Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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Ostsee, gewissermaßen im „Hinterhof“ Christians IV., allzu sehr einzumischen. Indem er seinen nachgeborenen Söhnen Ulrich und Friedrich Versorgungsposten als Koadjutor oder Administrator in protestantischen Bistümern Norddeutschlands verschaffte, sicherte Christian nicht nur jenen ehrenvolle Ämter und ein sicheres Auskommen, sondern unterstrich zugleich die Rolle Dänemarks als Schutzmacht des lutherischen Glaubens, die sich auch in Zukunft für die protestantische Bevölkerung der betroffenen Territorien einsetzen würde. Das Erzbistum Bremen und die anderen Hauptziele der dänischen Bestrebungen im norddeutschen Raum lagen in einem ringförmigen Korridor, der sich von der Nordsee bis zur Südspitze des Herzogtums Holstein und dann in einem nordöstlichen Bogen bis zur Ostsee erstreckte. Es konnte für die äußere Sicherheit des Königreichs Dänemark nur förderlich sein, wenn sich diese Gebiete in den Händen verbündeter Fürsten befanden. Außerdem würde die dänische Krone auf diese Weise entscheidenden Einfluss im Niedersächsischen Reichskreis gewinnen. Und zu guter Letzt lagen die betreffenden geistlichen Territorien entlang der Weser, der Elbe sowie anderer Flüsse, die Norddeutschland in Richtung Nord- oder Ostsee durchzogen. Sobald sie diese Wasserstraßen unter ihre Kontrolle gebracht haben würden, konnten die Dänen ihr Zollsystem nach Deutschland hinein ausdehnen und so auch dort ihre Vormachtstellung gegenüber der mächtigen Hanse beanspruchen.

      Der Bund der Hanse war um 1160 entstanden und umfasste schließlich 70 deutsche Städte sowie rund 100 assoziierte Mitglieder von Flandern bis Finnland. Er war der langfristig erfolgreichste einer ganzen Reihe mittelalterlicher Städte- und Kaufmannsbünde, deren vorrangige Rolle es war, die Herrscher Europas zur Einräumung umfassender Handelskonzessionen zu zwingen. Die militärische Schlagkraft der europäischen Großmächte erlangte die Hanse jedoch nie, und nach dem Ende des Mittelalters geriet sie in einen langsamen, unaufhaltsamen Niedergang. Mit der Zeit sahen etliche ihrer Mitglieder in einer Aufnahme in das römisch-deutsche Reich die bessere Garantie für wirtschaftliche und politische Selbstständigkeit, weshalb viele Hansestädte den Status einer Reichsstadt anstrebten und auch erreichten. Lübeck, die erste Hansestadt, hatte diese Reichsfreiheit schon früh erlangt; andere, wie Magdeburg und Braunschweig, sahen in einer Hansemitgliedschaft die Möglichkeit, der Jurisdiktion ihrer eigentlichen Landesherren zu entkommen. Die tatsächliche Stellung der Hansestädte war deshalb einigermaßen unklar; große Hansestädte wie Bremen oder Hamburg betrachteten sich zwar selbst als autonom, waren jedoch (noch) nicht als Reichsstädte anerkannt.

      Diese Situation ermöglichte es der dänischen Krone, enge Beziehungen zu anderen norddeutschen Fürsten zu knüpfen, die ebenfalls stadtbürgerliche Autonomiebestrebungen unterdrücken und Bistümer für ihre Söhne und sonstigen Verwandten erwerben wollten. Der wichtigste Verbündete Christians IV. in dieser Hinsicht war der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, der die Hansestadt Braunschweig unterwerfen wollte und bereits 1566 Administrator des Bistums Halberstadt geworden war. Er heiratete Christians Schwester Elisabeth, wodurch Dänemark eine enge Bindung mit dem Geschlecht der Welfen einging, das in der Reichspolitik schon lange eine wichtige Rolle spielte und die einflussreichsten weltlichen Fürsten im nordwestdeutschen Raum hervorbrachte. Heinrich Julius bevorzugte es natürlich, wenn ihm andere Welfen auf seine Posten nachfolgten, und das galt insbesondere für seinen jüngsten Sohn, Christian, der 1616 Administrator von Halberstadt wurde. Die Witwe des verstorbenen Welfenherzogs allerdings setzte sich für Friedrich, den mittleren Sohn Christians IV. von Dänemark, ein, der im April 1623 in das Halberstädter Domkapitel aufgenommen wurde und zum Kandidaten für das Amt des Administrators aufgebaut werden sollte. Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel, ein Bruder Heinrich Julius’, war protestantischer Bischof von Verden und Osnabrück und beförderte Friedrichs Karriere ebenfalls, indem er dem Dänenprinzen 1623 die Nachfolge als Administrator des Bistums Verden verschaffte. Inzwischen war dessen Bruder Ulrich zum Administrator des Bistums Schwerin bestimmt worden, was den dänischen Einfluss nach Osten ausdehnte.

