgen danach war sie verschwunden und tauchte gut neun Monate später mit mir auf, um mich quasi einfach auf der Türschwelle abzulegen. Vater hat sie nur kurz gesehen und sie sagte ihm, ich sei etwas ganz Besonderes und er solle mir einen schönen Namen geben. Ich glaube nicht, dass sie damit so etwas wie ‚Benjamin‘ meinte, denke ich seufzend und verdrehe in Gedanken die Augen. Auch wenn sie ihr eigenes Kind verließ, hat er nie ein böses Wort über sie verloren – im Gegenteil. Sie wirkte wohl sehr unglücklich und hat mich unter Tränen bei ihm gelassen. Was meine eigenartige Gabe betrifft, dass ich mit Pflanzen kommunizieren und diese heilen und wachsen lassen kann: Ich bin sicher, es hat etwas mit meiner leiblichen Mutter zu tun. Wenn ich diese Fähigkeiten von ihr habe, macht es mich unglaublich wütend, dass sie mich ohne ein Wort der Erklärung zurückgelassen hat.

      Meine Familie lebt im Stadtteil Oberföhring und so führt mich mein Weg erneut quer durch den Englischen Garten, der jetzt von Schülern, Spaziergängern und Touristen nur so wimmelt. An der Wohnungstür angekommen, ist mein kleiner Schwips bereits verflogen, dafür knurrt mein Magen. Marlies öffnet mir die Tür und schließt mich sofort in die Arme. Sie hat nie einen Unterschied zu ihren eigenen Kindern gemacht und mich immer so geliebt, wie eine Mutter es tun sollte. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

      „Ben! Alles Gute zum Geburtstag, mein Lieber. Wie war es in der Schule? Hast du Hunger?“

      „Danke, ach wie immer, ja und wie“, erwidere ich grinsend, um ihre Fragen in der richtigen Reihenfolge zu beantworten. Sie nimmt mich kichernd an der Hand und zieht mich in die Wohnküche. Sofort stürmt mir ein blonder Wirbelwind entgegen und ich schließe meine kleine Schwester in die Arme und hebe sie hoch.

      „Hey, Prinzessin!“ Ich küsse sie auf die Wange. „Wie war der letzte Schultag?“

      „Gut, aber sehr stressig“, antwortet sie augenrollend, worauf ich lache. „Alles Gute zum Geburtstag!“ Antonia schlingt ihre Arme so fest um meinen Hals, dass ich beinahe ersticke und zum Spaß Würgegeräusche mache.

      „Du … bringst … mich … ja … um“, krächze ich, „aber vielen Dank.“

      Antonia gluckst, während ich sie wieder auf dem Boden abstelle, um den Rest der Familie zu begrüßen. Felix ist viel zu cool, um mich zu umarmen und so streckt er mir die Hand entgegen und klopft mir mit der anderen auf die Schulter.

      „Alles Gute, Bro“, gratuliert er mir lässig und grinst schief.

      „Danke.“ Ich grinse zurück und boxe ihm leicht gegen die Brust.

      „Ben!“ Mein Vater kommt auf mich zu und schließt mich in seine Arme.

      „Alles Gute zum Geburtstag! Wir haben schon auf dich gewartet.“ Er blickt mich stolz an und schüttelt langsam den Kopf. „Sechsundzwanzig“, sagt er, als könne er es kaum glauben. „So viele Jahre ist es schon her, dass du so unerwartet in mein Leben geschneit bist und es jeden Tag schöner und glücklicher gemacht hast.“

      Ich hebe eine Augenbraue. „So? Ich dachte, du wusstest damals nicht mal, was ein Baby ist und hast Oma und Opa erstmal panisch nach einer Gebrauchsanweisung gefragt?“, antworte ich frech, worauf alle lachen. Antonia hält sich die Hände vor den Mund und prustet los. Vater wird tatsächlich ein bisschen rot und kratzt sich hinter dem Ohr. Obwohl er langsam grau an den Schläfen wird, sieht er gerade unheimlich jung aus.

      „Na ja …“, sagt er peinlich berührt und wirft seiner Jüngsten einen gespielt beleidigten Blick zu, worauf sie noch mehr lacht. „Ich war ja damals noch selbst sehr jung … nicht recht viel älter als Felix jetzt. Ich wusste nicht, was so ein Baby braucht und wie herum man es hält. Außerdem musste ich jeden Tag zur Uni und hätte mich gar nicht alleine um Ben kümmern können. Ja, ich gebe zu, ohne Oma und Opa wäre ich komplett aufgeschmissen gewesen.“

      „Wo sind die beiden überhaupt?“, frage ich. „Ich dachte, sie wollten auch kommen?“ Marlies will gerade antworten, als es auch schon an der Tür klingelt.

