Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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drehte sie sich langsam auf die Seite, möglichst darauf bedacht, den Schlafenden nicht zu wecken. Als er sich bewegte, erstarrte sie augenblicklich, wurde voller Staunen aber nur fester herangezogen. Der fremde Arm verlagerte sich vom Bauch auf ihre Taille und der Kopf des Fremden ruhte nun parallel zu ihrem eigenen.

      Das, was Sirany jetzt betrachten konnte, gefiel ihr.

      Ihr Retter war keineswegs so alt, wie sie angenommen hatte. Etwa drei, vier Jahre älter als sie selbst. Seine noch jugendlichen Züge waren im Moment entspannt, ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

      Er hatte langes schwarzes Haar, das ihm bis zur Schulter reichte. Die meisten Strähnen waren in kleine Zöpfe geflochten. Als wild aussehend hätte man ihn am besten beschreiben können, obwohl ihm dazu der lange Bart fehlte.

      Der Fremde war hübsch, entschied Sirany. Ohne die wilden Haare würde er gewiss besser aussehen, zumal sich in ihnen noch etwas Schlamm vom Fluss befand. Aber leider waren Kurzhaarfrisuren seit dem Überfall auf ihr Land aus der Mode gekommen.

      Sirany war ganz ins Betrachten vertieft, als sich sein Lächeln verbreiterte und er, ohne die Augen zu öffnen, fragte: »Gefällt dir, was du siehst?«

      Augenblicklich schoss Sirany das Blut ins Gesicht. Rasch sah sie fort. Als sie das nächste Mal in das Gesicht ihres Retters blickte, hatte er die Augen geöffnet. Braune Augen blickten sie freundlich an, studierten ihr Gesicht nun ebenfalls.

      Sirany brauchte einen Moment, um sich zu fangen, dann lächelte auch sie.

      »Du brauchst eine Frisur.«

      Der junge Mann zog eine Augenbraue hoch, nahm seinen Arm in der gleichen Bewegung von ihrer Taille und rückte etwas von ihr ab. Erst jetzt bemerkte Sirany, dass sie auf seinem anderen Arm lag, seine Hand hatte bis gerade eben auf ihrem Rücken geruht. Nun zog er auch diese zurück und brachte einen einigermaßen sittsamen Abstand zwischen sich und Sirany, aus dem man sich getrost vorstellen konnte.

      »Verrätst du mir deinen Namen? Ich würde gern wissen, welche Wassernymphe ich aus dem Fluss gefischt habe.« Seine Stimme klang angenehm, etwas rau und dunkel vom Schlaf und durchaus freundlich.

      »Sirany. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Wo sind meine Kleider?« Es war Sirany sehr daran gelegen, etwas Stoff auf ihre Haut zu bekommen.

      »Ist dir noch kalt, Sirany?«

      »Nein.«

      »Dann brauchst du auch keine Kleider.«

      Einen Moment war Sirany sprachlos. Anstatt giftig zu antworten, richtete sie sich vorsichtig auf. Sie zog sich eines der Felle so hoch es eben ging über die Brust und blickte sich suchend um.

      »Du wirst hier höchstens ein Wollhemd von mir finden«, erklärte Elendar, gähnte herzhaft und schlug nun ebenfalls die Felle beiseite.

      Er richtete sich auf und streckte sich ausgiebig. Dann stand er langsam auf und ging zu einem Kleiderhaufen hinüber.

      Sirany starrte ihn sprachlos an. Sie hatte gewusst, dass ihr Gegenüber nackt neben ihr lag, aber doch nicht so nackt!

      Aus Anstand wollte sie sich schnell von seinem Anblick lösen, doch strahlte der muskulöse männliche Körper, der sich ihr unvermittelt offenbarte, eine verheerende Faszination aus.

      Da er ihr seinen Rücken zudrehte und dabei von ihr fortging, hatte sie eine wunderbare Aussicht auf sein Hinterteil, die langen, muskulösen Beine und das breite Kreuz. Muskeln hatte er, definitiv …

      Etwas stimmte nicht mit seinem Rücken. Erst nach genauerem Hinsehen stellte Sirany fest, dass die Haut von Dutzenden von Narben übersät war. Eine wahre Kraterlandschaft aus wirren Mustern unterschiedlich verheilter Haut.

      Die meisten dieser Narben mussten sehr alt sein.

      »Könntest du deinen Blick abwenden, damit ich mich ankleiden kann?«, erkundigte sich Elendar unvermittelt. »Das ist ein Gebot des Anstandes.«

      Rasch riss sich Sirany von seinem Anblick los, schielte jedoch weiterhin in seine Richtung.

      »Was hast du mit deinem Rücken angestellt?«

      Überrascht über die unverhoffte Frage, drehte sich Elendar zu dem Mädchen um, seine Hose unangezogen in den Händen haltend.

      »Du bist aber direkt«, sagte er verblüfft.

      Sirany hoffte auf eine Antwort. Als die ausblieb, wechselte sie das Thema. »Du gehörst zu den Assaren, nicht wahr?«

      Elendar seufzte tief. »Schüchternheit gehört schon einmal nicht zu deinen Tugenden.«

      »Sei froh, sonst hätte ich bereits den gesamten Wald zusammen­geschrien. Ich liege splitterfasernackt auf deinem Bett und kenne nicht einmal deinen Namen.«

      Während sich Elendar sein Hemd über den Kopf zog, bedachte er das Mädchen mit einem Schmunzeln. »Ja, ich gehöre zu den Assaren. Mein Name ist Elendar. Elendar Assaim, um genau zu sein.«

      »Ich habe mir euch ein wenig … grobschlächtiger vorgestellt.« Sirany legte den Kopf schräg und betrachtete ihr Gegenüber nun eher ungeniert.

      »Wenn ich wirklich so grobschlächtig wäre, wie von den Assaren behauptet wird, dann hätte ich nicht neben, sondern auf dir gelegen.«

      Über das Gesicht, das Sirany nun zog, musste Elendar lachen. Er warf ihr ein altes Hemd zu und schnürte danach seine Stiefel.

      »Ich werde dir eine Hose organisieren. Deine Sachen liegen leider am Fluss und wurden wahrscheinlich bereits von meinen Leuten entsorgt – die waren nach der Bekanntschaft mit meinem Dolch ohnehin unbrauchbar. Hast du Hunger?«

      Sirany nickte und presste sich dankbar das wollende Hemd an die Brust.

      »Gut, dann werde ich uns jetzt was zu essen besorgen. Ich mache mich bemerkbar, wenn ich wieder hereinkomme. Deine Schüchternheit scheint wenigstens so weit ausgeprägt zu sein, dass du dich nicht vor mir anziehen willst.«

      Unwillkürlich streckte ihm das Mädchen die Zunge heraus. Er lachte nur über diese Geste und verließ das Zelt.

      Als Elendar neben seine Männer trat, schnitten diese bereits bezeichnende Gesichter. Kusshändchen, die ihm zugeworfen wurden, und gespieltes Augenklimpern waren die sittsamsten Gesten.

      »Na, wie war die Kleine?«, wurde er sogleich von Sheyn begrüßt, der sich das Lachen kaum verkneifen konnte. »War sie unnahbar wie Eis?«

      Elendar beachtete die derben Sprüche seiner Männer nicht weiter, sondern beugte sich stattdessen über den Topf und begutachtete den Inhalt.

      »Was ist das? Pferdeäpfel?«

      »Dein Soldat vom Fluss. Ist ein bisschen zäh, aber recht schmackhaft. Du hast gesagt, wir sollen ihn entsorgen.«

      »Sehr witzig. Hört auf, solche Sachen zu sagen, sonst werden die Gerüchte um uns noch schlimmer.« Genervt holte sich Elendar zwei Schüsseln und löffelte den seltsamen Eintopf hinein. »Sind Soldaten in den Wald gekommen, um nach dem Vermissten zu suchen?«

      »Ja. Waren sogar hier und fragten nach ihm. Haben ihnen natürlich nichts gesagt. Haben ihnen was vom Eintopf angeboten. Wollten aber nichts.«

      Vorsichtig probierte Elendar etwas von dem Eintopf und war erleichtert, als er definitiv Hirschfleisch schmeckte. Bei seinen Männern konnte man nie genau wissen, was sie als essbar ansahen. Kannibalen waren sie nicht, nur in manchen Dingen besorgniserregend praktisch veranlagt. Da landete auch mal eine Schuhsohle im Essen.

      »Zack, ich brauche eine Hose von dir. Du hast die schmalsten Hüften. Dem Mädchen passen deine Sachen am besten.«

      Zack war es ausgesprochen peinlich, auf einmal im Mittelpunkt der Spötteleien zu stehen. Daher stand er rasch auf, um seinem Anführer die gewünschte Hose zu holen.