Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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      »Frauen kämpfen nicht. Das überlassen wir unseren Männern.«

      Elendar schnaubte abfällig. »Auch die können nicht kämpfen, jedenfalls nicht die Männer deines Volkes.«

      Einen Moment war Sirany ernsthaft eingeschnappt. Seine nächsten Worte besänftigten sie jedoch sofort.

      »Frauen müssen nicht unbedingt mit Schwertern kämpfen können. Sie sollten aber in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen, wenn sich jemand zwischen ihre Beine drängt und sie etwas dagegen haben.«

      Unwillkürlich wurde Sirany tiefrot im Gesicht, als sie sich an die Szene am Fluss erinnerte. Sie hatte sich hilflos, völlig ausgeliefert gefühlt. Die Angst hatte ihr Kraft gegeben zu kämpfen. Ohne Zweifel hätte sie dennoch verloren, wenn Elendar nicht mit seinem Pfeil eingegriffen hätte.

      Sie war gedemütigt worden, erniedrigt. Man hatte sie wie ein Tier behandelt, wie etwas, mit dem man nach Belieben verfahren konnte. Als wäre sie ein Ding, das nichts wert war, außer das Verlangen fremder Männer zu befriedigen.

      »Ich hatte etwas dagegen«, flüsterte sie leise.

      »Ich weiß. Deswegen möchte ich dir auch zeigen, wie du dich zukünftig selbst schützen kannst.«

      »Warum? Wir kennen uns doch kaum. Warum willst du einer dir völlig fremden Frau helfen?«

      Jetzt verdunkelte sich Elendars Gesicht vor Schmerz.

      »Weil ich es an einer anderen Stelle versäumt habe.«

      Kapitel 3

      Siranys und Elendars Wege trennten sich am nächsten Morgen. Er brachte sie mit seinem struppigen Pony bis zum Waldrand, setzte sie dort vorsichtig ab und verabschiedete sich von ihr.

      Sein Herz fühlte sich seltsam schwer an, als er sie langsam die Brücke überqueren sah. Sie humpelte stark, denn ihre halb erfrorenen Zehen schienen ihr nun Schmerzen zu bereiten. Er würde so lange warten, bis sie sicher die Grenzen des Dorfes erreicht hatte. Eher rührte er sich nicht vom Fleck.

      Sie hatte zunächst nicht eingewilligt, sein Angebot anzunehmen. Es war ihr unheimlich, etwas zu erlernen, was sie für reine Männer­sache hielt. Außerdem zögerte sie, sich öfter als nötig mit ihm zu treffen.

      Er gehörte zu den Assaren, einem Volk, das geholfen hatte, ihr Volk zu unterdrücken.

      Elendar verstand sie gut, war auch froh, ihr dennoch das Angebot gemacht zu haben. Alles Weitere lag jetzt in ihrer Hand.

      Seine alte Stute bewegte sich unruhig unter ihm. Sie wollte zurück zu den anderen Ponys und verspürte keine Lust, hier länger zu warten.

      Elendar ermahnte sie sanft, ohne den Blick von Sirany abzuwenden. Bald würde sie die Grenze ihres Dorfes erreicht haben. Ihre schmale Gestalt wurde kleiner und unschärfer. Er lächelte, als er sah, wie sie sich kurz vor Erreichen der ersten Hausfront umdrehte, um ihm mit strahlendem Gesicht zuzuwinken.

      Grüßend hob er die Hand, dann erst wendete er sein Pony, um im Dunkel der Wälder zu verschwinden.

      Sirany erreichte keine fünf Minuten später das Haus ihrer Eltern, schleppte sich die Veranda hinauf und klopfte kraftlos an die Tür. Nur Sekunden vergingen, schon wurde die Tür aufgerissen und ihre Mutter stand vor ihr. Ehe Sirany es sich versah, versank sie in Aileens starken Armen.

      »Sirany, wo bist du nur gewesen? Wir sind ganz krank vor Sorge um dich.«

      Von hinten hörte sie ihren Vater herantreten. Ihre Mutter gab sie frei, um ihre Tochter an ihren Mann weiterzureichen. Sarns Umarmung war voller Erleichterung.

      »Es ist alles in Ordnung mit mir. Ich bin nur müde.«

      Ihre Eltern glaubten ihr kein Wort. Sie wurde sofort ins Bett gesteckt und ihre Mutter bereitete einen Sud vor. Vorsichtig strich Aileen die dicke Paste auf die halb erfrorenen Zehen. »Das sollte die Schmerzen etwas lindern«, erklärte sie. Danach starrte sie ihre Tochter eindringlich an.

      Natürlich verlangten die beiden eine Erklärung, also begann Sirany zu erzählen. Sie berichtete von dem Soldaten. Von Elendars Rettung. Und von seinem Angebot, sie auszubilden. Als sie geendet hatte, schwiegen sie alle. Dann deckte Aileen ihre Tochter bis zum Kinn zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wir sprechen morgen darüber«, sagte sie. »Jetzt schlaf erst einmal.«

      Sie verließen das Zimmer und ließen Sirany allein in ihrem Bett zurück. Die starrte die Decke nachdenklich und mit klopfendem Herzen an. Er hat mich gerettet, dachte sie. In letzter Sekunde. Was wäre geschehen, wenn er nicht da gewesen wäre?

      Sie schauderte bei dem Gedanken. Nein. Das wollte sie sich lieber nicht ausmalen. Aber wäre es nicht besser, sich auf zukünftige Angriffe vorzubereiten? Sich selbst wehren zu können, anstatt auf Rettung zu hoffen?

      Morgen, dachte Sirany. Das entscheidest du morgen.

      Am nächsten Tag lag Sirany mit hohem Fieber im Bett. Eine Erkältung hatte sich in ihren Körper eingeschlichen. Sirany war erneut, als würde der Tod sie holen kommen. Sie verlor jedes Zeitgefühl und bekam nur mit, dass erneut ein Sturm aufzog und das Dorf erschütterte. Wieder fielen mehrere Fuß Neuschnee aus den schwarzen Wolken und fesselte die gesamte Familie ans Haus. Sirany fieberte und fieberte. Ständig verlor sie das Bewusstsein und bekam die Sorge ihrer Eltern mit. Sie hatten nichts Nahrhaftes, um es Sirany anbieten zu können. Beeren und Wurzeln waren nicht das Richtige, um einem fieberndem Körper neue Kraft zu schenken.

      Nach drei Tagen, in denen es Sirany mit jeder verstreichenden Stunde schlechter ging, war ihr Vater aus lauter Verzweiflung bereit, sich trotz des Sturmes in den Wald zu begeben und zu jagen. Ihm war nicht wohl dabei. Seine letzte Jagd war mehr als zehn Jahre her. Seit der Besatzung war es verboten, den Wald zu betreten, geschweige denn Tiere zu erlegen. Die gehörten jetzt dem König der Shari. Sarn atmete tief durch, sprach sich selbst Mut zu und ging los. Er kam nicht weit. Kaum hatte er das Haus verlassen, blieb er wie angewurzelt stehen.

      Über dem Geländer der Veranda hing ein mächtiger Hirsch, daneben zwei Hasen. Der Körper des Hirsches dampfte von der Wärme des Lebens, das er vor kaum einer halben Stunde ausgehaucht hatte. Genau in seinem Herz steckte ein einsamer Pfeil.

      Es war ein Zwillingsbruder des Pfeils, der Sirany vor den Händen des Soldaten gerettet hatte.

      Schweigend nahm der Vater das Geschenk an, zog den Hirsch in die Hütte und rief nach seiner Frau. Aileen schlug vor Freude die Hände zusammen. »Das wird eine gute Suppe«, rief sie, schnappte sich die Hasen und machte sich an die Arbeit.

      Als sie wieder in den Wohnraum trat, sah sie ihren Mann immer noch vor dem nun gehäuteten Hirsch sitzen, den Pfeil in den Händen haltend.

      »Mir scheint, dass jemand Fremdes eine schützende Hand über unsere Tochter hält«, murmelte er.

      »Ja«, sagte seine Frau ebenso leise. So wie es aussieht, kann sie das auch gebrauchen, dachte sie bei sich, sprach diese Worte aber nicht laut aus.

      Dank des Fleisches kam Sirany rasch wieder zu Kräften. Als sie so weit genesen war, dass sie klar bei Verstand war, überreichte ihre Mutter ihr den Pfeil. »Dein Vater hat diesen Hirsch nicht geschossen. Jemand anderes war es«, erklärte sie sanft.

      Sirany starrte den Pfeil lange an und drehte ihn nachdenklich in den Händen. Dann stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.

      Ihre Mutter beobachtete sie dabei und seufzte tief. »Nimm sein Angebot an, Sirany. Lern von ihm, was er bereit ist, dich zu lehren.«

      Ohne aufzublicken, nickte das Mädchen. Sirany war längst klar geworden, dass sie jede Hilfe annehmen musste. Um in dieser feindlichen Welt zu überleben, durfte sie nicht noch