Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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Wasa“ im Bürgerkrieg verloren gegangen war. Viele Angehörige des Hochadels sympathisierten noch immer mit Sigismund und drohten mit einer polnischen Intervention, um Zugeständnisse zu erpressen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Niederlage gegen Dänemark hätte diese Krise leicht zu einem Wiederaufflammen des Bürgerkrieges führen können – und tatsächlich gab es auf dem Land bereits Unruhen wegen der hohen Steuerlasten, die der Krieg und das Lösegeld für Älvsborg verursachten. Auf Vermittlung des 28-jährigen Adligen Axel Oxenstierna kam es jedoch 1611 zu einem Vertrag über die Thronfolge, den fortan jeder neue König unterzeichnen musste, bevor er die Herrschaft antreten durfte. Die Vorrangstellung des Hochadels im Reichsrat wurde bestätigt, ebenso sein Anspruch auf die fünf hohen Reichsämter (Kanzler, Drost, Schatzmeister, Marschall und Admiral). Oxenstierna selbst wurde schwedischer Reichskanzler. Expertise, Rat und Zustimmung des Reichsrats waren notwendig, um Kriege anzufangen, Steuern einzutreiben und Truppen auszuheben. Die Krone war zudem verpflichtet, mit dem Reichstag (Riksdag) zu verhandeln, der sich in vier Kurien aus den Ständen des Königreichs zusammensetzte (Adel, Klerus, Städte und Bauern) und der die Besteuerung einschränken konnte.

      Dass diese Regelung langfristig Erfolg hatte, war auch der begrenzten Anzahl der schwedischen Adelselite zu verdanken. Zum betrachteten Zeitpunkt gab es in Schweden nicht mehr als 600 männliche Adlige im Erwachsenenalter, von denen nur wenige überhaupt in der Reichs- oder Provinzpolitik aktiv waren. Das schwedische Regierungssystem bestand in einer Reihe von persönlichen Beziehungen, und es war Schwedens großes Glück, dass die beiden Hauptprotagonisten nicht nur außergewöhnlich begabt, sondern auch noch eng befreundet waren. Gustav Adolf war eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten des 17. Jahrhunderts und wurde schon zu Lebzeiten zu einer beinahe mythischen Figur.144 Offenbar hinterließ der König gehörigen Eindruck bei allen, die ihn persönlich trafen, und bestimmt hätte man ihn in späteren Zeiten einen Charismatiker genannt. In einer Zeit, in welcher der persönliche Eindruck ein zentraler Aspekt politischer Beziehungen war, besaß Gustav Adolf die Schlüsselkompetenz, mit Menschen ohne Ansehen ihres Standes sprechen zu können, ohne dabei sein eigenes Ansehen zu gefährden oder den Respekt seiner Untergebenen zu verlieren. Eine solche Gabe war in einem Land, dessen König regelmäßig mit dem einfachen Volk in Kontakt kam – sei es auf Reisen oder weil er auf den Reichstagen und den Provinzversammlungen mit den Vertretern der Bauern zu tun hatte –, von entscheidender Bedeutung. Auch zeigten sich die schwedischen Bauern im Umgang mit der Obrigkeit weniger unterwürfig, als es andernorts von ihnen erwartet wurde; einer sagte Gustav Adolf ins Gesicht: „Wenn mein Weib so schmuck angezogen wäre wie deins, König Gustav, so wäre sie wohl ebenso hübsch!“145 Gewiss stellten die einfachen Schweden den grundsätzlichen Kurs ihrer Regierung nicht infrage, aber dass sie dafür tief in die Tasche greifen sollten – davon musste man sie schon überzeugen. Noch schwerer wog, dass jedes Jahr Tausende ihrer Söhne zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Das Talent Gustav Adolfs, seine Ziele den unterschiedlichsten Personengruppen auf überzeugende Weise darzustellen, war ausschlaggebend dafür, dass er für seine weit gespannten Pläne die nötige Unterstützung einwerben konnte.

      Gustav Adolfs Charakter beeinflusste auch den Gang der Ereignisse. Viele Zeitgenossen bemerkten in seinem Wesen einen impulsiven Zug. Der König neigte zu heftigen Gefühlsausbrüchen, die er umgehend bereute, obwohl es dabei nur selten zu Tätlichkeiten kam, sondern meist bei Kraftworten blieb. Zwar bemühte er sich, seine Leidenschaften unter Kontrolle zu halten, behielt jedoch einen Hang zu bissigen Bemerkungen und einem insgesamt herrischen Auftreten. Der rastlose Enthusiasmus des Königs hingegen konnte geradezu ansteckend wirken. Gustav Adolf schätzte es einerseits, verschiedene Optionen abzuwägen und den Rat anderer einzuholen, wurde dann aber nicht selten von seinem Temperament übermannt und zu einem plötzlichen Kurswechsel verleitet. Er ging zwar mit Plan und Methode ans Werk, blieb aber vor allem doch ein Mann der Tat, der seine Soldaten persönlich exerzieren ließ, neue Kanonen testete und Kriegsschiffe befehligte. An der einfachen Lebensweise seiner Landsleute hielt er stets fest, war im Feldlager genügsam und teilte ganz bewusst die Nöte seiner Soldaten, bis hin zu dem Punkt, dass er nicht abgekochtes Wasser trank – eine äußerst gefährliche Angewohnheit, die ihm mindestens eine schwere Erkrankung eintrug. Unter dem Einfluss der deftigen deutschen Küche wurde er ab 1630, in den letzten zweieinhalb Jahren seines Lebens, zunehmend korpulent. Für Pomp und Pracht hatte er keinen Sinn, verstand aber durchaus deren politische Zweckmäßigkeit in der Betonung seines königlichen Status. Als er bei einem Ball in Frankfurt 1631 bemerkte, dass nicht genug Damen für alle Tänzer zugegen waren, befahl er kurzerhand, in der Stadt „Verstärkung auszuheben“.

