Im Sinne der Gerechtigkeit. Anne Gold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Gold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783724524465
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einfach, Herrschaften, sondern aus Mangel an Beweisen.» Staatsanwalt Borer war ohne Klopfen eingetreten. «Sein Kumpel gab ihm nämlich ein Alibi. Tja, so ist eben unser Rechtssystem.»

      Borer behändigte die Akte Nader.

      «Was soll das?»

      «Nur nicht so aggressiv, Ferrari. Es müsste selbst Ihnen einleuchten, dass der Fall sonnenklar ist oder glauben Sie tatsächlich an einen anderen Täter?»

      «Nein.»

      «Na also, dann kann ich die Akte an Kollege Loosli übergeben.»

      «Wie? Sie vertreten die Anklage nicht selbst?»

      «Nein. Bei diesem Fall kann man sich keine Lorbeeren verdienen. Sollte Fabian Nader zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden, wird es einen Aufschrei in der Bevölkerung geben. Dafür werden gewisse Leute sorgen.»

      «Die Sie nicht namentlich nennen wollen.»

      «Sie habens erfasst, Frau Kupfer. Loosli wird also auf Totschlag plädieren und einen Deal mit dem Verteidiger aushandeln. Nader bekommt fünf bis acht Jahre und wird bei guter Führung nach zwei Dritteln entlassen. Damit ist dem Recht Genüge getan. Ein simpler Fall. Wenn Felix auf dem Richterstuhl sitzt, könnte es jedoch eine Überraschung geben.»

      «Richter Kohler? Wieso?»

      «Er ist ein guter Freund von Beat Rupf, der von Schoch abgeseilt wurde. Kohler wird Milde walten lassen. Vor allem auch, weil er Schoch damals wegen der Vergewaltigung laufen lassen musste.»

      «Das zum Thema Gerechtigkeit.»

      «Und das aus Ihrem Mund, Ferrari. Dem Mauschelbruder Nummer eins bei der Polizei. Wären Sie gestern zur Stelle gewesen, würden wir immer noch nach dem Täter fahnden.»

      «Das ist …»

      «Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Was machen Sie mit der Akte?»

      «Die behalten wir. Die achtundvierzig Stunden sind noch nicht rum.»

      «Ganz wie Sie meinen. Die junge Frau, die Schoch wegen Vergewaltigung anzeigte, wohnt übrigens immer noch in der Laufenstrasse, und wenn Sie sich beeilen, können Sie Richter Kohler im Strafgericht erwischen. Er bereitet seinen neusten Prozess vor und ist sicher bis vier im Gebäude.»

      «Besten Dank.»

      «Nichts zu danken. Ich bin selbst gespannt, welches Karnickel Sie aus dem Hut zaubern, um Ihren Freund zu retten. Ah ja, vergessen Sie nicht, Felix einen schönen Gruss von mir auszurichten, Frau Kupfer. Er kann schönen Frauen keinen Wunsch abschlagen, natürlich nur privat. Im Gerichtssaal ist er knallhart, aber fair.»

      Beim Strafgericht mussten sie durch eine Sicherheitskontrolle und da der Alarm des Metalldetektors losging, wurde der Kommissär abgetastet. Dem Beamten war es sichtlich unangenehm, seinen Kollegen untersuchen zu müssen.

      «Was versprichst du dir von dem Besuch?», erkundigte sich Nadine, die problemlos durch die Kontrolle kam.

      «Richter Kohler steht auf schöne Frauen und du bist ein besonders attraktives Exemplar.»

      «Aha. Ich soll ihn mit meinen Reizen bezirzen.»

      «Exakt.»

      Der kurz vor der Pensionierung stehende eitle Pfau strich seine grauen Haare glatt und fummelte an seiner Krawatte herum, als er Nadine sah.

      «Ich freue mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen, Frau Kupfer. Der Erfolg Ihrer Ermittlungstätigkeiten und der Ruf Ihrer Schönheit eilen Ihnen voraus.»

      «Die Freude ist ganz meinerseits. Ich wollte schon lange den Strafgerichtspräsidenten kennenlernen. Das ist mein Chef, Kommissär Ferrari.»

      «Seien Sie mir willkommen.»

      Du eingebildeter Trottel!

      «Wir stören hoffentlich nicht.»

      «Ganz und gar nicht, Jakob kündigte Ihren Besuch an. Ich stecke in den Vorbereitungen eines kniffligen Falles. Leider darf ich nicht näher darauf eingehen.»

      «Die schwierigen Fälle bleiben bestimmt alle an Ihnen hängen.»

      «Das ist so. Die Komplexität geht oft an die Substanz und manchmal komme sogar ich an meine Grenzen. Ich bin halt auch nicht mehr der Jüngste.»

      «Ich bitte Sie. Mit Anfang fünfzig sind Sie doch noch voll im Saft.»

      «Fünfzig wäre schön. In drei Jahren gehe ich in den Ruhestand.»

      «Das gibt man Ihnen aber nicht. Ich hätte Sie höchstens auf drei- oder vierundfünfzig geschätzt.»

      Mir wird übel.

      «Danke für das Kompliment. Was kann ich für Sie tun, Frau Kupfer? Oder wollen wir uns duzen?»

      «Das wäre mir eine Ehre. Ich heisse Nadine.»

      «Felix!»

      «Gestern Nacht wurde Damian Schoch ermordet.»

      «Ich weiss. Es ist immer bedauerlich, wenn jemand umgebracht wird. Aber bei allem Respekt, diesem Schoch weine ich keine Träne nach.»

      «Wir kennen die Akte.»

      «Dann weisst du auch, dass ich hundertprozentig sicher war, dass er Christine Oberer bestialisch folterte und vergewaltigte.»

      «Und trotzdem musstest du ihn laufen lassen.»

      «Nach den Buchstaben des Gesetzes. Der Staatsanwalt konnte das Alibi, das ihm Richard Widmer gab, nicht zerpflücken.»

      «Du weisst noch sehr gut über den Fall Bescheid.»

      «Allerdings. Es war einer meiner schwierigsten Fälle und die herbe Niederlage setzte mir zu. Damals zweifelte ich an unserem Rechtssystem. Auf der einen Seite die gebrochene Frau, die glaubhaft und mit stockender Stimme ihr schrecklichstes Erlebnis schilderte, auf der anderen ein überheblich grinsendes Monster, das wusste, dass es für sein Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ich werde diese Verhandlung nie vergessen. Ich sass da und hörte geduldig zu. Plötzlich trat wie aus dem Nichts der Entlastungszeuge auf. Er leistete einen Meineid, alle im Gerichtssaal wussten es. Selbst der Verteidiger, der nach der Urteilsverkündigung um ein Gespräch mit mir bat. Unter vier Augen bestätigte er mir, dass er nicht an Schochs Unschuld glaubte. Christine Oberer brach nach dem Urteil zusammen, unter dem höhnischen Gelächter von Schoch. Ich kam mir so ohnmächtig vor. Das Recht und die Gerechtigkeit wurden vorgeführt.»

      «Weisst du, wie es Frau Oberer geht?»

      «Wir blieben eine Zeit lang in Kontakt. Sie erholte sich nur langsam von ihren Qualen. Vor gut einem Monat bin ich ihr das letzte Mal begegnet, rein zufällig in der Freien Strasse. Sie nickte mir kurz zu und verschwand in eine Boutique. Vermutlich arbeitet sie dort. Wollt ihr sie besuchen?»

      Nadine blickte fragend zu Ferrari.

      «Das wird nicht nötig sein.»

      «Ich könnte mir vorstellen, dass der Tod von Schoch befreiend wirkt. Vielleicht gelingt es ihr endlich, in die Normalität zurückzufinden. Wenigstens ist dieser Richard Widmer nicht ungestraft davongekommen.»

      «Der Zeuge mit dem falschen Alibi?»

      «Ja, genau. Ein Kollege verurteilte ihn wegen Mordes an einer Prostituierten zu einer lebenslänglichen Haftstrafe. Er sitzt im Bässlergut.»

      «Und Schoch ist tot. Die Gerechtigkeit hat auf Umwegen gesiegt.»

      «Leider bleibt eine junge Frau auf der Strecke, die nicht mehr an unser Rechtssystem glaubt.»

      Nadine nickte nachdenklich.

      «Wieso befindet sich Widmer im Bässlergut? Normalerweise sitzen dort keine Schwerverbrecher.»

      «Das stimmt. Er war auch in der Justizvollzugsanstalt Bostadel. Aufgrund guter Führung und eines sehr guten Gutachtens empfahl ein Psychologe, ihn in den offenen Vollzug zu überführen. Gleichzeitig suchte der Direktor