Teufelsträne - Zeugen des Untergangs. Leodas Kent. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leodas Kent
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960743415
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Geruch drang uns entgegen. Lange Zeit war niemand hier oben gewesen. Nun, wo ich den Dachboden sah, wirkte er überhaupt nicht mehr bedrohlich. Die Etage stand beinahe komplett leer. In einer Ecke befand sich ein altes Sofa, das mit einem rot karierten Stoff überzogen war. Daneben waren viele Kartons. Alles war verstaubt und überall hingen Spinnennetze von der Decke.

      „Dann sehen wir mal nach, was wir hier so haben ...“, sagte Onkel Elmar. Sofort stürmten Daiki und ich zu den Kisten hinüber. Finn war viel zaghafter. Ihn schien dieser Ort immer noch zu beunruhigen. Als wären es Weihnachtsgeschenke, kramten meine Freundin und ich in den Kartons herum. Wir waren begeistert. Kleider waren darin.

      „Die meisten Möbel eurer Eltern bin ich losgeworden, aber ihre Klamotten liegen seit ihrem tragischen Unfall immer noch hier oben herum.“ Elmar klang zufrieden, glücklich darüber, dass der Streit vom Nachmittag vergessen war. Als er sah, wie vergnügt wir waren, wollte er uns alleine lassen.

      Doch Finn hielt plötzlich seine Hand fest. „Darf ich mitkommen? Ich mag es hier oben nicht!“

      Onkel Elmar beugte sich daraufhin zu ihm herunter. „Ach, Finnchen, ich muss doch noch mal auf den Hof. Es steht heute noch Arbeit an. Wenn du nicht bei deiner Schwester und Daiki bleiben willst, musst du in dein Zimmer gehen.“ Die Stimme von Onkel Elmar klang sanft und gutmütig.

      „Dann gehe ich in mein Zimmer ...“, sagte Finn.

      „Du bist ein Angsthase!“, rief ich ihm nach.

      Daiki und ich hatten eine Menge Spaß. Wir verkleideten uns. Die Kleider meiner Mutter waren mir natürlich viel zu groß, aber das störte mich nicht. Der Größe nach zu urteilen, musste sie eine schlanke Frau gewesen sein. Daiki zog einen alten Anzug an, in den sie wahrscheinlich zehnmal hineingepasst hätte. Wir spielten Ehemann und Ehefrau, tollten herum und sprangen vom Sofa aus in leere Kartons hinein.

      Nach einer Weile entdeckte ich etwas Merkwürdiges. Unter den vielen Kartons lag ein kleines Schmuckkästchen aus dunklem Holz. Das Behältnis sah sehr kostbar aus. Als ich es öffnete, lag ein Schreiben darin. Das vergilbte Papier war durch ein Wachssiegel verschlossen. Ich brach es auf. Es waren offenbar Anweisungen, handschriftlich verfasst.

      Schützenstraße 84, 35396 Gießen

      den 27.05.1978

      Geehrter Kreis, aufgrund aktueller Nachforschungen kann festgehalten werden, dass unsere Identitäten noch immer sicher sind. Ein Wechsel ist demnach nicht erforderlich. Wir werden vorerst in Deutschland bleiben. Was die erwähnten Personen betrifft, leite ich im Auftrag eures Großmeisters folgende Order weiter:

      Eckhard Dogmann – Er ist gefährlich. Er wird nicht nachgeben, ehe er nicht seine Rache bekommen hat. Die Befehle lauten vorerst, ihn zu beobachten. Er ist ein Dummkopf. Es sollte nicht schwer sein, sich vor ihm zu verstecken.

      Prof. Dr. Leonard Grakus – Er ist ein Freund. Dennoch möchte ich, dass er einmal gründlich unter die Lupe genommen wird. Diskret, versteht sich.

      Schattenschwarz – Helena ist diesem Wesen begegnet, als es sich einen Weg in unsere Welt gebahnt hat. Wir dachten, es sei gefährlich. Aber ehrlich gesagt, haben wir überhaupt nichts mehr von diesem in Leinen gehüllten Schatten gehört. Er ist untergetaucht. Solltet ihr Hinweise erhalten, die auf den Verbleib von Schattenschwarz hindeuten könnten, versteht es sich von selbst, Helena oder mir diese Informationen auf dem schnellsten Wege mitzuteilen.

      Raphael – Er ist definitiv wieder da. Aber wo?

      Ich verbleibe mit den besten Grüßen und zum Wohl des Widerstands,

      Christoph Magoi.

      Der Brief verwirrte mich. Er enthielt Befehle. Mein Vater war ein stinknormaler Geschichtsprofessor gewesen. Wer war dieser Kreis, der diese ominösen Befehle angeblich entgegennahm? Ein Widerstand? Gegen wen – oder was? Die Information, die mich am meisten aufstoßen ließ, war der Name, der an letzter Stelle stand: Raphael. Es jagte mir eine Heidenangst ein, dass ich schon wieder über diesen Namen stolperte. Bisher hatte ich noch versucht, mir einzureden, dass dieser Mann nur eine Kindheitsfantasie war. Jetzt war das nicht mehr möglich. Es konnte eine logische Erklärung dafür geben. Vielleicht hatte Finn den Namen bereits als Baby unterbewusst aufgeschnappt und jetzt war er wieder an die Oberfläche gekommen. Vielleicht war das seine Art, die Familientragödie, die uns ereilt hatte, zu bewältigen. Möglicherweise bekam er bereits als Baby genug von dem Drama mit.

      Das Schreiben fest in meinen Händen rannte ich die Treppe des Dachbodens hinunter. „Ich bin gleich wieder da!“

      Als ich Finns Zimmer betrat, saß er zusammengerollt in der Ecke. Er zitterte am ganzen Leib. Besorgt beugte ich mich zu ihm herunter. „Finn, was ist denn los?“

      Er war völlig apathisch. „Du hast sie geöffnet! Du hättest sie nicht öffnen dürfen!“, stammelte er vor sich hin.

      Ich verstand Finn einfach nicht. Aber anstatt ihn, wie ich es sonst immer tat, abzuweisen, nahm ich dieses Mal seine Hand. Ich wollte ihn trösten. Doch im selben Moment hörte ich einen lauten Knall. Die Tür zum Dachboden war mit enormer Wucht zugefallen.

      Ich sprang auf und rannte die Treppe zum Dachboden hinauf. Die Tür war fest verschlossen. Man konnte nicht einen Zentimeter an ihr rütteln. Panisch hämmerte Daiki von der Innenseite gegen das massive Holz. Sie war noch da drinnen.

      Jetzt kehrten die Gedanken zurück. Die dunkle Vorahnung, dass mit diesem Dachboden etwas nicht stimmte, war wieder allgegenwärtig.

      Daiki schrie aus Leibeskräften. „Hol mich hier heraus!“ Sie hatte panische Angst.

      Ich versuchte alles, um sie zu beruhigen. „Nur einen kurzen Augenblick! Ich habe es gleich!“ Mit aller Kraft drückte ich gegen die verdammte Tür. Es war, als würde sie jemand von innen festhalten.

      „Nein! Lass mich in Ruhe! Wer bist du?“, drang es gedämpft hinter der Tür hervor. Mein Herz schlug so schnell wie nie zuvor. Wer war noch da oben? „Finn, du musst sofort Onkel Elmar holen!“, rief ich die Stufen zum Flur hinunter.

      Finn erschreckte mich beinahe zu Tode. Er befand sich direkt hinter mir. Anstatt meiner Bitte nachzukommen, schob er sich an mir vorbei. Er hatte Angst. Das sah ich in seinen Augen. Doch irgendjemand musste ihm Mut zugesprochen haben. Mit ruhiger Stimme trat er an die verschlossene Tür heran. „Daiki, hörst du mich?“

      „Ja, ich höre dich!“, jammerte sie.

      Finn richtete seinen Blick nach oben, so als würde links neben ihm eine erwachsene Person stehen, die ihm etwas zu sagen hatte. Die Situation war unheimlich. Dann konzentrierte er sich auf Daiki. „Du musst das Kästchen schließen! Vorher wird sich die Tür nicht öffnen lassen!“

      Woher wusste Finn von dem Holzkästchen?

      „Ich kann nicht!“, stammelte Daiki.

      „Doch, du kannst! Vertraue mir! Es wird dir nichts passieren! Zähle bis sieben, dann nimm all deinen Mut zusammen und mach es!“ Wir konnten Daikis Stimme dumpf durch die Tür wahrnehmen. Sie zählte. Danach rannte sie, den Geräuschen zu urteilen. Sekunden später öffnete sich die Tür von selbst.

      Finn und ich stürmten den Dachboden, der wirkte jedoch unauffällig. Nur Daiki war anzusehen, dass etwas vorgefallen war. Sie saß verstört und weinend auf dem Boden. Neben ihr lag das Kästchen. Sie hatte es, genau wie Finn es von ihr verlangt hatte, geschlossen.

      Ich legte meine Arme um Daiki. Sie zitterte am ganzen Körper. „Was ist passiert?“ Auch mir schlotterten die Knie. Daiki konnte auf meine Frage nicht antworten. Unaussprechlich war das, was sie gesehen hatte.

      Finn holte schließlich Onkel Elmar hinzu. Doch auch er kam nicht an Daiki heran. Er rief ihre Eltern an und sie wurde abgeholt.

      Am Abend sprach ich meinen Bruder auf die Ereignisse des Tages an. Wir saßen auf seinem Bett. Von unten klangen Geräusche des Fernsehers nach oben.

      „Woher wusstest du, dass Daiki das Kästchen schließen muss, damit der Spuk ein Ende hat? Woher wusstest