Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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Elendar. Was hast du dir dabei gedacht, das Mädchen hierherzuschleppen? Es zu retten ist eine Sache, sie gleich ins Lager der Assaren zu bringen eine ganz andere. Außerdem hast du einen Soldaten aus Kumas Reihen getötet.«

      Elendar hatte mit derartigen Vorwürfen bereits gerechnet.

      »Wenn ich sie hätte dort liegen lassen wollen, hätte ich ihr gar nicht erst in den Fluss hinterherspringen zu brauchen. Außerdem sind wir ihr was schuldig.«

      Jetzt starrten ihn gut zwanzig Männer wie verwundert drein­blickende Hornochsen an.

      »Besonders du, Efnor, stehst in ihrer Schuld. Ohne die fieber­stillenden Mittel wärst du damals garantiert gestorben.«

      Stille trat ein, unterbrochen von Zacks Stampfen, als er zurückkam und Elendar die Hose überreichte.

      »Das war sie?«

      »Ja.«

      Damit war die Sache für Elendar erledigt und er stand auf, um dem Mädchen die Hose und das Essen zu bringen.

      Wie angekündigt, klopfte er zuerst gegen das Holzgestell des Zeltes und trat dann erst ein. Sirany saß mit angewinkelten Beinen auf dem Haufen Felle.

      Als sie den Mann eintreten sah, zog sie sich rasch das Hemd weiter hinunter und warf Elendar ein freundliches Lächeln zu. Er erwiderte die Geste, trat an sie heran und reichte ihr die Hose zusammen mit dem Essen.

      Sie nahm beides dankbar entgegen und deutete gleichzeitig auf ihre Füße.

      »Ich glaube, ich habe zwei Zehen verloren.«

      Mit einem Mal wirkte sie nicht mehr so fröhlich wie zuvor. Elendar beugte sich vor und betrachtete ihre Füße nachdenklich. Sie waren ganz blau, zwei Zehen begannen sich gräulich zu färben.

      »Zieh dich an. Ich hole dir heißes Wasser. Da kannst du deine Füße drin baden. Eventuell bringt sie das wieder ins Leben.«

      Erst nachdem Elendar das Zelt wieder verlassen hatte, zog sich Sirany vorsichtig weiter an. Ihr Fuß war taub von der Kälte, einige Zehen hingegen schmerzten schrecklich. Von den zwei gräulich verfärbten spürte sie nichts.

      Keine fünf Minuten später kam Elendar zurück, setzte einen großen Topf zu ihren Füßen ab und machte eine einladende Bewegung. Sirany wusste, dass ihr nun nichts anderes mehr übrig blieb und fügte sich in ihr Schicksal. Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht tunkte sie ihre Füße in das Wasser und verbiss sich die aufsteigenden Tränen.

      »Verdammt, tut das weh«, war alles, was sie sagen konnte.

      Elendar setzte sich neben sie. Er war sich nicht sicher, was er jetzt mit dem Mädchen anfangen sollte, und daher schwieg er. Sirany betrachtete währenddessen misstrauisch ihre Füße. Auch sie blieb ruhig, während sich ihr Herzschlag langsam beschleunigte. Mit Stille war sie niemals gut klargekommen. Einen frostig schweigenden Assaren dabei neben sich sitzen zu haben, war noch viel beängstigender. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus.

      »Was habt ihr jetzt mit mir vor?«

      Elendar ließ sich Zeit mit der Antwort. »Dich zurückbringen, sobald es das Wetter zulässt. Du hast uns in all den Monaten nicht verraten, dann wirst du es jetzt erst recht nicht mehr tun.«

      Sirany warf ihm einen überraschten Blick zu.

      »Du bist doch unsere kleine Kräutersammlerin mit den Blümchen auf den Gräbern und dem Korb mit fieberstillenden Mitteln?«

      Trotz ihrer Schmerzen musste Sirany über diese Ausdrucksweise lachen. Ja, das war sie wohl. Also nickte sie.

      »Außerdem wüsste ich nicht, an wen du uns verraten solltest. Numa Kamus Soldaten wissen, wo sie uns finden können, und deine Leute aus dem Dorf werden uns bestimmt nicht besuchen kommen.«

      »Nein, bestimmt nicht.«

      Danach kehrte wieder Ruhe ein. Nach kurzer Zeit döste Elendar ein, eingelullt durch das sanfte Plätschern des Wassers, wenn Sirany ihre Füße bewegte.

