Teufelsträne - Zeugen des Untergangs. Leodas Kent. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leodas Kent
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960743415
Скачать книгу
wirkte alles ruhig. Das kleine Kästchen lag noch immer an der Stelle, wo Daiki es zurückgelassen hatte. Langsamen Schrittes gingen wir auf das Behältnis zu, als wäre es ein schlafendes Raubtier, das wir unter keinen Umständen wecken sollten.

      Vorsichtig nahm Finn das Kästchen in die Hand. „Es ist aus Ebenholz“, sagte er verblüfft. „Weißt du, welche Wirkung man diesem edlen Material nachsagt?“ Ich schüttelte den Kopf. In flüsternder Stimme, so als würde er ein Geheimnis ausplaudern, das niemand erfahren durfte, klärte Finn mich auf. „Es gibt eine Welt, hinter der unseren. Die beiden Welten verfließen miteinander. Nur Ebenholz hat einen festen Stand. Es verhält sich wie eine Mauer, welche die Welten nicht überwinden können.“

      Ich musste nicht nachfragen, welche andere Welt Finn meinte. Obgleich ich nichts über sie wusste, glaubte ich, sie auch selbst schon gesehen zu haben. „Wer sind sie? Was für ein Wesen ist das, welches nur von Ebenholz in Schach gehalten werden kann?“

      Finn sah mich konzentriert an. Dann wanderte sein Blick auf das Kästchen in seinen Händen. Mit nur einem Wort beantwortete er meine Frage. Doch dieses eine Wort besaß eine unglaubliche Kraft.

      Wenn man die Wahrheit hinter diesem Begriff zu verstehen beginnt, lässt es sich fast nicht mehr aussprechen. Denn sie sind überall und es ist gefährlich, ihren Namen zu nennen.

      „Dämonen ...“

      Zuerst zögerte ich, doch dann bat ich Finn, mir das Ebenholzkästchen zu reichen. Allen Mut zusammennehmend, öffnete ich das Behältnis. Beinahe enttäuscht musste ich feststellen, dass es leer war. Es war mit einem roten Samtstoff ausgekleidet. „Wie ich schon gesagt habe: Nur der Brief von Papa befand sich darin.“

      Finn nahm mir das Kästchen aus der Hand. Als hätte er es gewusst, entfernte er den roten Boden. Tatsächlich verbarg sich dahinter etwas. Es war so gut versteckt, dass unsere Eltern wohl nicht gewollt hatten, dass es gefunden wird.

      Finn als auch ich konnten unsere Augen nicht mehr davon nehmen. Es glänzte und funkelte. Mein Bruder hielt einen Diamanten in der Hand. Er hatte die Form einer flachen Scheibe, auf der sich reliefartig ein Sechsstern abhob. Das wertvolle Mineral war von hellblauer Farbe, durchscheinend, als wäre der Himmel darin gefangen. Die Form war für einen Edelstein jedoch sonderbar. Beinahe konnte man glauben, dass er die Funktion eines Amulettes übernahm. Selbst der Great Star of Africa, der sich im Krönungszepter des britischen Königshauses befindet, konnte nicht schöner aussehen. Dieser Diamant konnte einfach keine Fälschung sein.

      Ich entflammte in bedingungsloser Euphorie. „Wir müssen diesen Stein Onkel Elmar zeigen!“, sagte ich. „Wir sind reich!“ Ich riss Finn den Diamanten aus der Hand, sprang auf und wollte den Dachboden verlassen.

      Doch Finn hinderte mich daran. Er hielt mich am Handgelenk fest. „Nein, Onkel Elmar darf nichts von alledem erfahren und dieser Edelstein wird uns auch nicht reich machen!“ In der Stimme meines Bruders lag ein energischer Nachdruck. Er sah mich entschlossen an. „Dieser Diamant ist böse! Er darf unter keinen Umständen mit den Menschen in Berührung kommen!“

      Ich wusste nicht genau, was Finn damit meinte, aber seine Einstellung passte mir ganz und gar nicht. „Onkel Elmar hat ein Recht darauf, von diesem Stein zu erfahren! Wir können ja dann sehen, was er damit vorhat!“ Ohne weiter auf meinen Bruder einzugehen, rannte ich die Treppen hinunter.

      Er lief mir schreiend hinterher. „Elli, du bringst uns alle in Gefahr!“ Mehr konnte Finn nicht mehr von sich geben. Denn Onkel Elmar stand bereits im Flur und es brauchte keine Sekunde, bis er den wertvollen Gegenstand in meiner Hand entdeckte.

      „Was ist das?“, fragte er erstaunt.

      Ich legte Elmar den Diamanten in seine großen Hände. Irgendwie glaubte ich, dass der wunderschöne Edelstein dort nicht mehr von Finn geheim gehalten werden konnte. „Das ist ein Diamant, Onkelchen, ein waschechter Diamant! Finn fand ihn in einer Truhe, die unseren Eltern gehört haben muss.“ Eigentlich war es völlig irrational, dass ich bereit war, Elmar alles über diesen Gegenstand zu verraten, ihm aber nicht von dem Schreiben erzählte, das ich zuvor in dem Ebenholzkästchen gefunden hatte.

      Finn tobte vor Wut. Wieder einmal hatte ich ihn enttäuscht. Onkel Elmar versuchte, ihn aufzumuntern. Es gelang ihm nicht. Onkel wollte den Edelstein gleich Anfang der nächsten Woche schätzen lassen. Leider war es nicht bloß eine natürliche Neugier, die ihn dazu veranlasste, herauszufinden, ob es sich bei dem Objekt wirklich um einen Diamanten handelte. Finn konnte nichts machen. Der bisher so schöne Tag hatte jetzt sein jähes Ende gefunden. Finn redete nicht ein Wort mehr mit mir, während wir alle mit bedrückter Stimmung am Mittagstisch saßen. Elmar versuchte, mehrmals darauf einzugehen, dass der Diamant einige finanzielle Probleme für uns alle lösen könne, doch mein Bruder wollte davon nichts hören. Immer wieder appellierte er an uns, ihm den Stein zu geben.

      Am Nachmittag musste Elmar noch einmal in den Stall. Im Nachhinein war sein Verhalten schon zu diesem Zeitpunkt merkwürdig. Er drängte uns geradezu, die Zeit ohne ihn im neuen Baumhaus zu verbringen. Es hatte den Anschein, als wollte er uns für einige Stunden loswerden.

      Schweigend kletterte ich Finn hinterher, als er die sieben Stufen erklomm. In meinem Inneren breitete sich ein merkwürdiges Gefühl aus. Denn als Onkel Elmar uns alleine ließ, spürte ich ein unendliches Verlangen, lieber mit ihm mitzugehen, anstatt mich den Rest des Tages mit meinem Bruder und seinem Geburtstag auseinanderzusetzen. Der Grund für mein Verlangen war gleichwohl banal wie erschreckend. Ich wollte einfach nur in der Nähe dieses Diamanten sein. Zudem entwickelte sich in meinem Herzen sogar die Angst, Elmar könne mir den Stein wegnehmen.

      Finn und ich lehnten uns aus dem Fenster. Vor uns erhob sich die Kulisse eines dichten Waldes. Der Gesang von Vögeln war zu hören. Die Welt schien friedlich. Doch das, was ich heraufbeschworen hatte, überdeckte diesen Trugschluss.

      „Bist du gar nicht sauer?“

      Das Gesicht meines Bruders wurde ernst, so als hätte ich ihn aus einer fernen und heilen Welt zurückgeholt. „Nein, ich bin nicht sauer ...“, sagte er. „Es ist nämlich nicht deine Schuld, dass du so gehandelt hast. Der Stein hat dich beeinflusst.“ Finns Stimme klang ruhig, aber durchaus besorgt. Ich schüttelte nur den Kopf. Doch er gab nicht auf. Er fixierte mich, wandte seinen Blick nicht eine Sekunde von mir ab. „Glaubst du etwa, dass Mama und Papa den Edelstein aus Spaß versteckt haben?“

      Ich wollte nicht auf diese Frage eingehen, aber Finn ließ einfach nicht locker. „Er steckte in einem doppelten Boden eines Ebenholzkästchens. Es wehrt Kräfte ab, die ein Mensch nur im Ansatz begreifen kann. Unsere Eltern wussten das. Dieser Diamant ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.“

      Ein Teil in mir reagierte auf Finn. Dennoch blieb ich stur. Ich wollte diesen Diamanten um jeden Preis behalten. „Du kannst nicht wissen, weshalb unsere Eltern den Stein versteckt haben ...“, entgegnete ich Finn.

      Er hingegen wehrte jeden Ansatz eines Widerwortes ab. Traurigkeit zeichnete sein Gesicht. Unsere Augen trafen sich. Zu einer Einigung kamen sie jedoch nicht. Mein Bruder fasste in diesem Augenblick einen Entschluss, der Konsequenzen nach sich zog, die mich noch lange verfolgen würden. „Ich habe mir so gewünscht, dass ich meinen Weg nicht alleine beschreiten brauche“, flüsterte Finn. „Aber scheinbar ist das mein Schicksal.“ Langsamen Schrittes ging mein Bruder auf mich zu. Dann legte er seine Hände auf meine Schultern und sah mich auf eine Art und Weise an, der ich kaum standhalten konnte. „Ich bin dir nicht böse. Du bist meine Schwester und das wirst du auch immer sein. Aber von nun an werde ich dich nicht mehr an meinem Schicksal teilhaben lassen.“

      Ich denke, dass Finns Worte mich ein Stück weit aus meinem Wahn befreiten. Jedenfalls versetzten sie mir einen gehörigen Schlag und ich spürte, dass ich einen riesigen Fehler begangen hatte. Doch bevor Traurigkeit mein Herz ausfüllte, kroch wieder die Gier empor, die Gier nach diesem wundervollen Edelstein. Er erinnerte mich an die Seeträne, den Diamanten, der im Bodensee gefunden wurde. Die Gier in mir konnte auch durch das Folgende meines Bruders nicht bekämpft werden.

      „Das Verrückte ist, dass ich anfangs meine Bürde sowieso alleine tragen wollte. Doch nachdem Raphael dich