Der Geist
Die dritte Hauptform des subjektiven Geistes, die Hegel unter der Überschrift “Psychologie“ abhandelt, ist der Geist als solcher, wie er sich in seinem Gegenstand nur auf sich selber bezieht.182 Der Geist habe es dabei nur mit seinen eigenen Bestimmungen zu tun, habe seinen eigenen Begriff erfasst und komme so zur Wahrheit. Denn nun sei die in der bloßen Seele noch unmittelbare, abstrakte Einheit des Subjektiven und des Objektiven und dadurch, dass sodann der im Bewusstsein entstehende Gegensatz zwischen dem Subjektiven und Objektiven aufgehoben wird, nunmehr die Einheit als eine vermittelte wieder hergestellt. Die Idee des Geistes gelange also aus der ihr widersprechenden Form des einfachen Begriffs (also der Seele, d. Verf.) und der ihr ebenso widersprechenden Trennung ihrer Momente (also im Bewusstsein, das als Gegensatz von Subjekt und Objekt gegeben ist d. Verf.) zur vermittelten Einheit und somit zur wahren Wirklichkeit. In dieser Gestalt sei der Geist die für sich selbst seiende Vernunft. Geist und Vernunft stünden zueinander in einem solchen Verhältnis wie Körper und Schwere, wie Wille und Freiheit. Demnach gibt es nach Hegel ebenso wenig einen Geist ohne Vernunft wie es einen Willen ohne Freiheit gibt. Die Vernunft bilde, so Hegel, die substanzielle Natur des Geistes und sei nur ein anderer Ausdruck für die Wahrheit oder die Idee, die das Wesen des Geistes ausmache. Aber erst der Geist als solcher wisse, dass seine Natur die Vernunft und die Wahrheit ist.
Der Geist, der beide Seiten, nämlich die Subjektivität und die Objektivität, umfasse, setze sich, so Hegel, zum einen in der Form der Subjektivität, und so sei er Intelligenz und zum anderen in der Form der Objektivität, und so sei er Wille. Die zunächst auch selbst noch unerfüllte Intelligenz hebe ihre dem Begriff des Geistes unangemessene Form der Subjektivität auf, indem sie den ihr gegenüber stehenden, noch mit der Form des bloßen Gegebenseins und der Einzelheit behafteten objektiven Inhalt (z. B. ein gegebener Staat, d. Verf.), nach dem absoluten Maßstab der Vernunft misst, diesem Inhalt die Vernünftigkeit antut, die Idee in ihn einbildet, ihn damit zu einem konkret Allgemeinen183 verwandelt und so in sich aufnimmt.184 Dadurch komme die Intelligenz dahin, dass das, was sie weiß, nicht nur eine Abstraktion, sondern der objektive Begriff ist. Und andererseits verliere der Gegenstand dadurch die Form eines Gegebenen und bekomme die Gestalt eines dem Geist selber angehörenden Inhalts (also einer wissenschaftlichen Theorie, d. Verf.).185
Indem die Intelligenz aber zum Bewusstsein gelangt, dass sie den Inhalt aus sich selbst schöpft, werde sie zu dem nur sich selber zum Zweck setzenden praktischen Geist. Sie werde zum Willen, der nicht, wie die Intelligenz, mit einem von außen her gegebenen Einzelnen, sondern mit einem solchen Einzelnen anfängt, das er als das Seinige weiß.186 Diesen Inhalt, nämlich die Triebe und die Neigungen, beziehe er, indem er sich in sich reflektiert (sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens macht, d. Verf.), zunächst auf ein Allgemeines (so die Glückseligkeit, d. Verf.), um sich dann am Ende zum Wollen des an und für sich Allgemeinen, der Freiheit, eben seines Begriffs zu erheben. Einmal an diesem Ziel angekommen, sei der (subjektive, d. Verf.) Geist ebenso zu seinem Anfang, nämlich zur Einheit mit sich (wie sie in der Seele gegeben ist, d. Verf.), zurückgekehrt Zugleich sei er aber zur absoluten, zur wahrhaft in sich bestimmten Einheit mit sich fortgeschritten, und zwar zu einer Einheit, in der die Bestimmungen nicht Natur- sondern Begriffsbestimmungen seien. 187 Hegel sieht demnach die Entwicklung des subjektiven Geistes als “dialektisch“ an. So beginnt sie bei der Seele, der Einheit des Geistes mit sich, setzt sich mit dem Bewusstsein fort, in dem der Geist sich in Subjekt (Ich) und Objekt (Welt) unterscheidet, und schließlich kehrt der Geist zu seiner Einheit mit sich selbst, aber auf einer höheren Stufe, zurück.
51Ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 3. Teil, a. a. O., S. 17 ff.
52Nur dem sinnlichen Bewusstsein erscheine die Natur als das Erste, Unmittelbare, Seiende. Ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 2. Teil, in: Hegel Werke, Bd. 9, Frankfurt a. Main 1970, S. 28.
53Es versteht sich, dass Hegels Naturphilosophie nicht unser Thema ist. Doch kann das Thema „Natur“ bei der Behandlung des „Geistes“ nicht ganz übergangen werden; erlaubt es doch ein umfassenderes Verständnis Hegelschen Denkens. Im Übrigen dürfte derjenige, der sich mit Hegels Philosophie des Geistes beschäftigt, neugierig sein, wie er die Natur einordnet, mit der der Mensch mit seinem Organismus und seinen Bedürfnissen, seiner ganzen materiellen Existenzweise, unlösbar verbunden ist.
54In der Äußerlichkeit, die nach Hegel die Bestimmung der Natur ausmacht, hätten die Bestimmungen des Begriffs den Schein eines gleichgültigen Bestehens und der Vereinzelung gegeneinander, und der Begriff sei deshalb ein Innerliches. Die Natur zeige daher in ihrem Dasein keine Freiheit, sondern Notwendigkeit und Zufälligkeit. Die Natur sei an sich (ihrem Begriff nach, d. Verf.) in der Idee göttlich, aber so wie sie sei, entspreche ihr Sein nicht ihrem Begriff; sie sei der unaufgelöste Widerspruch. Ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 2. Teil, ebenda., S. 17.
55Ebenda, S. 27 u. 28.
56 Auch die Natur ist „Idee“, doch sie kommt als solche nicht zu ihrem „Fürsichsein“, zum Bewusstsein ihrer selbst oder zur Selbsterkenntnis. Dorthin kommt sie erst in den einzelnen Naturwissenschaften, vollends in der Naturphilosophie, also im Geist.
57Die Idee des Geistes ist zwar Objekt, jedoch kein Objekt des Bewusstseins, sondern ein vom philosophischen Denken konstituiertes Objekt. Somit steht diesem Objekt nicht ein ihm äußerliches Subjekt gegenüber, sondern es ist mit diesem als einem begreifenden identisch. Wenn z. B. der Staat vom Philosophen Hegel als Idee gefasst und als solche denkend zu einem Ganzen entfaltet wird, dann ist dieser Vorgang identisch mit der Staatsphilosophie. Doch diese setzt die Vorarbeit der empirischen und theoretischen Staatswissenschaften voraus, sonst wäre die Staatsphilosophie als „Fürsichsein“ der Idee des Staates bloß eine willkürliche Konstruktion.
58Hegel denkt dabei nicht, wie angedeutet, an die Natur, wie sie uns das sinnliche Bewusstsein vermittelt, sondern an die Natur, wie sie uns die modernen Naturwissenschaften vermitteln, z. B. an die Bewegungen der Himmelskörper (Mechanismus), an Reaktionen von Stoffen, die aufeinandertreffen (Chemismus) oder an Prozesse von Wachstums und Entwicklung pflanzlicher Organismen (Teleologie) und tierischer, Subjektivität einschließender Organismen („Idee des Lebens“, ders.). Bei vielen Ereignissen und Zuständen in der Natur handelt es sich für Hegel um für den menschlichen Geist äußerliche, fremde, ihm zum Teil geradezu drastisch widersprechende, sinnlose, gesetzlose, ja unlogische Vorgänge. Dabei kann man z. B. an Erdbeben oder an Himmelskörper denken, die auf die Erde stürzen. „Absolute Negativität“ bedeutet - so Thomas Sören Hoffmann -, „daß er (der Geist, d. Verf.) die Negation und Aufhebung seiner selbst, die die Natur ist, seinerseits aufhebt und sich als sich selbst gegen die Natur affirmiert …“ Ders., Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wiesbaden 2004, S. 406. Indem Hegel die Natur als eine „äußerliche Objektivität“ begreift, grenzt er sich offensichtlich vom Naturbegriff der Romantiker ab. „Der wahre Inhalt des Romantischen ist die absolute Innerlichkeit, die entsprechende Form die geistige Subjektivität, als Erfassen ihrer Selbständigkeit und Freiheit. Dies in sich Unendliche und an und für sich Allgemeine ist die absolute Negativität von allem Besonderen, die einfache Einheit mit sich, die alles Außereinander, alle Prozesse der Natur und deren Kreislauf des Entstehens, Vergehens und Wiedererstehens, alle Beschränktheit des geistigen Daseins verzehrt …“ Ders., Vorlesungen über die Ästhetik, 2. Teil, Hegel Werke, Bd. 14, Frankfurt a. M. 1970, S. 129-130.
59„Die Naturphilosophie gehört selbst zu diesem Wege der Rückkehr; denn sie ist es, welche die Trennung der Natur und des Geistes aufhebt und dem Geiste die Erkenntnis seines Wesens in der Natur gewährt.“ Wie sehr auch immer der denkende Geist die geistige und die natürliche Welt voneinander trennt, es ist doch immer der Geist, der diese Trennung vornimmt. Ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 2. Teil., in: Hegel Werke, Bd. 9, a. a. O., S. 24.
60Letztlich ist