Sitten, Strolche & Strategen. J. J. Juhnke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. J. Juhnke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783968588216
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einem Vorhang. Weiteres konnten wir förmlich nachfühlen. Mit dem zweiten Blick erkannten wir die vielfältig hinterlassenen Spuren urbaner Kommunikation unter Seeleuten. An den Wänden hingen Bilder in Rahmen und ohne, vergilbt, vergilbter und frisch. Momentaufnahmen der Erinnerung, von Seefahrern aus aller Welt, die hier vor Anker gegangen waren. Verstaubte Schiffsmodelle rundeten das Gesamtbild ab. Die Musikbox spielte Lieder über die Liebe, vom verlassen werden und einer Zukunft, in der alles warten und hoffen sich gelohnt haben wird.

      Mit Schallplatten von Freddy Quinn, Connie Francis und den üblichen Verdächtigen. Wie mag das sein, wenn man nach Wochen auf See, nur Männer, Stürme und der weite Horizont, diese Barhocker ansteuert.

      Dann stand sie vor uns, auf der anderen Seite vom Tresen. Dunkel, sehr dunkel, jung, sehr jung, hübsch, sehr hübsch – Antje, das Barmädchen. Sie leuchtete uns genauso an, wie der Weihnachtsbaum hinter ihr, der zusätzlich mit Ansichtskarten dekoriert war. >Hallo Jungs, schön wenn Schulferien sind, stimmt´s? Ich frag mal nicht nach Ausweisen, sondern schmeiß euch die erste Runde. Was wollt ihr trinken? < Das war die netteste Begrüßung des gesamten Abends und sie kam von einem Barmädchen. Trotzdem fühlte sich Gento entmannt. Wie konnte sie nur wissen, dass er noch zur Schule ging? Wir einigten uns darauf, dass sie nur uns gemeint haben kann, also Brando und mich. In der Musikbox lief Vaya con Dios (Gitta Lind) und Antje tanzte beim ein schenken der Drinks vor uns am Tresen, mit der Flasche in der Hand. Wir waren begeistert. Vielleicht schon in sie verliebt. Erst jetzt sah ich mich in der gesamten Kneipe um. Da lag auf einem großen Tisch ein riesiger Klumpen. Arme und Beine von sich gestreckt, blickte dieser Koloss zur Decke. Daneben saßen zwei ehemalige Lieblingsschülerinnen geiler Dorfschullehrer, rauchten Ringe in die Luft und stießen ihn manchmal an. Gento fragte Antje, >kommt der Notarzt gleich, oder was ist das? Nein, nein, keine Sorge, Das ist nur unser Pascha. Ein Stammgast. Manche nennen ihn auch Godzilla. Der wird schon wieder, ihr werdet sehen. Die Girls warten nur darauf, dass der Meister das Bewusstsein wiedererlangt. < Auf der anderen Seite der Bar saßen vier Schlitzaugen mit zwei weiteren Mädchen in ihrer Mitte. Antje sah unsere neugierigen Blicke und meinte:> Helga und Gitta beschäftigen sich seit Stunden mit den kleinen Japanern, aber sie kriegen die Kerle nicht auf Betriebstemperatur. Die wollen keinen Sex und das zur Jahreswende, fern der Heimat und bei diesem Angebot. < Ich wollte schon sagen: >Aber wir, wir wollen Sex! < Ließ es bleiben, weil sie, die dunkle Antje, sowieso die erste Wahl ist, in der wir gerne gekommen wären.

      Aber sie schien nicht interessiert. Die Japaner sprachen ein witziges englisch, betrugen sich höflich (wir hörten ständig die Worte: Arigatou, Kanpai und Hai) und schienen über gute Barmittel zu verfügen, denn der Alkohol war von der teuersten Sorte. Wobei Asiaten grundsätzlich wenig Alkohol vertrugen und wie Kamikaze-Flieger abstürzen konnten. Das hatte uns Kapitän Reinhold mal erklärt. Weil wir hin und wieder die Toilette aufsuchten ist mir ein Text, unter den vielen an den Wänden, in Erinnerung geblieben. Er lautete ungefähr so:

      Das Leben vergeht wie ein Blitzstrahl,

      wie rasch fliegt und wechselt die Zeit

      Du, der beim vollen Glas sitzt

      und nicht mit dem Mädchen trinkt und singt,

      sage mir, auf was wartest du denn?