      Gustav Adolfs Ruhm wurde dadurch noch vermehrt, dass er dem Vernehmen nach unverwundbar war. Bei gleich mehreren Gelegenheiten hatte man ihm das Pferd unter dem Sattel weggeschossen, oder er war mitsamt dem Tier durch die Eisdecke eines zugefrorenen Flusses gebrochen. Freunde und Kampfgefährten waren direkt neben ihm von Geschossen zerfetzt worden – der König aber hatte jedes Mal wie durch Zauberkraft überlebt. Man erzählte sich, bei der Belagerung von Riga 1621 habe eine Kanonenkugel die Leinwand seines Zeltes zerrissen, sei dann aber geschlingert und habe Gustav Adolfs Kopf nur knapp verfehlt. Im August 1627 traf ihn in der Schlacht bei Dirschau (Tczew) an der Weichsel tatsächlich eine Kugel in den Nacken, und obwohl es nicht gelang, das Projektil zu entfernen, genas der König beinahe völlig: Einzig der Nacken blieb steif. Solche Erlebnisse bestärkten Gustav Adolf in seinem Glauben an die göttliche Vorsehung und daran, dass er selbst ein Werkzeug dieser Vorsehung sei. Manche späteren Autoren, namentlich Georg Wilhelm Friedrich Hegel, nahmen den König beim Wort und sahen in ihm einen „Helden des Protestantismus“, dessen Bestimmung es gewesen sei, den Lauf der Geschichte offenbar werden zu lassen. Gustav Adolf war mit der Propaganda seines Vaters aufgewachsen, die das Ringen des Hauses Wasa um die Macht mit dem Kampf für den Protestantismus verknüpft hatte. Allem Anschein nach war auch der Sohn fest davon überzeugt, dass diese beiden Belange letztlich identisch waren. Während einer Deutschlandreise 1620 bestach Gustav Adolf in Erfurt einen katholischen Priester, damit dieser ihn heimlich eine Messfeier beobachten ließ. Das Erlebnis bestätigte selbst die schlimmsten Vorurteile, die der junge König über den Katholizismus gehabt hatte. Sein persönlicher Glaube blieb jedoch protestantisch im weiten Sinne des Begriffs und ließ sich nicht auf eine eng konfessionelle Orientierung festlegen. Die Forderung der lutherischen Geistlichkeit Schwedens, er solle in seinem Thronvertrag zur Unterzeichnung des konservativen Konkordienbuches verpflichtet werden, wies er 1611 ab. Außerdem war er durchaus bereit, religiöse Gefühle für seine politischen Zwecke zu manipulieren. Dass sein Vater calvinistische Neigungen gehabt hatte, war allgemein bekannt; und obwohl er selbst eher dem Luthertum zuneigte, ließ Gustav Adolf die calvinistischen Fürsten des römisch-deutschen Reiches hübsch in dem Glauben, er sei einer von ihnen.

      Axel Oxenstierna war der zweite Mann in diesem Doppelgespann. In einer berühmten Anekdote, die Oxenstierna selbst mitgeteilt hat, sagt er über Gustav Adolf: „Wenn es bei diesem König einen Fehler gegeben hat, dann war es dieser, dass er manchmal sehr cholerisch sein konnte. Das war sein Temperament und er pflegte gewöhnlich mir zu sagen: ‚Ihr seid zu phlegmatisch. Würde sich nicht etwas von meiner Hitze mit diesem Phlegma mischen, würden meine Geschäfte nicht zu einem solch guten Effekt kommen, den sie haben.‘“ Darauf habe Oxenstierna geantwortet: „Sire, wenn mein phlegmatisches Temperament nicht ein wenig Kälte mit Eurer Hitze mischen würde, hätten Eure Geschäfte nicht so ein gutes Gedeihen …“ – und der König habe „herzlich gelacht“.146

      In mancher Hinsicht war der neue Kanzler wohl tatsächlich das genaue Gegenteil seines Königs. Oxenstierna hatte zusammen mit seinen Brüdern in Rostock, Wittenberg und Jena eine gut protestantische Universitätsbildung genossen. Er war ein Musterstudent gewesen, hatte bis tief in die Nacht über seinen Büchern gesessen und diese Angewohnheit auch dann nicht aufgegeben, als er 1605 in den Dienst der schwedischen Krone getreten war. Der sächsische Kurfürst nannte ihn verächtlich einen „Schreiberling“, und tatsächlich äußerte Oxenstierna wiederholt sein Bedauern darüber, dass die Staatsgeschäfte ihn von seiner Bibliothek und seinen geistigen Interessen fernhielten (so wurde er im Februar 1634 in die „Fruchtbringende Gesellschaft“ Ludwigs von Anhalt aufgenommen). Sein überragendes Gedächtnis und sein Auge für Details sicherten ihm einen raschen Aufstieg in immer höhere Ämter – freilich werden seine Beziehungen zu den führenden Familien des schwedischen Adels dabei auch nicht geschadet haben.