Das gelbe Haus der Schlangen
Rückblende: Alfred war nicht für eine Existenz unter Tageslichtbedingungen geboren. Aus nördlichen Breiten stammend konnte man trotzdem annehmen er sein unter tiefster südlicher Sonne geboren und aufgewachsen. Ein Lebemann mit bürgerlicher Existenz dessen Künste sich im Betrieb der Nacht offenbarten. Er war wesentlich älter als seine Frau. Durch ihn begann mein Respekt vor Männern zu wachsen, die sehr schöne Frauen an sich binden konnten. Ein seltenes Mal sah ich Alfred (Rufname: Alfredo) nachmittags am Pool schlafen und wusste seither das er nicht Mitglied im schwarzen Orden gewesen ist, wie andere Vagabunden und Leitwölfe in meinem Vaters Umfeld. Wie mag das sein, wenn man aus Jubeljahren in Zeiten der Angst und Entbehrung gerät? Am 8. Mai 1945, war überall “Feierabend". Gefängnisse und Lager waren überfüllt, ans tägliche Brot zu kommen beherrschte das Denken. So begab sich ein ganzes Volk auf Reisen. Manche hatten danach schnell eine staubfreie Entnazifizierung hinbekommen. Besonders die aus dem Lagern und Kesseln des Weltenbrandes lebend entkommenen Männer blieben mit ihren Gefühlen draußen vor der Tür. Verschlossen und misstrauisch gegenüber dem was morgen schon passieren kann. Verhaftet in frischen Erlebnissen mit Standgerichten, Massenerschießungen, geschliffene Dörfer und Leichen an Laternenpfählen. Bei vielen kam nur ihr geschundener Körper nach Hause, ganze Gefühlswelten blieben größtenteils in den Weiten Russlands verschollen. Woher sie auch immer kamen, es sollte englischsprachiger Machtbereich sein. So hat es Alfred, mit Resten seiner Traumtänzerinnen, an die Nordsee verschlagen. Eine zusammengewürfelte Truppe aus Fronttheater-künstlern, Blitzmädchen, Soldaten, Deserteure und als was man sie noch bezeichnen möchte. Die Fronttheateraufführungen, die Auswahl der Mädchen für die Frontbordelle und Offiziersfeiern haben Alfredos Kriegsaktivitäten bestimmt. Über die Jahre erfuhr ich genaueres durch vom Alkohol gelöste Zungen. Überwiegend Geschichten aus Frankreich und Polen. Aus Paris, Posen, Warschau und Krakau.
Arroganz, Dummheit und Verkommenheit! Alles trifft man zu einer Zeit, die alle Werte vernichtet hat, in den wenigen offenen Kneipen. