Mörderisches Sachsen. Eveline Schulze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eveline Schulze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783360501752
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das war später in unserer Ehe oft der Fall, hat er nichts von einem derartigen Tötungsverbrechen erzählt. Auch unter seinen persönlichen Sachen befand sich nichts, was von einer Frau hätte sein können. Ich traue meinem geschiedenen Mann ein solches Tötungsverbrechen nicht zu. Dazu halte ich ihn für nicht fähig. Mein geschiedener Ehemann ist geisteskrank. Er war meines Wissens schon mindestens acht Mal im Fachkrankenhaus für Psychiatrie Großschweidnitz untergebracht. Wenn er seine Anfälle bekam, erzählte er immer den unmöglichsten Blödsinn. Er wollte dann die Einheit Deutschlands zustande bringen und andere verrückte Sachen machen. Aber von einer Mordsache hat er selbst bei solchen geisteskranken Anwandlungen niemals erzählt.

      Frage: Sind Sie oder Ihr Sohn Dietmar von Ihrem Ehemann jemals misshandelt worden?

      Antwort: Nein. Einmal hat er im betrunkenen Zustand einen Polstersessel auf mich geworfen, als ich im Bett lag und ihm den ehelichen Verkehr verweigerte. Sonst kam es zu keinen Misshandlungen an mir oder meinem Sohn. Mein geschiedener Ehemann hängt sehr an unserem Sohn. Er hat, nachdem wir bereits geschieden waren, Dietmar am Morgen vor dem Haus abgepasst und ist mit ihm spazieren gegangen. Ich habe daraufhin die Schulleitung schriftlich gebeten, auf meinen Sohn aufzupassen und ihn nicht auf Ersuchen meines geschiedenen geisteskranken Mannes vom Unterricht freizustellen.

      Sonst kann ich eigentlich nichts sagen. Mein geschiedener Ehemann hat außer seiner Cousine Rosl Hübner keine Angehörigen in Zittau. Alle seine Verwandten, darunter sein Bruder Josef Morche, leben in Westdeutschland.«

      Montag, 25. September

      Oberleutnant der K Strengeld und Kriminalmeister Steppan suchen am Vormittag Irma Gröne in ihrer Wohnung in Olbers­dorf auf. Die Leiterin der dortigen HO-Gaststätte Volksbad arbeitete 1950 als Kuchenverkäuferin im »Dreiländereck«. Sie ist, wie die beiden Zittauer Kriminalisten erstaunt hören, damals von der Kriminalpolizei nicht vernommen oder befragt worden. Sie kennt auch keine der vier Damenhandtaschen. Selbst beim Foto von Anni Hölzel zögert sie. Sie habe ihre Kollegin »anders in Erinnerung«.

      Zum Mordfall selbst steuert sie ein interessantes Detail bei: Wegen der warmen Witterung wären die Gaststätten-­Angestellten in ihrer leichten Dienstbekleidung nach Hause gegangen. »Es ist damals erzählt worden, dass der vermutliche Täter aufgrund des HO-Kittels, den Kollegin Hölzel trug, angenommen haben könnte, dass sie die Einnahmen noch bei sich hat und er sie deshalb ermordete.« Ob sie aber auch das Haarhäubchen noch getragen habe, vermag sie nicht zu erinnern. Allerdings glaube sie das nicht, denn das habe man immer als Erstes abgelegt.

      Und niemand von ihnen wäre als Straßenverkäuferin mit einem Bauchladen unterwegs gewesen, zu keiner Zeit, beteuert Irma Gröne.

      Alle weiteren Angaben – zu den Dienstzeiten, zum Schichtbetrieb, zu Hölzels kurzzeitigem Schichttausch etc. – decken sich mit den bisherigen Feststellungen. Die beiden Kriminalisten erfahren nichts Neues. Auch hinsichtlich der Charakterisierung des Mordopfers bleibt es beim Bekannten.

      »Mit Frau Hölzel war immer ein gutes Auskommen. Sie war eine nette, eine sympathische Kollegin. Sie war sehr redegewandt, und ich wüsste nicht, dass sie unter den damaligen Kolleginnen und Kollegen Feinde gehabt hätte. Ich kann mich nicht erinnern, dass damals unter verschiedenen Kollegen und Kolleginnen der HOG Dreiländereck unmoralische Beziehungen bestanden haben.«

      Was damit gemeint ist, lässt Irma Gröne offen.

      Nein, getrunken habe Kollegin Hölzel nicht, schon gar nicht während des Dienstes. Da sei sie immer sehr korrekt gewesen. Was natürlich im glatten Kontrast steht zu dem Gerücht, das alsbald die Runde gemacht habe. »Sie soll mit Morphium geschoben haben«, sei nach ihrem gewaltsamen Tod gemunkelt worden. Nun ja, die Leute quatschen viel, wenn der Tag lang ist, sagt Gröne.

      In dieses Fach fällt auch der Verdacht, es könne auch ein Russe Anni Hölzel auf dem Gewissen haben, also ein Soldat der Besatzungsmacht.

