Die Tote vom Chiemsee. Gretel Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gretel Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416555
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Die hat hier ned neipasst.«

      »Wieso?«

      »A Stadtmadl war s’, a Theatermensch und a Kommunistin no dazu!«

      »Ihr Sohn Alfred hat das auch nicht gutgeheißen?«

      »Na!«

      Benedikt gab auf und wandte sich an Lisi Habegger. Sie rieb und knetete den Irmengard-Anhänger, der an ihrer schmalen Brust baumelte.

      »Die war nie in der Kirch, nie hod s’ a Gebet gsprochn. Sogar d’Abendandacht drüben im Kloster hat s’ immer gschwänzt! Die hod an nix glaubt! Die war mit die Roten und mitm Teufel im Bund! Sie war a Hex!«, brach es aus Lisi heraus.

      »Woher wollen Sie das wissen? Sind Sie oft in der Kirch?«, fragte Benedikt.

      Lisi Habegger nickte eifrig. »Seit die selige Irmengard mich gerettet hat …«, begann sie eifrig, doch Fanderl schnitt ihr das Wort ab.

      »Ja, die Gschicht kennen wir schon, Lisi.«

      Lisi schaute beleidigt und schien entschlossen, kein Wort mehr zu sagen. Ihr ohnehin schon schmaler Mund wurde zum Strich.

      Abschließend bestätigten die Habegger-Frauen, der Wirt und die Bedienung Elsi, die gerade gekommen war, noch, dass der Theo den ganzen Abend bis spät in die Nacht hinter der Theke gestanden hatte. Sie selbst seien entweder in der Küche, ebenfalls hinter dem Tresen und in der Bedienung gewesen. Alle bis spät in die Nacht.

      »A paar Hockableiba warn halt da«, erklärte der Wirt abschließend.

      »Jetzt vertreten wir uns die Füß, bis der Alfred kommt«, schlug Fanderl vor, und sie traten vor die Wirtschaft. Es waren kaum mehr Wolken am Himmel, ein leichter frischer Wind wehte, der See, auf dem nun wieder Schiffsverkehr war und sogar ein einsames Segelboot kreuzte, glänzte samtblau, und beiden Männern kamen der dichte Schneefall und der heftige Sturm fast wie ein Traum vor.

      »Was ist denn das für eine Geschichte mit der Lisi und der Irmengard?«, fragte Benedikt.

      »Oh mei«, meinte Fanderl, »i war ja selber dabei. Des dürft schon bald zwanzig Jahre her sein, mir warn alle noch Kinder. Jedenfalls war der See zwischen Dorf und Insel damals fest zugfrorn. Des war natürlich a großer Spaß für uns. Wir sind den ganzen Tag mit die Schlittschuh und die Schlitten rumgrutscht. Die Lisi war auch dabei.«

      Als es dann dunkel wurde, erzählte Fanderl weiter, hätten die Eltern die Kinder nach Hause gerufen, und da sei aufgefallen, dass die Lisi fehlte. Sofort seien alle mit Lichtern und Lampen ausgeströmt und hätten nach ihr gesucht. Es habe wohl schon einige Zeit gedauert, aber dann habe die Gruberin sie gefunden. Offenbar sei die Lisi in der Dunkelheit aus Versehen nicht zum Dorf, sondern in Richtung der Insel gegangen und unterwegs so unglücklich auf den Kopf gestürzt, dass sie das Bewusstsein verloren habe. Und weil die Gruberin einen hellen Fellmantel angehabt und eine Lampe in der Hand getragen habe, sei die Lisi, wie sie wieder zu sich gekommen sei, fest davon überzeugt gewesen, dass die selige Irmengard mit ihrer Kerze sie gerettet habe. Seit diesem Vorfall sei die Lisi ein wenig seltsam. Sie habe sich auch seit damals nicht mehr weiterentwickelt, sie sei heute noch wie ein Kind, und es gebe für sie nichts anderes als die Irmengard und ihren geliebten Bruder Alfred, dem sie jede Meinung nachplappere und jeden Wunsch von den Augen ablese.

      »Aber mit dem Tod von der Flora wird sie wohl nichts zu tun haben«, meinte Benedikt, »dazu ist sie doch zu schwächlich und zu unselbstständig.«

      Fanderl zuckte die Achseln. »Die ist zäher, als man denkt. Ich könnt mir schon vorstellen, dass sie aus hündischer Liebe zu ihrem großen Bruder zu so was fähig wäre. Doch sie war ja auch den ganzen Abend in der Wirtschaft.«

      Fanderl stockte und zeigte zum Seeweg. »Schau mal, Benedikt, da kommt doch dei Frau!«

      Und tatsächlich kam ihnen auf dem Seeweg der kleine Einspänner entgegen, der im Besitz der Familie von Lindgruber war und sicher schon fünfzig Jahre auf dem Buckel hatte. Elegant, im grauen Kostüm und ein grünes Hütchen mit Feder auf dem Kopf, fuhr Franzi ihnen entgegen, und es sah aus, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht als einen Einspänner zu lenken. Sie stoppte das Gefährt formvollendet vor ihnen und rief: »I komm grad von der Therese!«

      »Da habt ihr wahrscheinlich sauber geschimpft auf eure zwei Polizisten«, meinte Benedikt.

      Franzi schüttelte den Kopf. »So wichtig seids ihr zwei jetzt auch wieder nicht. Nein, wir haben einen Hut angeschaut, einen Priener Hut, ich kann euch sagen …«

      »Das erzählst du mir dann heut Abend daheim«, fiel ihr Benedikt ins Wort, der ungeheuer erleichtert war, seine Franzi wieder guter Dinge zu sehen.

      Und was hat zum Stimmungswandel beigetragen? Ein Hut, was sonst, dachte er und musste innerlich schmunzeln.

      Franzi setzte ihren Weg fort, und Fanderl und Benedikt gingen zurück in den Seewirt. Alfred war inzwischen heimgekehrt; er lehnte, ein Glas Bier in der Hand, an der Theke und schaute ihnen mit herausforderndem Blick entgegen. Unter seiner Schankschürze wölbte sich ein für sein jugendliches Alter beachtlicher Bauch, die obersten beiden Hemdknöpfe standen offen und zeigten seinen enorm kurzen dicken Hals.

      »Heil Hitler, die Herren!«, rief er.

      Fanderl und Benedikt murmelten etwas, und man machte sich auf in die Nebenstube, um ungestört zu sein. Dabei lief mit hochrotem Kopf die Lisi an ihnen vorbei, steckte einen Zettel in ihre Schürzentasche und rief devot: »Bin scho unterwegs, Alfred. Geht alles in Ordnung!«

      Alfred wedelte sie weg wie eine lästige Stubenfliege. Dann setzte er sich breitbeinig auf einen Stuhl, verschränkte die Hände über dem Bauch und sagte: »Da wird unser Führer schon noch dafür sorgen, dass unschuldige junge Mädchen in Zukunft nicht einfach so zu Tode geschändet werden können.«

      »Sie haben da gründlich was missverstanden, Herr Habegger«, konterte Benedikt. »Niemand ist geschändet worden. Außerdem stellen wir hier die Fragen und Sie antworten. Sonst nichts, haben Sie verstanden?«

      Alfred nahm nochmals einen großen Schluck Bier aus seinem Glas und wischte sich dann genüsslich den Schaum aus dem sorgfältig gestutzten Oberlippenbärtchen.

      »Sie konnten die Flora nicht leiden. Können Sie uns bitte genau erläutern, wieso nicht?«, wollte Benedikt wissen, den das großspurige Gehabe Alfreds gewaltig störte.

      »In unserer ordentlichen deutschen Familie hat die nichts verloren gehabt«, antwortete Alfred. »Des war a Theaterschlampn aus der Stadt mit hirnverbrannten Ideen und außerdem noch a Kommunistenflitscherl. Sogar in ihrer braven Klosterschürzn hat s’ ihren Busen und den Hintern immer so nausgstreckt. Des ghört sich ned für a deutsche Frau. Dem Theo hat s’ vollkommen den Kopf verdreht mit ihre gschpinnertn Ideen. Und poussiert hat s’ ihn auch. A paarmal hab ich ihr gehörig Bescheid gsagt, aber die is ja glei frech worn! Der Theo war ihr ja regelrecht verfallen. Theaterstückln wollten s’ hier aufführen – i kann mir schon vorstellen, welche –, und verbotene Bücher haben s’ gelesen, Marx und den Brecht und die alle. Und des hab ich scho mitgkriagt … mitm Bergleitner und dem Xaver ham sie sich a no troffen. A Schand war des!« Er trank noch einen Schluck.

      »I hab halt ghofft, dass s’ bald wieder verschwindet. Da war ja auch a paarmal ihr Vater da und hat mit ihr gredt, und so a komischer Theaterzausel is a amoi kemma. Solche Gestalten wie den, die wird’s a bald nicht mehr geben. Ich fress an Besen, wenn des ned a Jud war! Ja, ich hob ihr a schon ein paarmal schwer d’Meinung gsogt, der Flora, und ihr auch deutlich gmacht, dass sie hier ned willkommen is.«

      »Ist es da vielleicht zu Drohungen oder gar Handgreiflichkeiten gekommen, Herr Habegger?«, insistierte Benedikt.

      »Na …« Alfred wand sich ein wenig und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. »A richtige Watschn hätt i ihr schon gern mal gebn. Ich war ein paarmal schon kurz davor. I hab halt immer noch ghofft, dass s’ bald wieder zruck nach München geht.«

      »Wo, Herr Habegger, haben Sie sich aufgehalten in der Nacht, als Flora zu Tode kam?«, fragte Benedikt nach. »Sie hatten ja