      Spontan erinnerte es mich an das Gerede vom Käpt´n. Wenn der in Feierlaune war und der Pegel seiner Alkoholvernichtung von seinem Hausmädchen, seiner Geliebten, seiner unverzollten, exotischen Blume, wie er sie nennen konnte, beanstandet wurde, dann fragte er uns: >Jungs, habt ihr überhaupt schon mal einen Toten, 10 Tote, oder 100 Tote, gesehen? Dann begreifst du, wie schnell plötzlich Zapfenstreich sein kann. Fällt der letzte Vorhang, ist ganz sicher Schluss mit lustig. Das siehst du abgeschalteten Seele an. Also, S O S und gieß wieder ein. Wenn ich vom Kutschbock falle, möchte ich volltrunken sein. Der Abflug ist dann schöner. Oder, Neptun ruft mich in die Tiefen der Meere. Dann möchte ich ihm fröhlich begegnen. < Antje schenkte wieder nach, hob ihr Glas, prostete uns zu und sagte: >auf unsere japanischen Gäste, die das hier alles bezahlen werden. < Plötzlich sprangen Godzillas Betreuerinnen auf und brachten sich in Position. Der Dicke zeigte primäre Lebenszeichen. Ein Party Häschen ging zur Musikbox und wählte: Everybody is Somebody´s Fool (Connie Francis). Die Platte wurde ständig wieder gedrückt, sodass wir vermuteten es sei Godzillas Lieblingsscheibe. Die Lebendig Macherinnen toter Männerschwänze tanzten, auf dem mit Flecken und Brandlöchern gezeichneten Tischen, immer um Godzilla herum. In erotischen Bewegungen begannen sie sich auszuziehen. Ihr Oberkörper wiegte ihre Brüste aufreizend und sie lächelten in die Runde. Außer knappen Slip und BH hatten sie bald nichts an. Eine tanzte sich mit eindeutigen Bewegungen über Godzillas Hose, wo man einen Ständer vermuten konnte, langsam hoch und runter. Was wir sahen gefiel uns. In diesem Moment konnten wir die Männer gut verstehen, die Bordelle aufsuchen, wenn sie solche Körper geboten bekamen. Auch wenn es nur Momente sind. Auch wenn sie dafür bezahlen. Als Dank für ihr Engagement zog unser Party Pascha aus einer dicken Dollarrolle ein paar Scheine und steckte sie der Dompteuse zwischen ihre Busen ein. Gleiches machte dann das zweite Mädchen über dem Kopf des Riesen. Auch wieder im auf und nieder Rhythmus und sie bekam natürlich Dollars in ihren Slip gesteckt. Antje sagte dann: >mal ehrlich Jungs, bei diesem Stundenlohn würde ich das gerne machen. Blöd, geil und durchgeknallt kann ich auch sein. < Was für Aussichten dachte ich, während die Dollarjägerinnen weiter um das goldene Kalb tanzten. Einem, zu erwartenden, Höhepunkt entgegen. Vielleicht zieht der Klotz seine Hosen aus, wer weiß. Und dann kam er, der Höhepunkt dieser Nummer: Godzilla nahm das fette Bündel zur Hand, öffnete das Gummi und warf einen Dollarregen über die tänzelnden Animiermädchen. Während die Tanzmäuse zu Staubsaugern für Geldscheine mutierten, erhob sich der Gigant, sah auf Antje und nickte nur. Antje griff zum Telefon. Etwas später betraten zwei orientalisch aussehende Muskelpakete die Lokalität und beförderten ihren Auftraggeber hinaus, zu einem fetten Mercedes. >Was war das denn, < fragte Gento beeindruckt. >Das war die Show: Godzilla lässt die Puppen tanzen, < sagte Antje. >Angenehmer Stammkunde und sehr guter "Big Spender". Wir stellen keine Fragen und er antwortet mit Dollars. Ich weiß nur das er den Bau von Kriegsschiffen beaufsichtigt. Sex hatte der hier noch nie. Was für eine Materialverschwendung< rief Gento und sah den reichen Huren beim Geld zählen zu. Es waren nur Hunderter. Obwohl sie von Godzillas Schwanz unberührt blieben, so gesehen für uns in Frage kamen, zeigten sie kein Interesse an uns, als Nachfolger. Die beiden Dollarköniginnen kamen zum Tresen, drückten Antje Scheine in die Hand und verabschiedeten sich in den Feierabend. Spätestens jetzt wurde uns schmerzlich bewusst, als mögliche Sexpartner überhaupt nicht gesehen zu werden. Obwohl unsere Blicke sie mehrfach vergewaltigt hatten und wir sichtbar einer frischen Generation angehörten. Wir waren Luft für Profis. Aber wahrscheinlich waren die zwei auch am Ende ihrer Lust und die Geldbörsen ja voll. Wir wussten außerdem nicht, was sie heute schon, vor dem Dicken, alles bewegt hatten. Immer, noch bissen sich die verbliebenen Frischfleischanbieterinnen an den Japsen die Zähne aus und Antje bekam durch die Dollars in ihrer Tasche noch bessere Laune, goss wieder nach. Dann nahm sie Geld aus der Kasse, drückte ihre Zigarette aus, ging zur Musikbox und programmierte. Blitzschnell kam sie direkt auf mich zu, küsste mir auf den Mund und zog mich vom Hocker auf die kleine, silberne Tanzfläche. Sie umschlang mich mit Schlangenarmen, während die Musikbox von dem Fool Nr. 1 (Brenda Lee) berichtete. Prisoners Song (Brenda Lee) kam danach und wir klebten weiter eng zusammen. Ich dachte schon da geht noch was und ich müsse nur Brando und Gento töten. Jetzt flog förmlich die Tür auf und vier Männer stiefelten in die Wärme ein. Scheinbar schneite es wieder, oder die Männer kamen von weit her, was beides stimmte. Antje zog es wieder hinter die Bar, Brando und Gento blieben also am Leben. Während die neuen Gäste einen Tisch, in der Nähe der japanischen Sex Verweigerer, beschlagnahmten. Dann entledigten sie sich ihrer Pelzmäntel. Spontan, wie magnetisch gesteuert, blickten alle verbliebenen Nachtschwärmer in ihre Richtung. Die Russen stecken in prunkvollen Phantasie Uniformen und diese strahlten wie verlorene Sterne einer fremden Galaxie. Sie zeigten den Wert dieser Männer und gaben ihnen zusätzlich Sicherheit. Nicht, dass sie das noch gebraucht hätten, nach einigen Runden Wodka, mit deren Bestellung sie sofort begannen. Für Helga und Gitta waren diese eingelaufenen "Helden der Sowjetunion" kein unbekanntes Phänomen, eher ein unerwartetes, plötzliches Heimspiel. Die rauen Kerle, in ihrem Superheldenkostüm, wurden von uns und dem Barmädchen, mit passenden Namen versehen. Wir einigten uns auf