      Oberleutnant Strengeld legt ihr ein Foto von Karl Morche vor. Das Gesicht des jungen Mannes komme ihr »irgendwie« bekannt vor, erklärt die Gaststättenleiterin zunächst. Doch wann und unter welchen Umständen sie ihn gesehen haben will, kann sie nicht sagen.

      Die Ausbeute ist dürftig, die siebzehn Jahre seit der Mordtat sind nicht spurlos an der Erinnerung der Zeugin vorübergegangen. Die beiden Kriminalisten notieren abschließend verärgert, dass ihre Kollegen es nicht nur versäumt hatten, Irma Gröne seinerzeit zu befragen. Sie unterließen es damals auch, drei weitere Kolleginnen aus dem »Dreiländereck« zu vernehmen: Hertha Mehnert, Ursula Michel und Ilse Dellinger. Sehr gründlich scheinen die Kriminalisten 1950 nicht gearbeitet zu haben. Das erklärt, weshalb der Mordfall bis zur Stunde unaufgeklärt ist.

      Aber weiter sind sie heute auch nicht gekommen.

      Mittwoch, 4. Oktober

      Der Bezirksstaatsanwalt verfügt, dass sechs Eisenrohre zu beschaffen seien, die so ähnlich aussehen wie die vermeintliche Tatwaffe, die Morche benutzt haben will. Die Ermittler sollen sie bei der nächsten Vernehmung Morche vorlegen. Dieser solle sagen, welche Stange er beim Mord benutzt hat.

      Mittwoch, 18. Oktober

      Leutnant der K Täsche nimmt persönlich Rücksprache mit dem Fachkrankenhaus für Psychiatrie in Großschweidnitz. Konkret fragt er den behandelnden Arzt, wann Morche wieder vernommen werden könne. Darauf erklärt Dr. Otta: »Jederzeit«.

      Allerdings gibt der Mediziner zu bedenken, dass der Patient »laufend krankhafte Schübe hat und darum eben Gesagtes fast im selben Atemzug widerrufen kann«.

      Im Protokoll des Gespräches vermerkt Tusche: »So hat der Patient dem behandelnden Arzt auch geschildert, wie er den Mord an der HO-Verkäuferin Hölzel durchgeführt hat. Wenige Stunden aber nach dem Geständnis erklärte er jedoch, dass er diesen Mord nicht begangen habe.«

      Der Arzt bleibt die Auskunft schuldig, wann Karl Morche aus der Anstalt entlassen werden könne.

      Montag, 23. Oktober

      Oberleutnant der K Strengeld telefoniert mit Staatsanwalt Elsner in Dresden und bittet abermals um Fristverlängerung. Diesmal setzt man als Termin den 15. November 1967.

      In dem erbetenen schriftlichen Antrag, den Hauptmann Niebel unterzeichnet, wird als Grund für die Verschiebung die Erkrankung des zuständigen Sachbearbeiters an­gegeben.

      Dienstag, 31. Oktober

      In der Klinik in Großschweidnitz suchen Oberleutnant Strengeld und Leutnant Täsche Karl Morche auf und vernehmen ihn neuerlich als Beschuldigten. Morche befindet sich inzwischen seit vier Monaten in der Psychiatrie. Das Gespräch dauert etwas über zwei Stunden.

      »Frage: Wie fühlen Sie sich? Haben Sie irgendwelche Beschwerden?

      Antwort: Ich habe keine Beschwerden. Ich fühle mich ganz gut so.

      Frage: Weshalb befinden Sie sich denn zur Zeit hier in diesem Fachkrankenhaus?

      Antwort: Ich bin jetzt das zehnte Mal hier im Fachkrankenhaus für Psychiatrie in Großschweidnitz zur stationären Behandlung. Ich bin vom Kreisgericht Zittau eingewiesen worden, weil ich Ende Juni 1967 unglaubwürdige Erklärungen bei der Kriminalpolizei abgegeben habe.

      Frage: Ist Ihnen in Erinnerung, welche Erklärungen Sie bei der Kriminalpolizei in Zittau abgegeben haben?

      Antwort: Ich habe bei der Kriminalpolizei angegeben, dass ich die HO-Verkäuferin Marianne Böhmer aus Zittau bei der Weberkirche erschlagen hätte. Das stimmt aber alles nicht, was ich bei der Kriminalpolizei in Zittau erzählt habe. Das ist alles nicht wahr.«

      Im Weiteren berichtet Morche all das, was er Monate zuvor wiederholt zu Protokoll gab – aber stets mit dem Zusatz, dass das die Unwahrheit gewesen sei. Warum er das getan habe, wisse er auch nicht. »Mir sind die Nerven durchgegangen.« Ja, es träfe zu, dass sein Cousin Karl Morche in der Sowjetunion gefallen ist und dass er sich 1960 bei der Kriminalpolizei beworben hat. Zutreffend sei ebenfalls, dass er 1947/48 beim Organisten der Weberkirche Musikunterricht erhalten hat, weshalb er die örtlichen Gegebenheiten an und in der Kirche so genau kennt. Sein Sohn Dietmar sei in dieser Kirche 1954 getauft worden, doch später habe er sie nie wieder betreten.