Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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wollte das Mädchen retten und nicht umbringen. Wirklich.

      Stattdessen musste er nun mit ansehen, wie das Mädchen die Böschung hinunterrutschte und vom wild donnernden Fluss verschluckt wurde. Es tauchte einmal komplett unter, kam prustend wieder zum Vorschein und kämpfte verzweifelt um sein Leben, versuchte panisch das rettende Ufer zu erreichen.

      Elendar reagierte sofort. Hastig ließ er Pfeil und Bogen zu Boden fallen und rannte am Ufer entlang, dem von den Fluten davon­getragenen Mädchen hinterher.

      Er war von Kind auf stets der Schnellste und Wendigste gewesen, doch dies war eine neue Herausforderung. Der Fluss war reißend, spielte mit der gefangenen jungen Frau, als sei sie nur ein albernes Spielzeug, riss sie mehr und mehr von ihm fort.

      Gerade als Elendar aufgeben wollte, sah er ihren Schopf wieder aufblitzen. Sie musste all ihre Kraft zusammengenommen haben, um sich an den Rand des Flusses zu retten. Dort floss das Wasser etwas langsamer – und genau das verschaffte Elendar die Möglichkeit, wieder aufzuschließen.

      Sirany indes verkrallte sich mit ihren Händen in einem Stein, drei Schritt vom Uferbereich entfernt. Das Moos war glitschig zwischen ihren Fingern, ihr Halt war mehr als bedenklich. Wütend zerrte der Fluss an ihr und ihren Kleidern, versuchte sie in die tieferen Bereiche seines Reiches zu ziehen. Doch noch gab Sirany nicht auf.

      Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie es nicht bis ans Ufer schaffte. Mit der gleichen Gewissheit wusste sie auch, dass sie nicht sterben wollte. Also kämpfte sie wie nie zuvor in ihrem Leben. Gegen die Kälte, gegen den Sog. Doch langsam, ganz langsam kroch der Tod in ihre Glieder. Die Kälte machte sie taub und gefühllos, ihre Finger gehorchten ihr immer weniger. Sie zwang sich dennoch, nicht loszulassen.

      Elendar erblickte sie in der Sekunde, als ihre Kraft sie gerade verließ. Ihre Hand löste sich unaufhaltsam von dem rettenden Stein, Finger für Finger. Dann war da … nichts mehr, nur der unendliche Sog. Der Fluss packte wieder zu und zerrte sie mit sich. Sie ging unter.

      Daher sah sie den spektakulären Hechtsprung nicht, den Elendar in dieser Sekunde vollführte.

      Der junge Mann warf sich hinein in die Fluten, lang gestreckt, jeder Muskel angespannt. Er wusste: Er hatte nur eine Chance, sie zu packen. Er erwischte einen ihrer Arme, fasste zu und hielt ihren davontreibenden Körper auf.

      Mit aller Kraft stemmte er die Beine in den Uferschlamm und lehnte sich gegen die Kraft des Flusses. Das Rauschen des Wassers dröhnte in seinen Ohren. Er schaffte es, sich aufrecht zu halten und die junge Frau zu sich heranzuziehen. Schritt für Schritt schleppte er sich Richtung Ufer, die Fremde mit sich ziehend. Dann endlich erreichte er trockene Erde. Der Sog ließ nach und er konnte sie in seine Arme und aus dem Wasser ziehen.

      Zwei Schritte, drei. Schließlich hatte er den Fluss besiegt. An Ort und Stelle ließ er sich und die Fremde zu Boden gleiten. Ihr Atem ging hektisch und er gefror augenblicklich zu feinen weißen Dampfwolken vor den Mündern. Das erinnerte ihn unweigerlich an die eisige Kälte.

      Das Mädchen lag wie tot vor ihm. Es hatte die Finger seltsam verkrampft, zuckte wie im Todeskampf und atmete nur stoßweise. Die Haut schimmerte milchig weiß und hatte jegliche Farbe verloren. In den Haaren glitzerten bereits die ersten Eiskristalle wie funkelnde Edelsteine.

      Elendar wusste, dass sie erfrieren würde, wenn er nicht bald etwas unternahm.

      Mit fahrigen Fingern zog er seinen Dolch, setzte ihn an der Kleidung der jungen Frau an und begann, sie aufzuschneiden. Die letzten Fetzen riss er regelrecht von ihrem Körper, während sie es willenlos über sich ergehen ließ. Er sah in ihrem Blick helle Panik, vermischt mit Resignation und Unglauben. Dennoch unternahm sie keinen Versuch, seinen Fingern zu entkommen, selbst dann nicht, als er sie bis auf die nackte Haut entkleidet hatte.

      Ohne ein Wort mit ihr zu wechseln, entledigte er sich ebenfalls seiner nassen Kleidung. Dann zog er ihren Körper zu sich heran, presste ihn an sich und umhüllte sie beide mit seinem Mantel, den er aus reinem Instinkt am Ufer hatte liegen lassen, bevor er dem Mädchen in die eisigen Fluten gefolgt war.

      Dieses eine trockene Kleidungsstück war nun ihre einzige Hoffnung, sie vor dem Erfrieren zu bewahren.

      Sirany lag wie erstarrt in den Armen des fremden Mannes. Er hatte ihren Kopf gegen seine Brust gepresst, die Arme fest um ihren Körper geschlungen und den Mantel wie einen schützenden Kokon um sie beide gelegt. Er lag halb auf ihr, presste seine nackte Haut auf ihre, um seine Körperwärme mit ihr zu teilen.

      So lagen sie eine Ewigkeit da, während das Mädchen dem sanften Herzschlag ihres Retters lauschte. Am Anfang hatte sein Herz gehämmert, als wollte es einen Wettbewerb gewinnen, nach und nach hatte es sich jedoch beruhigt.

      Die beiden wussten, dass sie nicht ewig so liegen bleiben konnten. Früher oder später würde die Kälte sie töten, die nun unweigerlich auch durch den Mantel drang. Durch die geringe Körperwärme, die von dem Mann ausging, erwachten wenigstens Siranys Arme und Beine zum Leben.

      Sie begann, sich zu entspannen. Immerhin hatte der Mann bisher keinerlei Anstalten gemacht, über sie herzufallen – so wie es der Soldat nur Minuten vorher getan hatte.

      Das Gebüsch bewegte sich direkt neben ihren Köpfen und ein in dicke Felle gehüllter Mann trat hervor. Er erstarrte bei dem seltsamen Anblick.

      Verwundert fragte der Fremde ihren Retter etwas in einer Sprache, die Sirany nicht verstand. Dieser antwortete kurz und knapp, erst danach trat der Fremde zu ihnen und legte eines seiner Felle über sie.

      Für einige Zeit bewegte sich niemand. Sirany fühlte sich durch die Anwesenheit des Fremden bedrängt, verängstigt. Sie lag nackt unter einem Mantel und einem Fell, umgeben von zwei Männern, denen sie niemals in ihrem Leben begegnet war.

      Sie war ihnen völlig ausgeliefert.

      Als sich ihr Retter neben ihr bewegte und dabei mit dem Arm über ihre Brust strich, erstarrte Sirany vor Schreck und wagte keinen Atemzug. Zum Glück war die Berührung nur zufällig gewesen. Ihr Retter richtete sich lediglich auf und befreite sich von den Über­würfen. Fröstelnd schlang er die Arme um sich und nahm dankbar den Mantel entgegen, den ihm der Fremde hilfreich entgegenhielt.

      Erst nachdem er sich fest eingehüllt hatte, drehte er sich zu Sirany um. Die hatte sich mittlerweile aufgerichtet und saß nun mit wild klappernden Zähnen da. Ängstlich presste sie die beiden Kleidungsstücke an sich und versuchte sich damit so gut es ging zu verhüllen.

      »Du musst dich bewegen, wenn du nicht erfrieren willst«, sagte ihr Retter unverhofft.

      Seine Stimme klang weich, fast wohltuend beruhigend, mit einem sehr starken Akzent, den Sirany nicht einzuordnen vermochte.

      Sirany war nicht fähig zu sprechen. Ihre Lippen zitterten zu sehr vor Kälte, ihr gesamter Unterkiefer war vor Eis wie erstarrt. Also nickte sie lediglich und bemühte sich nach Kräften, auf die Beine zu kommen. Sie schaffte es erst, als ihr Retter ihr hilfreich unter die Achseln griff.

      Dann stand sie da. Zitternd, halb von Sinnen vor Kälte, fast nackt und völlig ungeschützt. Sie stand knöcheltief im Schnee, barfuß, denn ihre Schuhe waren im Fluss verloren gegangen. Ihr war, als müsste sie jeden Moment erfrieren.

      Elendar betrachtete das Mädchen einen Moment prüfend und befand, dass er sich erst um sich selbst kümmern musste, um ihr helfen zu können. Efnor hatte zum Glück die Angewohnheit, mit Fellen bepackt wie ein frierender alter Esel herumzulaufen. An wärmenden Decken mangelte es ihnen daher nicht.

      Efnor gab so viel ab, wie er entbehren konnte, und reichte schließlich sogar seine letzte Lage Fell an das Mädchen weiter. Nun stand auch er frierend da, nur noch bekleidet mit seinem alten, löchrigen Hemd. Er war jedoch Kummer gewohnt und kümmerte sich nicht weiter um die Kälte.

      »Hol Hilfe«, wandte sich Elendar an seinen Freund und sprach extra Assarisch, damit das Mädchen ihn nicht verstand. »Wir brauchen ein Pferd, um schneller ins Lager zu kommen. Sag Sheyn, er soll Steine ins Feuer legen und Felle warm halten. Wir gehen euch entgegen.« Eine Sekunde zögerte er, dann fügte er hinzu: »Am Fluss­ufer