Die Tote vom Chiemsee. Gretel Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gretel Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416555
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im Gau Rosenheim.«

      »Die ganze Nacht?«, fragte Fanderl etwas süffisant.

      Alfred nickte, nun standen noch ein paar Schweißtropfen mehr auf seiner Stirn.

      »Ja, wir gedenken nächstes Jahr zu heiraten.«

      »Wir werden Ihre Verlobte natürlich befragen, ob es zutrifft, dass Sie die ganze Zeit bei ihr waren«, meinte Benedikt.

      Alfred nickte.

      Gerade als sich alle erhoben und Alfred nochmals zu einem Hitlergruß ansetzen wollte, kam Lisi zur Tür herein. Sie wirkte verschwitzt, so als wäre sie eine weite Strecke sehr schnell gelaufen.

      »I hab’s ihr gebn!«, rief sie Alfred etwas atemlos zu.

      »Is scho guat, schleich di jetzt«, antwortete der kurz angebunden und scheuchte seine Schwester zur Tür hinaus.

      Als Fanderl und Lindgruber den Seewirt verließen, war es schon später Nachmittag.

      »Wir haben ganzen Tag noch nichts gegessen«, bemerkte Benedikt. »Mein Magen knurrt.«

      »Ich geh jetzt heim und schau, was die Therese gekocht hat. Die Franzi wird doch sicher auch was vorbereitet haben«, erwiderte Fanderl.

      »Wohl eher die Berta«, meinte Benedikt. »So wie ich meine Franzi kenn, bastelt die an dem Hut, den sie heut kennengelernt hat. Und morgen früh gehen wir gleich zu der Verlobten.«

      7

      »Ihr müsst gleich nach der Andacht naus in den Klostergarten und nachschauen, was des Unwetter alles angrichtet hat. Da gibt’s sicher viel zum tun«, wies Schwester Kreszentia die beiden Novizinnen an.

      Der Klostergarten, von vielen Besuchern der Insel bewundert, war neben der Küche Kreszentias Leidenschaft. Jetzt, zu Beginn des Frühherbstes, war der Garten eine Pracht gewesen, bis der Schneefall einsetzte. Gladiolen, bunte Astern und Dahlien, Kirchweihblümerl, Stockrosen, Sonnenblumen und noch so einiges mehr hatten das Auge des Betrachters erfreut. Nach dem Kälteeinbruch sahen viele Pflanzen zerzaust und geknickt aus, doch Kreszentia hoffte, dass sich das meiste wieder erholen würde, genau wie im angrenzenden Gemüsegarten.

      Hilda freute sich, Sophie stöhnte auf. Während Hilda sich gleich die Gartenschürze umband und Gartengerät aus dem Schuppen holte, setzte sich Sophie erst mal auf die Gartenbank.

      »Ich lese nur noch das Kapitel fertig, dann helfe ich dir«, rief sie der Mitschwester zu.

      Hilda verdrehte die Augen.

      Sophie versenkte sich wieder in ihr Buch, doch die Buchstaben verschwammen ihr vor den Augen, und ihre Gedanken schweiften zu Flora. Wie oft war sie hier auf der Bank neben Sophie gesessen, hatte nachgefragt, was sie denn gerade lese, hatte manchmal ein wenig über »ihre Heiligen« gespöttelt und dann Geschichten erzählt vom Theater, von den Ballettstunden, die sie genommen hatte, und noch so einiges mehr an Ratsch und Tratsch aus der großen Stadt München, die Sophie noch nie besucht hatte. Manchmal hatte Sophie sich dann vorgestellt, wie sie mit der Flora wie zwei ganz normale junge Mädchen Arm in Arm durch die Stadt bummeln, Kleider anprobieren, Kaffee trinken und dabei eine Menge Spaß haben würde.

      Zu Hause in Coburg hatte es Ella gegeben, die, in Sophies Alter, eine Mischung aus Dienstmädchen, Zofe und Vertrauter gewesen war. Sophie erinnerte sich gern daran, wie Ella ihr jeden Morgen das Haar mit hundert Strichen gebürstet, sie bei der Auswahl der Tageskleidung beraten und ihr abends das heiße Bad mit Rosmarinessenz oder Baldrian eingelassen hatte. Manchmal waren sie auch zusammen ins Städtchen zum Hutmacher oder zur Schneiderin gegangen. Ella hatte so einiges über die Einwohnerschaft Coburgs gewusst, was der höheren Tochter Sophie nie zu Ohren gekommen wäre, und vor allem hatten sie viel zusammen gelacht. Nur eines hatte Sophie nicht gemocht: Wenn Ella über männliche Bekanntschaften und den einen oder anderen Verehrer, den sie hatte, plauderte. Ein eigenartiges Gefühl, das sie nie recht deuten konnte, war dann in ihr aufgestiegen.

