Die Tote vom Chiemsee. Gretel Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gretel Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416555
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müssen wir dich jetzt noch fragen, wo du gestern zwischen acht Uhr abends und zwei Uhr nachts warst, Theo«, sagte Fanderl.

      »Hier in der Wirtschaft, im Ausschank, von abends sieben bis nach eins. Und dann hab ich noch aufgräumt«, antwortete Theo. »Meine Eltern und die Lisi können’s bezeugen. Der Alfred hat freighabt.«

      In diesem Moment öffnete sich die Küchentür, und die Lisi rief: »Kommst jetzt endlich zum Kartoffelschälen?«

      Theo stand auf.

      Fanderl und Benedikt tranken ihren Kaffee aus.

      »Also der trauert schwer, der Theo, und außerdem hat er ein handfestes Alibi. Aber diesen Alfred müssen wir uns unbedingt schnell vorknöpfen«, meinte Benedikt.

      »Dass wir zwei uns immer mit so braunen Gesellen rumschlagen müssen«, sinnierte Fanderl vor sich hin.

      »Sei vorsichtig mit dem, was du sagst, du bist Staatsdiener! Haben sie dich eigentlich noch nie gefragt, wann du in die Partei eintrittst?«, fragte Benedikt. »Ich steh da ganz schön unter Druck.«

      Fanderl zuckte die Achseln. »Ich hab gesagt, dass ich ja schon Wachtmeister bin und außerdem noch Mitglied in der freiwilligen Feuerwehr. Das wäre genug! Seitdem hab ich nix mehr ghört.«

      »Na, wart’s mal ab«, meinte Benedikt pessimistisch.

      5

      Als Fanderl und Benedikt den Seewirt verlassen wollten, trafen sie an der geöffneten Tür mit einem wahrlich aufsehenerregenden Paar zusammen. Die eintretende Dame war groß und stattlich, sie trug einen wallenden schwarzen Nerzmantel und einen ebenso schwarzen Hut mit Federn. Der Spitzenschleier vor ihrem Gesicht war auf so raffinierte Weise durchsichtig, dass man die stark geschminkten Züge darunter ziemlich genau wahrnehmen konnte. Unter dem Hut und seitlich des Schleiers quollen blondierte Locken hervor. Ihr folgte ein Mann mit schwarzer Pelerine und einem schwarzen Filzhut, er war wesentlich schmaler als die Dame und auch um einiges kleiner. Benedikt war sofort klar, wen er da vor sich hatte: das legendäre und skandalumwitterte Schauspielerehepaar Siegfried und Henriette von Prielmayer, die Eltern der toten Flora.

      Durch Fini Pichler, die Sekretärin des Kommissariats, die eine begeisterte Theatergängerin und stets bestens über das Leben der Schauspieler informiert war, wusste Benedikt von Lindgruber so einiges über das Paar. Zum Beispiel war niemandem so recht klar, wie das »von« vor den urbayerischen Namen Prielmayer gelangt war. Manche behaupteten, der Prielmayer habe sich den Adelstitel einfach selbst verliehen, er stamme ganz schlicht aus der bekannten Metzgerfamilie Prielmayer, die in München mehrere Geschäfte hatte. Andere meinten, er sei der uneheliche Sohn einer Fanny Prielmayer, einer mittelmäßigen Varieté-Tänzerin, und sein Vater der Sänger Gerofried Liebsam vom Gärtnerplatztheater, der es nie in die erste Besetzung geschafft hatte.

      Jedenfalls war Siegfried von Prielmayer als sehr junger Mann wie Phönix aus der Asche in den Besetzungslisten des Münchner Schauspielhauses aufgetaucht und hatte in kürzester Zeit die Herzen des Publikums erobert, vor allem natürlich die der Frauen. Mit dichtem schwarzen Haar, glutvollen dunklen Augen und einem äußerst fein geschnittenen Gesicht war er eine eindrucksvolle Erscheinung. Seine eher helle Stimme war weich und flirrend, konnte aber, wenn die Rolle es verlangte, durchaus an Kraft und Stärke gewinnen. Der einzige Makel Prielmayers war, dass er nicht sehr groß gewachsen war. Er trug deshalb immer Schuhe mit erhöhten Absätzen und sehr lange Hosen, die diese verbargen.

      Natürlich war der junge Schauspieler, der von Beginn an eine Rolle nach der anderen spielte, kein Kostverächter, und so reihte sich, bis er Henriette Rottmann kennenlernte, Affäre an Affäre. Das sollte nicht heißen, dass sich die beiden dann in ihrem Zusammenleben besonders treu gewesen wären, nein, alle zwei gingen des Öfteren »ganz schön nebennaus«, was zwangsläufig zu familiären Szenen führte, die absoluten Bühnencharakter hatten.