      Das Erzstift Bremen war der große Fang, auf den alle spekulierten, denn es war nicht nur das größte geistliche Fürstentum der Region, sondern durch seinen kirchlichen Rang als Erzbistum auch das prestigeträchtigste. Durch den Erwerb Bremens würde Dänemark sowohl die Wesermündung unter seine Kontrolle bringen als auch das linke Ufer der Unterelbe. Durch den Besitz des Herzogtums Holstein kontrollierte Christian bereits einen Abschnitt des rechten Elbufers, und das setzte er nun ein, um auch Hamburg zu beanspruchen, die größte, dynamischste und erfolgreichste aller Hansestädte. Mit dem Argument, dass Hamburg ja wohl zu Holstein gehöre, entsandte er im Oktober 1603 ein Truppenkontingent, das die Hamburger zum Treueeid auf die dänische Krone zwingen sollte. Die Hamburger Bürgerschaft strengte jedoch einen Gerichtsprozess an und war damit auch erfolgreich: Im Juli 1618 entschied das Reichskammergericht, dass das Vorgehen des dänischen Königs unrechtmäßig gewesen sei. Dieser rächte sich, indem er am holsteinischen Ufer der Elbe, ein Stück flussabwärts von Hamburg, Glückstadt gründete. So konnte er von den Schiffen, die zwischen Hamburg und der Nordsee verkehrten, einen Zoll erheben. Christians Bemühungen um das Erzbistum Bremen wiederum stießen auf den erbitterten Widerstand seiner Verwandten aus der Gottorfer Linie, die in Bremen sowie in dem kleinen Bistum Lübeck seit 1585 den Administrator gestellt hatten. Allein auf das unnachgiebige Drängen Christians hin akzeptierten sie im November 1621 den Dänenprinzen Friedrich als Koadjutor, was dessen Wahl zum Erzbischof von Bremen 13 Jahre später ermöglichte. Dänemark umschloss nun sowohl Hamburg als auch die Stadt Bremen.140

      Das uneinige Haus Wasa

      Das Anwachsen des dänischen Einflusses in Norddeutschland wurde relativiert durch das Erstarken eines Rivalen im östlichen Ostseeraum: Schweden. Der Aufstieg Schwedens zur europäischen Großmacht zählt zu den bemerkenswertesten Erfolgsgeschichten, die in den Annalen der internationalen Beziehungen im 17. Jahrhundert verzeichnet sind. Obgleich die materielle Grundlage des schwedischen Imperialismus schon früher geschaffen worden war – durch die Eroberung der livländischen und estnischen Häfen nämlich –, sollten es doch erst die 1630–32 errungenen Siege Gustav Adolfs in Deutschland sein, die der neu entstandenen Großmacht internationale Anerkennung verschafften. Die rapide Expansion des schwedischen Territoriums war begleitet von ebenso dramatischen Entwicklungen im religiösen und kulturellen Leben eines Landes, dessen Elite sich von ihren europäischen Standesgenossen akzeptiert wissen wollte, derweil fremde Künstler, Gelehrte und Handwerker Ideen und Einflüsse aus ganz Europa in den hohen Norden trugen.

      Die Entwicklung Schwedens im Inneren war ungefähr mit jener Dänemarks vergleichbar. Mit dem Zerfall der Kalmarer Union war das Land zunächst in einen Bürgerkrieg geraten. Gustav I. Wasa hatte den Widerstand des Adels gegen eine Erbmonarchie niedergeschlagen und die wirtschaftliche Basis der schwedischen Krone gestärkt, indem er ihren Anteil an den 100 000 Bauernhöfen des Königreichs auf über 21 Prozent steigerte, während zugleich der vom Adel kontrollierte Anteil auf 16 Prozent absank. Die restlichen Höfe – 67 Prozent der Gesamtzahl! – befanden sich in der Hand von Freibauern, was einen enormen Unterschied zu Dänemark bedeutete, wo gerade einmal 6 Prozent aller Höfe von Freibauern bewirtschaftet wurden. Diese Statistik verdeutlicht die relative Schwäche des schwedischen Adels, der um 1600 gerade einmal 400 Familien zählte. Eine winzige Oberschicht von 15 Großadligen besaß 60 Prozent allen Landes, das überhaupt in grundherrlicher Hand war; die restlichen Grundherren verfügten in der Regel über nicht mehr als zehn Pächter je Herrschaft. Neun von zehn Schweden waren Bauern, und nahezu die gesamte wirtschaftliche Aktivität des Landes war auf kleinbäuerlicher Betriebsebene organisiert; große Landgüter wie in Dänemark oder Polen gab es in Schweden nicht. Die soziale Schichtung war weniger extrem, die Gesellschaftspyramide weniger steil als anderswo, und obwohl die Lebensbedingungen gerade der einfachen Bevölkerung natürlich auch in Schweden hart waren, waren selbst die Armen nicht ganz so bettelarm wie in manchen anderen Ländern. Die einfachen Bauern trugen dicke, schwarze Wollmäntel, Hüte und Handschuhe, dazu derbe Lederstiefel anstelle der Holzschuhe, die in weiten Teilen Westeuropas üblich waren. Der schwedische Adel lebte vergleichsweise bescheiden, und wenngleich man auch hier um 1600 begann, seine Söhne auf große Bildungsreisen zu schicken, blieben Prasserei und Verschwendungssucht, wie sie in Dänemark oder Polen zur selben Zeit bereits in Mode gekommen waren (mit feinen Kleidern, üppigem Essen und prächtigen Landsitzen), in Schweden noch weithin unbekannt.141

      Die