      Natürlich war auch Sophie zu den Winterbällen und den zahlreichen sommerlichen Unternehmungen ihres Städtchens eingeladen gewesen, doch sie hatte sich in dieser Gesellschaft immer ein wenig fremd gefühlt. Wenn wirklich einmal ein Verehrer auftauchte, wusste sie überhaupt nicht damit umzugehen, und spätestens nach ein, zwei Versuchen hatten sich die Herren dann wieder zurückgezogen. Natürlich drängten ihre Mutter und ihre älteren Schwestern sie dazu, sich endlich einmal auf dem Heiratsmarkt zu zeigen, und ließen auch nichts unversucht, um sie zu verkuppeln, doch nichts hatte so richtig gefruchtet.

      »Du bist einfach ein kalter Brocken«, hatte ihre älteste Schwester einmal sehr direkt gesagt.

      Als dann die von ihrer Familie ziemlich krampfhaft initiierte Verlobung mit Eberhard Baron von Münnerstadt so peinlich fehlgeschlagen war und der große Skandal gerade noch abgewendet werden konnte, hatte sich Sophie zuerst zu ihrer Tante nach Bad Kissingen zurückgezogen und war schließlich bei den Benediktinerinnen auf Frauenchiemsee eingetreten. Doch nie hatte sie das Gefühl gehabt, eine eigene Entscheidung getroffen zu haben, es wurde über sie bestimmt, und sie nickte dazu.

      Im Kloster hatte sie sich anfänglich recht wohlgefühlt. Die ganzen gesellschaftlichen Anforderungen fielen weg, sie konnte in ihre Bücher abtauchen und musste sich nicht mehr entscheiden, welches Kleid und welchen Hut sie heute tragen sollte. Doch dann war Flora gekommen und hatte die Welt von draußen in die klösterliche Abgeschiedenheit gebracht. Sophie war von einer seltsamen Unruhe ergriffen worden, die sie sich nicht erklären konnte.

      Hilda hatte mittlerweile schon ein ganzes Beet geharkt und hoffte, dass der von der Schneelast platt gedrückte Salat sich irgendwann wieder aufrichtete. Sie hatte gar nicht erwartet, dass sich Sophie zu ihr gesellen würde, und eigentlich war es ihr auch lieber so. Ihre Mitschwester hatte keinerlei Interesse an Pflanzen und konnte ein Unkräutlein nicht von einer Blume unterscheiden. Da sie aber zu stolz war, jedes Mal nachzufragen, harkte sie oft die falschen Gewächse aus dem Beet, und Hilda blutete das Herz.

      Wie anders war da Flora gewesen. Sie hatte Interesse gezeigt, nachgefragt und sich schließlich recht geschickt angestellt. Und während Sophie bei der Gartenarbeit immer ächzte und stöhnte und sich den Rücken hielt, hatte Flora geplaudert und vor sich hin gepfiffen.

      Hilda hatte ihr vom Bauernhof in Brannenburg, von ihren acht Geschwistern und von der Krankheit der Mutter erzählt. Als die Mutter vor drei Jahren gestorben war, hatte der Vater mit viel Enzian ein halbes Jahr getrauert und nach einem Jahr die Rosa Gfellner aus Bad Aibling geheiratet. Für Hilda hatte dies das Ende bedeutet. Als Älteste war sie wie eine Mutter für die jüngeren Geschwister gewesen und hatte die Stelle der Hausfrau übernommen. Es war viel Arbeit gewesen, doch sie hatte es sehr gern getan und sich oft vorgestellt, selbst einmal mit einem tüchtigen Mann einen Bauernhof zu bewirtschaften und viele Kinder zu haben. Aber Rosa Gfellner hatte alles an sich gerissen, sie war nun die neue Frau im Haus, und der Vater hatte keinerlei Anstalten gemacht, seiner ältesten Tochter beizustehen. Nein, er war froh, als Hilda fort war, da musste er kein schlechtes Gewissen haben und vor allem die Reibereien zwischen den beiden Frauen nicht mehr ertragen.

      Hilda hatte noch ein wenig gewartet, ob ihr nicht der Franzl Ottinger vom Nachbarhof, mit dem sie oft bei der Kirchweih getanzt und der sie auch ein paarmal sehr leidenschaftlich geküsst hatte, einen Antrag machte. Aber der Franzl äußerte sich nicht, und nach einigen Nächten voller Schmerz und Tränen entschied sie sich für Frauenchiemsee. Doch Hilda war ehrlich zu sich; sie war eine leidenschaftliche Person und hätte gerne einmal den Körper eines Mannes an ihrem gespürt. Sie wusste, dass die Phantasien, die sie zuweilen hatte, keineswegs klösterlich waren.

      An einem schönen Sommerabend – Sophie war schon zu ihren Heiligen gegangen – sprach sie mit Flora darüber. Flora hörte ihr lange zu und meinte dann, dass diese körperlichen Wünsche doch ganz normal seien und es wohl keine Nonne gebe, die nicht immer mal wieder davon heimgesucht werde. Sie, Hilda, sollte doch einmal in sich gehen und sich fragen, was ihr wichtiger wäre: Eine Braut Jesu zu sein oder eine Frau mit einem Mann aus Fleisch und Blut an ihrer Seite, dem sie auch Kinder gebären wollte. Auch von sich erzählte Flora ein wenig; von ein paar ihrer Liebeleien am Theater, die aber mehr ein