Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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mag es naheliegen, die Friedenspolitik der Spanier und anderer als bloß taktische Rückzugsmanöver in längerfristigen Auseinandersetzungen abzutun. So jedenfalls ist die spanische Politik in den 20 Jahren zwischen dem Tod Philipps II. 1598 und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 immer wieder interpretiert worden – zumindest von denen, die in der gesamten Epoche nichts als einen einzigen, langwierigen „Kampf gegen Habsburg“ erkennen können. Dennoch war das Vorgehen der Spanier weder naiv noch zynisch, und bei genauerer Betrachtung der Friedensverhandlungen wird deutlich, wie sehr die Zeitgenossen sich als in einer ganzen Reihe von durchaus verschiedenen – wenn auch miteinander in Verbindung stehenden – Konflikten verwickelt und verpflichtet betrachteten.

      Die pax Hispanica war aus dem Friedensschluss zwischen Spanien und Frankreich hervorgegangen, der 1559 den Machtkampf der ersten Jahrhunderthälfte beendet hatte und die Ruhe in Italien auf 50 Jahre sichern sollte. Ein erneuter Staatsbankrott im November 1596 sowie das Scheitern der (dritten) Armada von 1597 überzeugten Philipp II. von der Unmöglichkeit seines Vorhabens, Frankreich, England und die Niederländer zugleich zu besiegen, und führten zur Aufnahme jener Verhandlungen, die 1598 den Friedensschluss von Vervins erzielten. In gewisser Hinsicht war der Frieden von Vervins ein taktischer Zug in dem andauernden Kampf Spaniens gegen die Niederländer, denn er sprengte die französisch-englisch-holländische Tripelallianz von 1596, in der die drei Feinde Philipps II. geschworen hatten, mit der spanischen Krone auf keinen Fall einen Separatfrieden zu schließen. Zugleich ließ Vervins jedoch einen allgemeineren Friedenswillen erkennen, einen Willen zur Beilegung der europäischen Konflikte überhaupt. Das zeigte sich etwa daran, dass sowohl der Papst als auch Elisabeth I. von England dabei vermittelten. Auch war den Spaniern sichtlich daran gelegen, dass dieser Frieden Bestand haben werde. Der Herzog von Lerma ließ sich selbst durch wiederholte Appelle aus spanischen Regierungskreisen nicht dazu bewegen, die innere Instabilität Frankreichs nach der Ermordung Heinrichs IV. 1610 auszunutzen, und hielt stattdessen an der in Vervins beschlossenen Annäherungspolitik fest. Im April 1611 stimmte Heinrichs Witwe Maria de’ Medici dem Plan Lermas für eine dynastische Doppelhochzeit zwischen Spanien und Frankreich zu, die vier Jahre später auch stattfand.128

      Die Autonomie der spanischen Niederlande Auch die ernsthaften Bemühungen der Spanier um eine Beendigung des Niederländischen Aufstandes setzte Lerma fort. Diese hatten damit begonnen, dass der bereits todkranke Philipp II. den spanischen Niederlanden im Mai 1598 ein höheres Maß an Autonomie zugestanden hatte, indem er sie seiner Tochter Isabella überließ. Die Regelung war zum Teil dadurch motiviert, dass Philipp seine Lieblingstochter gut versorgt wissen wollte, nachdem klar geworden war, dass Kaiser Rudolf sie nicht heiraten würde. Isabellas „Ersatzhochzeit“ mit dem Erzherzog Albrecht fand 1599 (also nach Philipps Tod) statt, war von ihrem Vater aber bereits eingeplant worden: Der König hatte verfügt, dass die südlichen Niederlande auch dann selbstständig bleiben sollten, wenn aus der Ehe des Paares ein Sohn hervorgehen würde. Bis dahin sollten Albrecht und Isabella, zusammen als „die Erzherzöge“ bezeichnet, von Brüssel aus gemeinsam regieren. Philipps Hoffnung war es gewesen, dass ein autonomes Staatswesen im Süden der Niederlande die Aufständischen im Norden versöhnlich stimmen würde, sie den Kampf gegen die spanische Herrschaft einstellen und stattdessen einer Vereinigung mit Brüssel zustimmen würden.129 Zweifellos reichte das Entgegenkommen jedoch nicht annähernd aus, und es kam auch noch zu spät: ein volles Jahrzehnt nach Gründung der Republik der Vereinigten Niederlande. Außerdem wurde das gesamte Vorhaben schon allein dadurch unglaubwürdig, dass im Süden der Niederlande noch immer die spanische Flandernarmee stand, deren Befehle direkt aus Madrid kamen. Trotzdem sollte man die Überlegung, die dahinterstand, nicht allzu schnell abtun. Albrecht und Isabella waren entschlossen, ihre Autonomie gegenüber dem spanischen Mutterland zu behaupten, und vielleicht wäre alles anders ausgegangen, wenn sie tatsächlich einen Sohn gehabt hätten. Isabella war eine der anziehendsten Persönlichkeiten, die der düstere spanische Hof hervorgebracht hat. Auf Doppelporträts mit ihrem Gemahl erscheint Isabella größer als Albrecht, und ganz bestimmt war sie eine resolute, temperamentvolle Person – die beim Wettschießen der Brüsseler Schützen 1615 gleich mit ihrem ersten Schuss voll ins Schwarze traf. Dieses Ereignis führte dazu, dass man sie in Text, Bild und Zeremoniell als wahre Amazonenkönigin feierte, was zweifellos ein sorgsam inszenierter Versuch war, den Herrschaftsstatus der beiden „Erzherzöge“ zu festigen.

      Diese Propagandabemühungen wurden von praktischen Maßnahmen flankiert, welche sowohl die Loyalität der Untertanen in den südlichen Provinzen sichern sollten als auch auf die abtrünnigen Provinzen im Norden abzielten, deren Sympathien Albrecht und Isabella zu gewinnen hofften. Obwohl sie ihre Herrschaft über Brüssel und andere Städte betonten, respektierten sie lokale Privilegien für gewöhnlich durchaus. Ihre Rekatholisierungspolitik umfasste die übliche Förderung der Jesuiten, knüpfte aber eher an eine ältere, erasmische Tradition an, deren Wiederbelebung den Katholizismus für potenzielle Konvertiten aus dem Norden wieder attraktiver machen sollte. Albrecht verfügte über Regierungserfahrung aus seiner Zeit als Vizekönig von Portugal (1583–93). Es gelang ihm, mit dem Kommandeur der Flandernarmee, General Spinola, zusammenzuarbeiten, ohne die Autonomie der südlichen Niederlande zu kompromittieren, er schickte eigene Gesandtschaften nach England, Frankreich und Rom und eröffnete 1600 direkte Verhandlungen mit der niederländischen Republik. Albrecht spielte auch eine große Rolle, als die Madrider Regierung nach dem Tod Elisabeths I. von England 1603 erst einmal davon überzeugt werden musste, Jakob VI. von Schottland als ihren legitimen Nachfolger anzuerkennen – und damit einen Friedensschluss zwischen Spanien und England zu ermöglichen. Die Vermittlung der südlichen Niederlande war es dann auch, die 1604 zum Vertrag von London führte, durch den der 19-jährige Krieg mit den Engländern beendet wurde und eine Politik der langsamen Annäherung zwischen den beiden Mächten in Gang kam, die – trotz ernster zwischenzeitlicher Krisen – bis Mitte des 17. Jahrhunderts Bestand haben sollte.

      Der Zwölfjährige Waffenstillstand (1609) Die Erzherzöge Albrecht und Isabella erkannten, dass ihre Autonomie langfristig von einem Friedensschluss mit den republikanischen Niederländern im Norden abhing. Das militärische Vorgehen der Flandernarmee zielte deshalb immer stärker darauf ab, diese zur Annahme zumutbarer Vertragsbedingungen zu bewegen. Im März 1607 handelte Albrecht eine Waffenruhe aus, um Zeit für den erfolgreichen Abschluss der Gespräche zu gewinnen. Die Weigerung der Republik, den im Norden lebenden Katholiken die offizielle Duldung zu gewähren, sorgte in Madrid für beträchtliche Unruhe, zumal jede Waffenruhe eine Unterordnung geistlicher Belange unter den Pragmatismus der Sachzwänge – wie etwa des erneuten Bankrotts der spanischen Krone im November 1607 – mit sich bringen musste. Manche befürchteten auch, ein Waffenstillstand würde den Niederländern die Gelegenheit geben, sich neu zu formieren, wodurch sie dann in Zukunft noch schwerer zu besiegen sein würden. Die Schelde blieb für den Handel gesperrt, und viele spanische Kaufleute argwöhnten, dass die Niederländer nun mit Nachdruck in den umkämpften Indienhandel einsteigen würden – obwohl sie eigentlich versprochen hatten, die Gründung ihrer geplanten Westindienkompanie (Geoctroyeerde West-Indische Compagnie, WIC) zu verschieben. Jedenfalls weigerten sie sich, ihre bereits bestehende Ostindienkompanie aufzulösen, mit der sie den Portugiesen schon jetzt wichtige Märkte streitig machten. Unter anderem deshalb beschränkte sich der Waffenstillstand in seiner endgültigen Fassung effektiv auf Europa. Gemeinsam überstimmten Philipp III. und der Herzog von Lerma jegliche Einwände gegen das Schweigen der Waffen, indem sie darauf hinwiesen, dass eine Fortsetzung des Krieges womöglich noch schlimmere Folgen nach sich ziehen würde, und schlossen am 9. April 1609 den Zwölfjährigen Waffenstillstand mit der Republik der Vereinigten Niederlande.

      Durch Verträge mit Frankreich, England und den abtrünnigen Niederländern hatte sich Spanien auf diese Weise zwischen 1598 und 1609 seiner drei Kriege mit europäischen Mächten entledigt. Dabei hatte sich die Diplomatie als militärische Strategie klar bewährt: Die feindliche Tripelallianz war zerbrochen; der Waffenstillstand mit den Niederländern ließ gewisse innere Spannungen im Norden auf ein solches Maß ansteigen, dass die Republik beim Auslaufen des Vertrags 1621 in mancher Hinsicht schwächer war als zuvor. Nur weil Philipp III. seine Friedenspolitik als Notlösung darstellte, sollten wir ihm darin nicht unbedingt folgen.130 Angesichts der Kontroversen, die um diese Abkommen geführt wurden – und das gilt ganz besonders von dem Vertrag mit den häretischen Niederländern –, hätte der König sein Handeln in der Öffentlichkeit