Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022747
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einen Termin mit –«

      »Ich bitte dich«, unterbricht Wenger ihn erneut, aber im selben Moment geht ihm die Energie verloren, er weiß nicht, wie er weitermachen soll mit diesem Satz. Mit dieser Freundschaft.

      »Ich brauche deinen Text bis Ende März. Walser ist vielleicht dabei und eventuell Kehlmann.«

      »Frauen und Flucht, hat dir jemand ins Hirn geschissen?«

      »Mäx, das ist eine wichtige Sache.«

      »Was könnte ich dazu denn schon liefern? Ich kenn mich damit so gut aus wie mit Gebärmutterhalskrebs. Außerdem, was soll der Schmarrn, Frauen und Flucht, und dann schreiben darüber nur Männer? Ich seh die Feministinnen bereits im Quadrat springen und ihre brennenden BHs schwenken.«

      Sebastian lacht laut. Wenger stimmt nicht ein, weil er das nicht als Scherz gemeint hat.

      »Apropos, hast du die Debatte mitbekommen um Emma Watson?«, fragt Sebastian. »Die macht doch einen auf Feministin, hat aber grad ihre Titten auf einem Magazincover gezeigt.«

      »Nein.«

      »Bist du am PC? Ich schick dir den Link.«

      Wenger lässt den Blick durch sein Wohnzimmer schweifen. Türme aus Kartons, Wäschehaufen, leere Pizzaschachteln, Ginflaschen, eine vertrocknete Pflanze, einzelne Zeitungsblätter. In einer der Kisten muss sein Laptop sein.

      »Nein.«

      »Es sind aber sehr schöne Titten.«

      »Nein, ich werde dafür nichts schreiben.«

      »Mäx«, Sebastian schlägt jetzt einen wattigen Ton an, weich, verständnisvoll, »hör zu. So eine kleine Kreativpause wirft doch einen wie dich nicht aus der Bahn. Jeder hat das von Zeit zu Zeit, ist völlig in Ordnung. Keine Sorge, okay? Mit der Short Story kannst du wieder durchstarten, ein bisschen die Muskeln lockern, neuen Schwung finden.«

      »Hast du dir das Exposé angesehen, das ich dir gemailt hab vor meinem Umzug? Vor über zwei Monaten, Seb. Und die Figurenskizzen?«

      »Ja, natürlich! Das könnte was werden. Ist gut, dass du am Ball bleibst. Und es ist ja ein Entstehungsprozess, nicht wahr?«

      »Du findest es also scheiße.«

      »Das hab ich doch gar nicht gesagt.«

      »Ich kenn dich seit fünfundzwanzig Jahren, denkst du, ich könnte nicht jeden Furz von dir deuten?«

      Wenger knallt den Frust in seine Stimme. Ihm wird heiß, und vielleicht zittert die Hand, mit der er das Handy hält, ein wenig. Der Zorn legt einen Rahmen um sein Blickfeld, trübt ihm die Sicht. Er ist nicht irgendwer. Er hat es nicht verdient, dass Sebastian ihn monatelang auf eine Rückmeldung warten lässt, die dann nicht einmal eine richtige Rückmeldung ist. Dass er ihn abspeist mit Floskeln und diesem Lachen, das klingt wie Spott.

      »Eine Witzfigur bin ich für dich«, zischt er. »Verdammt, Seb, ich schreibe keine Kurzgeschichten! Diesen intellektuellen Meta-Scheiß über flüchtende Frauen kaufen vielleicht dreihundert Leute, und die Hälfte davon sind traurige, ungefickte Sozialarbeitsstudentinnen mit Ökosandalen! Wenn das alles ist, wozu mein Name noch taugt, dann schneid ich mir jetzt gleich die Pulsadern auf, und du kannst live dabei sein.«

      »Nun mach doch nicht gleich so ein Drama.«

      »Du hast mich hofiert, als ich noch dein Goldesel war, den du melken konntest, und kaum lief es nicht mehr so gut, hast du mich fallengelassen wie ein angeschnäuztes Taschentuch.«

      »Das ist doch nicht wahr, ich vertrete dich immer noch. Und streng genommen melkt man einen Goldesel nicht, das Gold kommt aus dem A–«

      »Es kommt von da, wo du mich lecken kannst«, sagt Wenger und legt auf.

      Er würde das Handy gern an die Wand werfen, es krachen hören, es zersplittern sehen. Er unterdrückt den Impuls, das Scheißding hat siebenhundert Euro gekostet. Als man noch den Hörer auf den Apparat knallen konnte, war der Effekt definitiv befriedigender. Er lässt das Smartphone auf die Umzugskiste plumpsen, die ihm als Couchtisch dient, zwischen Apfelbutzen und Werbeprospekte. Es klingelt erneut, Wenger schaut auf das Foto von sich und Sebastian auf dem Display. Sie haben gerötete Gesichter, von der Sonne oder vom Champagner. Im Hintergrund ein halbes Segelboot und ein Stück vom Meer. Es muss Jahre her sein. Er hat die Jacht verkauft, damit Patrizia sie nicht bekommt nach der Scheidung, und er vermisst sie.

      Er drückt den Anruf weg, starrt weiterhin auf das Handy. Ein paar Minuten später denkt er, dass Sebastian es wenigstens einmal noch hätte versuchen können.

      Er gibt den Tastencode ein, öffnet die Facebook-App und sucht nach Valerie. Es dauert eine Weile, bis er sie findet, weil sie ihn erstens entfreundet hat und zweitens anders heißt, ihr alter Name steht in Klammern. Auf den drei Fotos, die für ihn zugänglich sind, sieht er auch, warum. Sie hat geheiratet. Einen Glatzkopf mit Brille, der auf den Bildern dreinschaut, als hätte man ihm einen Ferrari geschenkt. Bestimmt, weil Valerie auch ihm den Schaltknüppel einölt. Wenger betrachtet ihre Brüste, die aus dem weißen Kleid quellen, wie zwei verlorene Freunde.

      Er weiß ja selbst, dass das nichts taugt, was er Sebastian geschickt hat. Sonst hätte er seinen Laptop längst ausgepackt. Sonst würde er weiterschreiben, diesen pulsierenden Rausch erzeugen, die Wörter fliegen lassen und die Finger. Stattdessen denkt er an das Schreiben wie an eine Party, die ohne ihn stattfindet, die Musik hört er schwach und das Gelächter, aber eingeladen ist er nicht, und aus lauter Trotz tut er so, als hätte er eh keine Lust, hinzugehen.

      Mit knackenden Knien steht er auf, um sich einen Drink zu mixen. Er sucht nach einer Lobsters-Flasche Tonic Water, er ist ja ein Genießer, ein Kenner, er weiß um die Wichtigkeit eines guten Fillers, gießt aber mehr Gin ein, als er sollte, Aeijst Styrian Pale Gin aus der Südsteiermark, benannt nach dem Dialektwort für Äste, auf denen die Botanicals wachsen. Nach dem ersten Schluck muss er husten. Er wischt sich die Flüssigkeit vom Kinn und spürt die Bartstoppeln. Es amüsiert ihn, ungepflegt zu sein. Er hat beschlossen, dass das dazugehört, dass er das jetzt darf. Keine Selbstbeherrschung mehr, keine Selbstoptimierung, sondern gutes altes Sich-Aufgeben, wie es kaum noch gemacht wird. Man darf sich ja nicht bemitleiden heutzutage. Weil man eh alles erreichen kann, wenn man nur will. Erreicht man es nicht, dann nur, weil man halt nicht genug will. Was Wenger will, ist seine Ruhe. Von den ganzen depperten Ratschlägen, von den Fragen nach seinen Plänen und von den Menschen sowieso.

      Für den Cocktail mit den Schlaftabletten würde er nicht Gin nehmen, sondern Whiskey. Ein Klassiker, und auf jeden Fall ohne Blut. Ein leiser Rücktritt, eine stumme Anklage, die in ihrer Stummheit umso lauter wäre. Es besteht die Gefahr, dass man sich von diesem speziellen Mix nur übergibt und gar nicht stirbt, der ist ja nicht blöd, der Körper, aber Wenger würde einfach nach dem Speiben noch mehr trinken, bis er zu schwach wäre zum Kotzen. Das müsste doch funktionieren. Ausgefeilt war der Plan nicht, nur vorhanden, irgendwo in ihm. Er dachte daran, wie man an das vage Vorhaben denkt, nach Schweden zu fahren, »da will ich unbedingt mal hin, irgendwann werd ich das machen«, sagt man zu sich und zu anderen, bei Dinnerpartys zum Beispiel, wenn einer erzählt, dass er dort war. Und dann macht man es nie, oder vielleicht auf einmal doch.

      Finden würde ihn Elisabeth, wenn sie mit den Einkäufen käme, und bis dahin hätte noch nicht einmal jemand bemerkt, dass er gestorben ist. Das würde die Leute recht schockieren.

      »Als die Schwester gekommen ist, hat er schon gestunken«, würden sie raunen, »so lang hat ihn keiner vermisst. Dabei war er mal berühmt, weißt du, richtig berühmt war der. Und dann so ein Ende.«

      Elisabeth würde die Polizei anrufen und weinen dabei. Die Einkaufstaschen wären ihr aus den Händen gerutscht im ersten Schreck, und zum Leichengeruch würde sich etwas Saures mischen, vom geborstenen Glas mit Essiggurkerln. Die Vorstellung gefällt ihm. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass einer sich umbringt nur aus Trotz.

      Und das Begräbnis! Leidtun würde es ihnen, dass sie ihn fallengelassen haben, mit Scham würden sie zu Boden schauen, den Blicken der anderen ausweichen, jeder für sich geplagt von Gewissensbissen. Die Frauen bleich und mit wasserfester