Die Tote vom Chiemsee. Gretel Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gretel Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416555
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ihn an, als hätte er einen absolut unanständigen Wunsch geäußert, besann sich dann aber wieder auf ihre Rolle und schluchzte erneut auf.

      Nun wandte sich Benedikt an beide zugleich: »Dürfen wir Ihnen, bevor wir Sie nach Rosenheim bringen, noch ein paar Fragen stellen?«

      Von Prielmayer erhob sich, als wollte er einen Monolog halten. »Jetzt, jetzt wollen Sie uns befragen? Jetzt, in unserer unermesslichen Trauer, und noch bevor wir von unserem Kinde Abschied genommen haben?« Er erhob seine Stimme, die nun dunkler und getragener klang, so als hätte er die Rolle gewechselt. »Machen Sie sich lieber auf die Suche nach dem Mörder, der offenbar noch frei hier in der Gegend umherläuft, und lassen Sie uns in unserer tiefen Trauer allein.«

      Und wieder, wie auf ein Stichwort hin, schluchzte Frau von Prielmayer auf.

      Fanderl, der sich bis jetzt pietätvoll beherrscht hatte, ging diese gekünstelte Schluchzerei allmählich gehörig auf die Nerven. Mit seiner gestrengen Polizistenstimme, die er mittlerweile recht gut beherrschte, wandte er sich an das Paar: »Dann müssen wir Sie leider zu einer offiziellen Befragung einbestellen.«

      »Tun Sie, was Sie nicht lassen können, meine Herren Wachtmeister«, antwortete von Prielmayer herablassend. »Würden Sie uns nun bitte eine Droschke rufen, die uns nach Rosenheim bringt.«

      Normalerweise hätten Fanderl oder von Lindgruber trauernde Angehörige selbst zur Gerichtlichen Medizin gefahren, doch in diesem Fall sahen sie keine Veranlassung dazu. So endete der Auftritt der beiden mit einem weiteren Schluchzen von Frau von Prielmayer und einem stechenden Blick des Herrn von Prielmayer. Auf die Idee, ihren Kaffee und den Cognac zu bezahlen, kamen beide nicht.

      Fanderl ließ sich auf seinen Stuhl fallen und trank den inzwischen schon kalt gewordenen Kaffee aus.

      »Da können wir uns auf was gefasst machen, mit dene zwei«, stöhnte er.

      Benedikt nickte. »Aber wir lassen nicht locker. Ich denke, dass es das Beste ist, wenn wir sie in München in ihrer gewohnten Umgebung aufsuchen. Wir müssen eh das genauere Umfeld der Toten dort in Augenschein nehmen.«

      Währenddessen saß Franzi, obwohl Berta ihr eigens Kipferl mit hausgemachter Himbeermarmelade hingestellt hatte, missmutig am Frühstückstisch. Die halbe Nacht hatte Benedikt versucht, ihr klarzumachen, dass er seinen Freund Fanderl nicht im Stich lassen könne, Flitterwochen hin oder her. Franzi hatte zwar weiterhin gewettert und geschimpft, doch in ihrem Innersten konnte sie ihren Ehemann schon verstehen.

      Was die zeitweilige Versetzung nach Rosenheim betraf, so sei da sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen und er werde vehement dagegen protestieren, hatte Benedikt ihr versprochen. Doch zwischen den Zeilen hatte Franzi schon bemerkt, dass er keine sonderlich großen Hoffnungen hatte, gegen Paschke anzukommen, und dass er womöglich sogar erleichtert war, ein wenig aus dem Gesichtsfeld des fanatischen Nationalsozialisten zu rücken.

      Doch wie sollte das gehen? Sie, Franzi, in München, er, Benedikt, in Rosenheim? Und das Kind? Ihr Hutatelier würde sie jedenfalls auf keinen Fall aufgeben.

      Franzi biss nun doch mit Appetit in ihr Kipferl und nahm sich vor, sich durch diese neuen Umstände die Laune nicht verderben zu lassen. Sie musste sich einfach etwas einfallen lassen für die nächsten Tage, und sie beschloss, an diesem Nachmittag Gustav Fanderls Frau Therese einen Besuch abzustatten. Sie mochte Therese, die um einiges jünger war als sie und aus einfachen Verhältnissen stammte, sehr gern, denn sie war immer fröhlich und herzlich und hatte einen äußerst gesunden Menschenverstand.

      Therese Fanderl freute sich sehr über Franzis Besuch. Sie saßen in der guten Stube, tranken Holundersaft und unterhielten sich über die beschwerlichen ersten Monate der Schwangerschaft, über den schwierigen Beruf ihrer Männer und natürlich auch über das so außergewöhnliche Wetter, das in den letzten Tagen den frühherbstlichen Chiemgau zur Winterlandschaft gemacht hatte. Mittlerweile schien jedoch immer mal wieder die Sonne, es war um etliche Grade wärmer geworden, und der Schnee war vollkommen weggetaut. Während der See fast sommerlich blau blitzte, waren die Berge noch bis fast ins Tal mit Schnee bedeckt. Überall tropfte und plätscherte es, und die dunkelroten Geranien an den Fenstern des Fanderlhauses, die vom Schnee nahezu erdrückt worden waren, zeigten nun doch wieder Leben und reckten ihre Blüten der Sonne entgegen.

      Während sich beiden Frauen unterhielten, rannte der kleine Korbinian unermüdlich durch die Stube und schob ein kleines Polizeiauto vor sich her.

      »Ja, der kommt ganz nach seim Vater«, meinte Therese lachend.

      Gerade als Franzi sich verabschieden wollte, betrat Thereses Schwiegermutter die Stube. Sie war in Begleitung einer alten Bäuerin in Chiemgauer Tracht, die eine große schwarze Hutschachtel trug. Franzi war beim Anblick der Hutschachtel natürlich wie elektrisiert, konnte ihre Neugier nicht zügeln und fragte nach dem Inhalt.

      »Do is der Priener Hut von der Agnes drin, i hab’n ihr wieder hergricht«, erklärte die alte Frau.

      »Die Agnes« war Fanderls Mutter und die Bauersfrau die Fanny Müller aus Traunstein. Die Fanny öffnete nun die Hutschachtel und legte den Hut auf den Tisch. Solche Kopfbedeckungen hatte Franzi schon mehrfach bei den Chiemgauerinnen gesehen, vor allem an Sonn- und Festtagen, aber sie hatte ihnen nie große Beachtung geschenkt. Jetzt aber war sie fasziniert. Vor ihr lag ein Hut aus schwarzem Filz – »aus Hasenhaar«, wie die Fanny erläuterte –, mit goldenen Borten um den Kumpf und zwei handgestickten goldenen Quasten – »Können aber auch vier sein«, erklärte die Fanny weiter. Der Hut war nicht sehr hoch und hatte eine nicht sonderlich breite Krempe, deren Unterseite ebenfalls mit feiner Goldstickerei versehen war. An beiden Seiten des Hutes waren lange Samtbänder befestigt, die »Hint-obi-Bänder«, die im Nacken mit einem Haken befestigt wurden und bis zum Trachtenrock hinabreichten.

      »Guat hast’n wieder hergricht«, lobte die Agnes. »Sie müssen wissen, Frau von Lindgruber, dass der Hut schon seit vier Generationen in unserer Familie ist. Was der schon alles mitgmacht hat! Und die Fanny, müssen S’ wissen, ist die Großnichte von der Huaterer-Nanni. Die Huaterer-Nanni aus Prien hat den Hut nämlich erfunden. Zuerst war’s a Strohhut, mit dem hat sie in Berlin a Medaille errungen; erst später sind dann der Hasenfilz, die goldenen Borten, die Quasten und die Goldstickerei dazugekommen. Die Chiemgauerinnen tragen den Hut seit Anfang des Jahrhunderts, und nachdem die Weiberleut seit 1920 auch in den Trachtenvereinen dabei sein dürfen, ist er sehr bekannt geworden. Sie sollten sich mal den Hut von der Luise Riedinger anschaun. Die hat im Dorf den schönsten!«

      Franzis Begeisterung und Tatendrang waren geweckt. Ihr spukten bereits so einige Ideen durch den Kopf: Man könnte doch zum Beispiel die Hüte der Stadtfrauen mit Accessoires des Priener Hutes kombinieren, ohne dass gleich ein richtiger Trachtenhut dabei herauskommen müsste. Es wurde vereinbart, dass die Luise Riedinger mit ihrem Hut in den nächsten Tagen bei Franzi vorbeischauen sollte, Therese würde ihr Bescheid geben.

      Auf dem Nachhauseweg fühlte Franzi sich richtig beschwingt. All ihre Sorgen waren mit einem Mal wesentlich kleiner geworden.

      6

      »Ich glaub, aus dieser Wirtschaft kommen wir heut gar nicht mehr raus«, stöhnte Benedikt. »Außer dem Alfred müssen wir ja auch noch die zwei Weibsleut einvernehmen.«

      »Wir könnten sie natürlich auch aufs Revier bestellen«, meinte Fanderl. »Aber das hab ich auch von dir glernt, dass es immer gscheiter ist, die Leut in ihrer gewohnten Umgebung zu befragen, da reden s’ mehr. Außerdem ist’s hier einfach gemütlicher.«

      Daher baten sie den Wirt, nun seine Frau und die Tochter bei ihnen vorbeizuschicken. Der Alfred sollte erst gegen zwei Uhr mittags vom Schlachthof zurückkommen.

      Die beiden Habegger-Frauen nahmen widerwillig am Tisch Platz, eine schaute griesgrämiger als die andere.

      »Frau Habegger, Sie haben die Flora ja auch gekannt. Erzählen Sie doch ein wenig über sie«, begann Benedikt die Befragung.

      Wie sich herausstellte, war Frau Habegger keine Freundin vieler Worte. »Ja, kennt hab ich sie, mögn hab ich sie nicht«, antwortete sie kurz und bündig, schlug den Blick nieder und