Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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Stelle sein, um ihr zu helfen. Das wollte sie auch gar nicht. Sie wollte auf sich selbst vertrauen können. Doch dazu brauchte sie erst mal Hilfe.

      Zwei Wochen später wagte sich Sirany endlich wieder aus dem Haus. Sie war wackelig auf den Beinen und hatte Schwierigkeiten beim Gehen, aber das Wetter war freundlich und lockte sie in die freie Natur.

      Diesmal wählte sie einen anderen Weg, um zum Waldrand zu gelangen.

      Er war viel länger, beschwerlicher, dafür sicherer. Die Sonne lachte ihr entgegen, als sie ihren Rucksack überstreifte und hinaus aus dem Dorf trat.

      Endlich begann auch der Schnee zu schmelzen, vernichtet durch die tanzenden Sonnenstrahlen, die auf die Erde fluteten. Einige wenige Vögel begleiteten Siranys Schritte mit einem sanften Lied, während der ruhige Wind pfeifend mit einstimmte.

      Die Wälder lagen weiterhin still unter einer Schneeschicht. Im Sonnenlicht wirkten sie nun nicht mehr so bedrohlich. Vielmehr glitzerten die Wassertropfen an den Ästen, tauender Schnee fiel sanft von den mächtigen Stämmen hinab.

      Sirany fand ohne Schwierigkeiten den Weg zum Lager der Assaren. Sie war ihn schon Hunderte Male gegangen, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Es war seltsam, diese Grenze, die sie sich selbst gesetzt hatte, zu überschreiten.

      Sie hatte sich bis auf wenige Schritte an das Lager herangewagt, als eine mächtige Gestalt ihr den Weg versperrte. Vor Schreck blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte den finster dreinblickenden Assaren an, der mit gezogenem Schwert vor ihr stand.

      »Wen haben wir denn da?«, knurrte er übellaunig und baute sich drohend vor ihr auf.

      Augenblicklich wich Sirany zurück, bis sie über eine Wurzel stolperte und fast der Länge nach hinfiel.

      »Lass den Mist, Sheyn.« Ein weiterer Mensch trat aus dem Schatten der Bäume hervor. Sirany erkannte den mit Fellen behangenen Mann sofort wieder. Efnor. Der Mann, der sie zusammen mit Elendar vorm Erfrieren gerettet hatte. Jetzt hatte er einige seiner Schätze abgelegt. Kein Wunder. Die Luft hatte sich durch die Sonnenstrahlen bereits erwärmt. »Sie ist ein Gast«, machte Efnor klar.

      Sheyn knurrte etwas Unfreundliches in seiner Sprache und steckte sein Schwert zurück in die Scheide. Ohne sie weiter zu beachten, drehte er sich um und ließ Efnor und Sirany allein zurück.

      Der fellbehangene Mann seufzte tief und wandte sich Sirany zu. »Bitte entschuldige sein unflätiges Benehmen. Er ist die Gegenwart einer Dame nicht gewohnt.«

      Sirany hätte sich selbst niemals als Dame bezeichnet und schmunzelte daher über diesen Ausdruck. Efnor schien das nicht zu bemerken.

      »Elendar wird sich freuen, dich wohlauf zu sehen. Komm, ich bring dich zu ihm.«

      Das Mädchen folgte dem Assaren hinein ins Lager. Das bestand aus rund zwanzig einfach aussehenden, etwa mannshohen Zelten, allesamt vielfach geflickt und rein zweckmäßig befestigt. Sie trugen die Farben des Waldes, eine perfekte Tarnung, um nicht weiter aufzufallen.

      Die Zelte waren in einem Kreis angeordnet und gruppierten sich um eine Feuerstelle. Ein gelangweilt wirkender Mann rührte ab und zu in einem riesigen, über dem Feuer brutzelnden Kochtopf und flickte hauptsächlich seine Schuhe.

      Die Erde rund um die Feuerstelle war durch viele Stiefeltritte zu einem festen Platz zusammengedrückt worden. Der Schnee war dadurch geschmolzen und triste braune Erde präsentierte sich. Es roch nach Matsch, ungewaschenen Männern und Leder.

      Hinter den Zelten standen einige Ponys dösend im kargen Sonnen­licht. Sie waren so struppig wie am ersten Tag, nur jetzt erheblich magerer. Der Winter hatte auch bei ihnen seinen Tribut gefordert.

      Sirany folgte Efnor durch die Zeltreihen hinüber zu den Ponys. Die reckten bei ihrer Ankunft neugierig die Hälse. Sie waren nur durch großzügige Fesseln an ihren Vorderbeinen an das Lager gebunden und kamen nun langsam näher, um etwas Essbares bei ihnen zu erbetteln.

      Efnor scheuchte sie so gut es ging wieder fort und deutete auf eine triste braun-weiß gescheckte Stute, die an einen Baum gebunden war.

      »Elendar«, sagte er nur.

      Sirany brauchte einen Moment, um den Gesuchten neben der Stute zu entdecken. Er striegelte gerade den Hals des Tieres und sprach dabei mit ihm.

      Dankend verabschiedete sich das Mädchen von Efnor und trat zu der Stute und ihrem Besitzer. Der bemerkte sie erst im letzten Moment und hob erstaunt den Kopf. Dann erhellte sich sein Gesicht vor Freude. »Sirany.« Er ließ Striegel und Bürste fallen und wischte sich hastig die Hände an der Hose ab.

      Sirany erwiderte sein Lächeln und war unsicher, wie sie ein Gespräch mit ihm anfangen konnte. Um sich Zeit zu verschaffen, wandte sie sich der Stute zu und zupfte Dreck aus ihrem Fell.

      »Ich habe mir die Pferde der Assaren etwas edler vorgestellt«, sagte sie. Die Stute war für ein Pony recht groß, aber abgemagert und erschöpft. »Als edles Ross kann man dieses Tier nicht gerade bezeichnen. Ich habe mir dein Pferd als wilden, riesigen schwarzen Hengst vorgestellt.«

      »Du denkst zu viel.«

      Die Stute bewegte sich plötzlich, hob den Kopf und stupste ihren Herrn fordernd an, sie weiter zu kraulen.

      »All unsere Pferde sind trittsichere Tiere, die im Gebirge groß geworden sind. Da ist es besser, klein und wendig zu sein, als groß und erhaben. Diese Stute gehörte früher meiner Schwester. Als mein Wallach mir gestohlen wurde, habe ich ihn durch sie ersetzt. Das Gute an ihr ist, dass man sie mir bestimmt nicht klaut. Ich müsste höchstens draufzahlen, um sie loszuwerden.« Plötzlich wurde er ernst. »Sie ist schnell und hat mir schon oft das Leben dadurch gerettet. Willst du sie mal reiten?«

      »Ich kann nicht reiten.«

      »Dann musst du viel lernen.«

      »Ja, das muss ich wohl. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir dabei helfen würdest.«

      Der Assar traute zuerst seinen Ohren nicht und neigte schließlich lächelnd den Kopf. »Es wäre mir eine Ehre.«

      Ihm war bewusst, dass sein Angebot für Sirany gefährlich war. Es konnte sie vor zukünftigen Übergriffen retten oder in noch größere Schwierigkeiten bringen. Das lag zum einen daran, dass er ein Assar war. Zum anderen hatte er Feinde, die ihn sehr genau beobachteten.

      Mächtige Feinde.

      Sein bester Freund Efnor war entsprechend entsetzt, als er von der Vereinbarung erfuhr. »Das kann sie umbringen«, warnte er Elendar eindringlich.

      »Wenn ich ihr nicht helfe, ist sie so gut wie tot. Sie ist viel zu hübsch, um länger von Kumas Soldaten unbemerkt zu bleiben. Früher oder später wird sie um ihr Leben kämpfen müssen. Dann ist es besser, wenn sie vorbereitet ist.«

      »Oder du sprichst das Todesurteil über sie, weil sie sich mit dir eingelassen hat. Findest du nicht, du solltest sie warnen?«

      »Vor mir selbst? Wenn ich das tue, wird sie mich meiden. Ich bin aber ihre einzige Chance, sich selbst zu retten. Nein. Wir müssen das Risiko eingehen. Das sind wir ihr schuldig.«

      Efnor wirkte wenig überzeugt, doch Elendars Entschluss stand fest. Er verschwieg ihr sein größtes Geheimnis, um sie zu schützen. Gleichzeitig konnte er nur hoffen, dass ihn seine Vergangenheit niemals einholte.

      Denn dann war sie in größerer Gefahr als ohnehin schon.

      Sirany ahnte von all diesen Überlegungen nichts. Für sie begann in den nächsten Monaten eine schöne Zeit. Es war ausgesprochen kompliziert, unbemerkt den Wald zu erreichen, aber das war ihr die Zeit mit Elendar wert.

      Zuerst war es schwierig für beide, sich aneinander zu gewöhnen. Elendar war ein strenger Lehrer, der während der Arbeit nicht viel Spaß verstand.