      „Ich geh schon!“, ruft Antonia fröhlich, während sie aus der Wohnküche in den Flur saust. Ich muss innerlich lachen, als ich höre, wie überschwänglich meine Schwester unsere Großeltern begrüßt.

      „Da ist ja jemand schon wieder einen Meter gewachsen“, sagt Großvater gespielt erstaunt, worauf Antonia kichert.

      „Quatsch, Opa! Doch nicht einen Meter!“, erwidert sie altklug. „Kommt schnell, Ben ist schon da!“

      Großmutter schließt mich als erste in ihre Arme, um zu gratulieren. Wie immer sieht sie sehr elegant aus. Ich kann mich nicht erinnern, sie einmal ohne ein schönes Kostüm gesehen zu haben und ohne dass ihr graues, kinnlanges Haar in gepflegte Wellen gelegt war.

      „Ben, mein Lieber“, sagt sie sanft. „Alles Gute zum Geburtstag. Hach, manchmal habe ich das Gefühl, es war gestern, als dein Großvater und ich nach dem aufgeregten Anruf deines Vaters gekommen sind und dich das erste Mal im Arm hielten.“ Sie schüttelt den Kopf, ihre Augen werden feucht. „Uns war sofort klar, dass du ein ganz besonderer Junge bist.“ Sie sieht mich verschwörerisch an und zwinkert mir zu. Meine Großeltern, Marlies und auch Felix wissen von meiner Gabe, Antonia jedoch noch nicht. Sie wird es irgendwann erfahren, wenn sie größer ist und keine Gefahr mehr besteht, dass sie sich irgendwann, irgendwo verplappern könnte. „Es war Liebe auf den ersten Blick – du warst ja so ein hübsches Baby“, fährt Großmutter fort und seufzt selig. Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange und bedanke mich gerührt.

      „Ich war doch auch ein hübsches Baby, oder?“, ruft Antonia dazwischen, worauf Großmutter ein Stück zurücktritt und ihr lächelnd über den Kopf streicht.

      „Natürlich warst du das, Liebes.“

      „Felix war bestimmt hässlich, oder?“, fragt sie, worauf unser Bruder lautstark protestiert.

      „Hey, ich war der Hübscheste von allen! Bin ich heute noch.“

      Wir lachen alle, während mir mein Großvater gratuliert.

      „Glückwunsch, mein Junge“, sagt er und zieht mich in eine holprige Umarmung, während er mir auf den Rücken klopft. Mein Großvater passt optisch zu seiner Frau, wie ein Bauarbeiter auf ein rosa Plüschsofa und doch sind sie das harmonischste Paar, das ich kenne. Ohne seine bayrische Lederhose verlässt er nicht das Haus, was meine Großmutter stets unkommentiert und mit einem resignierten Lächeln akzeptiert. Seinen grauen Bart, der ihm mittlerweile bis gut zehn Zentimeter unters Kinn reicht, hegt und pflegt er, wie andere ihr teuerstes Pferd.

      „Ich habe mir gedacht, wir essen in der Küche und zum Kaffee gehen wir hinüber ins Wohnzimmer.“ Marlies nimmt ihre Kochschürze ab und begrüßt ihre Schwiegereltern. Ihre eigenen Eltern wohnen am anderen Ende von Deutschland, in Hamburg, daher sehen wir sie nicht sehr oft. Jeden Besuch in der Hansestadt verbinde ich mit schönen Erinnerungen.

      Wir sitzen am großen runden Tisch in der Küche und ich genieße die Zeit mit meiner Familie. Wir kommen viel zu selten alle zusammen und so hat jeder etwas zu erzählen. Meine Großeltern planen einen Wochenendtrip nach Südtirol, worauf sie sich sehr freuen. Felix erzählt uns, dass er momentan einen Abitur-Schnitt von 1,8 hat und auf alle Fälle das dritte Jahr zur allgemeinen Fachhochschulreife machen wird. Antonia wünscht sich zu ihrem Geburtstag auch einen Schweinebraten, aber mit größeren Knödeln – außerdem eine Meerjungfrauen-Barbie, samt Meermann-Ken dazu. Vater und Marlies sehen einander wie immer verliebt an und halten am Tisch Händchen. Ich schweige und beobachte dankbar unsere fröhliche Runde.

      Während die anderen nach dem Essen ins Wohnzimmer hinüber gehen, bleiben Vater, Großvater und ich noch in der Küche, um gemeinsam einen Schnaps zu trinken. Vater schenkt uns drei Williams ein und wir stoßen an.

      „Auf dich, mein Junge“, sagt Großvater stolz und Vater nickt beipflichtend.

      „Auf dich, Ben!“ Ich schlucke das grausige Zeug und schüttle mich