      Siegfried von Prielmayer und Henriette Rottmann hatten sich bei einer privaten Faschingsfeier kennengelernt, zu der Henriette, im Haar eine wilde Federkombination, in einem fleischfarbenen Trikot erschienen war, das nichts, aber auch gar nichts von ihren üppigen weiblichen Formen verbarg, und Siegfried war ihr auf der Stelle verfallen. Die junge Frau war nach dem Besuch so einiger Internate wieder nach München zurückgekommen und hatte sich in den Kopf gesetzt, Schauspielerin zu werden. Allerdings war sie zweimal durch die Aufnahmeprüfung der Schauspielschule gefallen, und auch dem privaten Schauspiellehrer Gero Hauptmann, den sie jahrelang konsultierte, war es nicht gelungen, ihr sonderlich viel schauspielerisches Können beizubringen.

      Möglicherweise wäre die Liaison zwischen Siegfried und Henriette von gar nicht so langer Dauer gewesen, hätten nicht beide über einen messerscharfen, berechnenden Verstand verfügt. Henriette erkannte, dass ihr der gefeierte Jungschauspieler den Weg auf die ersehnte Bühne bereiten konnte, und für Siegfried sollte es durch die Verbindung mit der wohlhabenden Bürgerstochter endlich vorbei sein mit Geldknappheit und Schulden. So wurde eine selbstverständlich rauschende Hochzeit gefeiert, und bald stand natürlich auch Henriette auf den Brettern, die die Welt bedeuten, allerdings zu ihrer Empörung nur in den kleinsten und unbedeutendsten Rollen.

      Ihre ständigen Beschwerden und Auftritte beim Intendanten brachten große Unruhe in die Truppe, und so waren alle mehr als erleichtert, als sie verkündete, dass sie guter Hoffnung sei und sich deshalb für einige Zeit von der Bühne zurückziehen werde. Nach einer komplizierten Schwangerschaft, bei der Henriette unnatürlich viel Gewicht zulegte, wurde die hübsche kleine Flora geboren. Nach zwei Jahren kehrte Henriette mit einer deutlich üppigeren Figur auf die Bühne zurück und fand sich schließlich damit ab, Frauen mittleren Alters und sogenannte Matronenrollen zu verkörpern.

      Neben der Schauspielerei beteiligte sie sich lebhaft am gesellschaftlichen Leben der Stadt, und da ihr Mann mittlerweile schlanke, sehr junge Damen bevorzugte, nahm sie sich ebenfalls einen Liebhaber nach dem anderen. Die kleine Flora, die mehr oder weniger von der Haushälterin aufgezogen wurde, sah diesem Treiben mit erstaunten Kinderaugen zu.

      Fanderl, dem inzwischen auch klar geworden war, wen er da vor sich hatte, trat auf die beiden schwarzen Gestalten zu.

      »Wenn Sie gestatten«, sagte er und deutete einen leichten Diener an, »Wachtmeister Gustav Fanderl. Ich bin mit den Ermittlungen zum Tode Ihrer Tochter Flora befasst. Das ist mein Kollege, Polizeioberkommissär Benedikt von Lindgruber aus München, ebenfalls in dieser Angelegenheit ermittelnd tätig. Unser tief empfundenes Beileid.«

      Die schwarz gekleidete Dame schluchzte etwas theatralisch auf, taumelte, und Fanderl fürchtete einen Moment lang, sie würde Benedikt in die Arme sinken. Doch sie klammerte sich dann doch an ihren Mann, der aufrecht und steif dastand und keine Anstalten machte, sie zu stützen oder gar den Arm um sie zu legen. So geleiteten die beiden Ermittler das dunkle Paar zu ihrem Tisch und orderten beim Wirt noch einmal Kaffee.

      »Und einen Cognac, bitte«, rief die Dame hinterher.

      Da ihr Mann sich sofort gesetzt hatte und apathisch vor sich hin starrte, half Benedikt ihr aus dem Mantel. Sie schlug den Schleier mit einer gekonnten Handbewegung zurück, und Benedikt fiel auf, dass ihre auf aparte Art schwarz umrandeten Augen keine Spur von in den letzten Stunden geweinten Tränen zeigten. Fanderl wiederum stachen die vollen, dunkelrot geschminkten Lippen Henriette von Prielmayers ins Auge, und er fragte sich, wie man in einer derartigen Lebenssituation noch so viel Wert auf sein Aussehen legen konnte.

      Siegfried von Prielmayer sah im Gegensatz zu seiner Frau wesentlich erschütterter aus. Sein schon von Natur aus blasses Gesicht war erschreckend bleich, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Seine Augen blickten starr und stechend, und Benedikt fragte sich, ob er vielleicht etwas eingenommen hatte. Während seine Frau ihr Cognacglas leerte, ergriff von Prielmayer mit seiner hellen, klaren Bühnenstimme das Wort.

      »Wir waren schon auf der Insel bei meiner Schwägerin. Sie hat das Kind nicht beschützt und so der Welt eine außerordentlich vielversprechende junge Schauspielerin genommen!«

      Henriette von Prielmayer schluchzte in der gleichen theatralischen Weise wie zuvor und betupfte ihre Augen mit einem Spitzentüchlein.

      Dann bat von Prielmayer: