Sitten, Strolche & Strategen. J. J. Juhnke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. J. Juhnke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783968588216
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nichts und wusste nichts – eine seltene Kombination von Begabungen. Brandmauer gegen ewige Schnüffler und Vater sagte mal scherzhaft zum Captain Walker: Kuddel würde auch einem Gestapo-Verhör widerstehen. Das Deutsche Haus verfügte über ein außergewöhnliches Unterhaltungsprogramm, welches sich nur spontan darstellen ließ. Es waren die Konflikte, Streits, Auseinandersetzungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und gegenseitigen Tätlichkeiten der Wirtsleute hinterm Tresen. Das schlug sich nieder in der Namensgebung füreinander: Hure und Hurenbock. Diese Ehe ist nie besser beschrieben worden. Wenn ich Kuddel, im schwarzen Ledermantel und Hut, auf der Post, oder sonst wo im Dorf sah, war mir klar, auf welcher Seite er im Verhörraum gestanden haben wird. Natürlich nur, wenn er jemals in so einem Raum gewesen wäre. Viele glaubten, Kuddel hätte den Mantel von damals nicht ausgezogen und aus Gewohnheit fuhr er auch einen alten Mercedes. Ich weiß noch wie er von den tausenden Denunzianten Briefen berichtete, von denen seine Behörde überschwemmt wurde. Nicht nur im Reichsgebiet. >Es waren so viele heimliche Mitteilungen das unsere Dienststelle nicht nach kam<, sagte er einmal in geselliger Runde. >Meist wurde ein Nachbar angezeigt. Ein Geschäftsmann dessen Laden ein anderer haben wollte. Die Freude am Besitz erhöht sich bekanntlich am Neid der anderen und wenn dann eine Gelegenheit sich anbot zeigt der Mensch erst wirklich was in ihm alles steckt<, meinte Kuddel trocken. Oft auch zeigten Frauen ihren Mann an, um ihn los zu werden. Irgendwann in den 70zigern verliert sich seine Spur in Deutschland. Ob es mit den Ansichtskarten zusammenhängt, wer weiß. Vielleicht wurde ihm was lästig. Diese Karten, aus aller Welt, klebten hinterm Spiegel in der Gaststätte und trugen alle denselben Absender: Kameraden der Wilhelmsstraße. Später arbeitete er, genau wie Indochina Albino, für Brandos gastronomische Betriebe auf Mallorca. Aber das ist eine andere Geschichte. Neue Karten kamen nach seinem Verschwinden allerdings nicht mehr an den Spiegel. Das kann an seiner rumänischen Ehefrau gelegen haben. Die junge Frau führte den Laden noch einige Jahre weiter und ging, clever wie sie war, mit einem älteren amerikanischen Offizier in die Staaten. Sehr zum Leidwesen der wilden 13 und ihren amerikanischen Geschäftsfreunden. Die schöne Oana hatte einige Talente ihres ersten Gatten verstanden und übernommen. Zusätzlich konnte sie nach Kuddels fortbleiben ihre horizontalen Interessen und Fähigkeiten in aller Freiheit ausüben. Ihr Weggang war ein herber Verlust und echte Trauer begleitete die Männerherzen der Region für lange Zeit. Aber ich schweife wieder ab. Zurück ins Jahr 1968: Nach Kuddels Moderation legten die Eltern keinen Wert mehr auf die Festsetzung ihrer Tochter und traten einen längeren Kuraufenthalt an. Leonie ließ ihr Geld von Helene verwalten, lebte im Bungalow mit den frisch eintreffenden Mädchen zusammen und wollte in ihrer Freizeit immer viel Auto fahren. Manchmal lieh ihr Alfredo sogar den Porsche. Das muss ihm Nerven gekostet haben. Aber so war er und das war Teil seines Erfolges. Seit sie die neuen Papiere vom jetzt dicken Rehm (von uns gerne Düsentrieb genannt) besaß, war sie auch sofort volljährige geworden. Bis sie sich eines Tages auszahlen ließ und im Flugzeug nach Berlin verschwand. Schade, sagte Alfredo, auch noch lange nach ihrem Abschied. Gento, nicht Brando oder mir, hat sie einen Teil ihrer Unterwäsche hinterlassen. Ein symbolisches Dankeschön für seine Versuche ihr mehr als ein großer Bruder zu sein. Er sprach sogar von Seelen-verwandtschaft. Ach, Gento! Später verschenke er Stücke dieses kleinen Schatzes weiter an Brando, zum Geburtstag. Das war ziemlich groß von ihm, fanden wir damals. Mein Geburtstag war noch lange hin und ich habe dann leider andere Geschenke bekommen. Das schöne Haus, der große Garten, die endlosen Sommer, mit den unbekannte, oder bekannten bezaubernden Mädchen, lachend und halbnackt in der sonnigen Pool Landschaft, alle die besonderen Menschen, denen man dort begegnen konnte. Wenn das nicht wirklich gewesen wäre, hätte es auch ein schöner Traum sein können. Für manche war die Villa ein Hafen. Sie kamen, gingen, kamen wieder, oder auch nicht. Das Haus lieferte Überraschungspakete und bekam auch welche geliefert. Heute existiert das gelbe Haus der Schlangen nur noch auf alten Fotos. Irgendwann haben Baumaschinen sie abgeholt. Das Gelände war zu interessant geworden, für eine Anlage mit vielen Mietshäusern. Aber als die alten Zeiten noch jung waren und alle Geschichten frisch, diese Schublade bleibt weiter geöffnet und lohnt sich immer wieder zu öffnen.

      Der Zauberberg

      Ich geh noch zur Schule, ich hab keine Zeit (Manuela 1963)

      Die Schule in die ich ging, war ein steingewordenen Klassiker, wie sie heute nicht mehr zum Leben erweckt werden. Das massive Bauwerk schien Autorität und Würde zu besitzen. Unser Werklehrer nannte den Kasten gerne "Zauberberg". Unser Rektor, "Stuka" Riester, war eine lebhafte Erscheinung mit sichtbarer Vergangenheit. Es war seine braune Beinprothese, mit welcher er die Räume und Gänge der Schule zu durchmessen pflegte. Durch leichtes quietschen hörbar, was uns Schüler gelegentlich den entscheidenden Zeitvorteil einbrachte. Kontrolle war diesem Mann eine große Verpflichtung dem Amt eines Schuldirektors gegenüber. Aus dieser Notwendigkeit heraus, ließ er sich rechts vom Haupteingang, mit Sicht auf die Aula und die beiden abgehenden Flügel, von wo es zu den Klassenräumen ging, ein zweites Büro (böse Zungen meinten einen Wachposten) einrichten. Zum Leidwesen der Büroangestellten mit offenstehender Tür, aber wenigstens ohne Suchscheinwerfer. Es war ein schmaler Raum und ich weiß nicht mehr ob es überhaupt ein Fenster gab. Sein eigentliches Büro, im ersten Stock, gleich neben dem Lehrerzimmer, wurde nur für Geständnisse und Zurechtweisung, von üblichen Verdächtigen, genutzt. Da er von diesen Posten aus auf einen großen Teil vom "Kasernenhof" blicken konnte, sah man öfter seine Gestalt das Fenster verdunkeln.

      Zu meinem Leidwesen war unter der Leitung von Stuka ein Stundenausfall, aus welchem Anlass auch immer, keine in Betracht zuziehende Maßnahme. Solange die Russen nicht durchgebrochen sind wird weiter unterrichtet, war sein Anspruch. Er gab auch Vertretungsunterricht in zwei Klassen gleichzeitig. Wenn er sich zu solchem Schritt genötigt sah, meist durch die weinerliche Einstellung jüngerer Lehrerkollegen, zur Selbsteinschätzung bei Krankheit, lag es entscheidend an unserer Kreativität, wie der drohende Unterricht beim Herrn Direktor ablaufen wird. Denn Riester, ja selbst er, hatte Schwächen. Nicht immer konnten wir diese zum Leben erwecken, aber einen Versuch war es wert. Wenn es gelang den Piloten in ihm aufzuwecken, der uns lehrhaftes aus seinem Kampf ums Vaterland zu berichten wusste, war die Unterrichtseinheit gelaufen. Als erstes wurde die Europakarte, mit den deutschen Grenzen von 1937, hervorgeholt und ausgehängt. Momentan sind allerdings östliche Teile von den gierigen Kommunisten okkupiert, was unseren Direktor regelmäßig zu Wutausbrüchen zwang. Dann wurde von ihm die Tafel mit Kreide zu einer Luftkampfaufstellung ausgemalt und so mancher von uns durfte ein feindliches oder vaterländisches Flugzeug darstellen, wegen der realistischen Gefecht Simulation am Himmel. Dazu die sprachliche Brillanz des anwesenden Piloten, welcher dann in die frühen vierziger Jahre abgeflogen war.

      Die Schülerinnen hatte es besonders gut getroffen, denn von ihnen erwartete der Staffel Führer wenig Verständnis und Aufmerksamkeit. Sie waren entschuldigt und faktisch von weiterem Unterricht abgemeldet. Schulbildung, bei Mädchen, hatte keine Priorität für ihn. >Der Mann hat eine Liebe, das ist die Welt. Die Frau hat eine Welt, das ist die Liebe<, behauptete er gerne, in seinem Unterricht. Wir Jungs mussten zumindest unsere Augen in seine Richtung installieren. Auch waren Nachfragen unsererseits nützlich, um ein zu frühes Ende einer simulierten Lagebesprechung der Luftwaffe zu vermeiden. Es gab nicht wenige unter uns, die seinen Erzählungen und Vorführungen, aus versunkener Epoche, ergriffen lauschten.

      Ich war bereits, von Hause aus, darauf trainiert, allerdings nicht aus Sicht eines Flugzeugführers. Jedenfalls besser als Mathematik, Physik oder sonst was. Denn Riester war, was den Unterrichtsstoff anging, leider ein Universaltalent. Ja, Riester war nicht "neutral", will ich mal sagen. Zum Beispiel hatte sich Gento angewöhnt mit einer alten deutschen Fliegerhaube herum zu laufen, die er im Bunker fand. Außen Leder, innen Fell. Das störte Stuka überhaupt nicht, ganz im Gegenteil – es folgte ein Vortrag über extreme Bedingungen in großer Höhe. Wenn wir ganz viel Glück hatten holte unser Referent das "Buch der Bücher" hervor und lass uns daraus vor. Berichte von der mutigen Generation, wie er sich ausdrückte. Es war das Kriegstagebuch eines seiner großen Vorbilder, dem Jagdflieger und Träger des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes mit goldenem Eichenlaub, Schwertern und Brillanten: Hans-Ulrich Rudel. Besser unbekannte Geschichten von Rudel, dem roten Baron und seinen Konsorten, als die ewig gleichen Luftkämpfe vom Direktor, in allen Varianten und Fassetten. Die Lufthoheit über den gesamten Schulkomplex wurde durch die enge Zusammenarbeit mit Hausmeister "Wachmann" Bergmann