      Er war von einem anstrengenden Fußmarsch zurückgekehrt und hatte sich auf sein warmes Lager gefreut. Stattdessen hatte er einem Mädchen in die eisigen Fluten eines wilden Flusses folgen müssen. Der Schlafmangel, der ihn seit vier Tagen begleitete, forderte nun seinen Tribut.

      Sirany ließ ihn schlafen und warf ihm nur ab und an einen nachdenklichen Blick zu.

      Nach einiger Zeit, in der Sirany stumpfsinnig ihre Füße angestarrt hatte, meldete sich ihr Magen. Sie erinnerte sich an den Eintopf, den ihr Elendar mitgebracht hatte, und nahm ihn zur Hand.

      »Warum bist du so dürr wie eine ausgehungerte Hyäne?«, fragte Elendar unvermittelt. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Augen zu öffnen.

      »Vielen Dank für das Kompliment«, antwortete sie bissig, schluckte und verzog das Gesicht. Kochen mussten die Assaren noch lernen. Oder sie besaßen einen ausgesprochen abartigen Geschmack.

      »Die Shari verlangen hohe Abgaben von uns. Das wenige Vieh, das wir besitzen, müssen wir am Jahresende zum Großteil abgeben. Genauso wie unsere Ernte. Da bleibt nicht viel für uns zum Leben außer Wurzeln und Beeren, die ich im Wald sammle.«

      »Das wird sich bald ändern. Ich kenne die Shari. Sie werden in ein paar Monaten, spätestens in einem Jahr das Land als befriedet einstufen und mit ihrem Heer zu neuen Eroberungen weiterziehen. Zurück bleiben ein paar wenige Lehnsherren, die euch im Auge behalten werden. Je weniger Soldaten ihr im direkten Umfeld zu ernähren habt, desto mehr bleibt für euch. Natürlich müsst ihr auch weiter eure Abgaben zahlen, aber wenigstens plündern euch die anwesenden Soldaten nicht mehr länger. Es wird einfacher werden.«

      Sirany warf ihm einen abschätzenden Blick zu. »Gehören die Assaren zu den Shari?«

      Augenblicklich warf Elendar ihr aus seinen dunklen, so wissend blickenden Augen einen empörten Blick zu. »Nein, ganz bestimmt nicht«, sagte er inbrünstig.

      »Warum helft ihr ihnen dann?«

      »Warum helft ihr ihnen? Ihr gebt ihnen eure Söhne mit, damit sie für die Shari kämpfen. Ihr gebt all euer Essen her, damit ihre Soldaten leben können. Ihr verhungert, um den Shari zu helfen. Also? Warum helft ihr ihnen?«, entgegnete er.

      »Weil wir es müssen. Wir sind von ihnen überrannt und versklavt worden.«

      »Genauso erging es uns. Auch wir müssen tun, was man uns befiehlt. Wir kämpfen mit ihnen, um unsere Familien zu schützen.«

      Sirany starrte ihn überrascht an. Sie hätte niemals gedacht, dass ein so mächtiges, von vielen Kämpfen geformtes, unglaublich Furcht einflößendes Volk von den Shari überrannt werden könnte. »Jeder hat Angst vor euch. Sogar die Shari. Ich habe oft gehört, wie die Soldaten über euch geredet haben. Als wäret ihr Geister, die jeden heimsuchen würden, der sich euch widersetzt.«

      »Unsere Besatzung ist eine lange, traurige Geschichte. Ich will sie dir nicht erzählen.«

      Eine dunkle Erinnerung huschte durch Elendars Gedanken, als er sich unwillkürlich in die schreckliche Zeit der Invasion zurückversetzte.

      »Die Assaren sind besiegt worden, aber sie sind nicht tot. Das wissen die Shari. Sie fürchten uns, wie ein Wärter sich vor einem Raubtier im Käfig fürchten sollte. Denn obwohl es eingesperrt ist, hat es weiter Klauen und Fangzähne.«

      Sirany verstand ihn. Sein Volk nährte sich von der Hoffnung, sich irgendwann von dem Joch der Unterdrückung befreien zu können. Bis es so weit war, taten sie wie geheißen und gehorchten.

      Eine Weile sagte keiner der beiden etwas. Elendar war wie gefangen in der Welt seiner Erinnerungen, während sich Sirany mit ihren Füßen beschäftigte, die wild kribbelten und schmerzten.

      »Für dein Volk kann ich nichts tun, Sirany. Aber vielleicht für dich.«

      »Für mich? Wie kann man mir helfen? Und wobei?«

      »Ich habe deinen kleinen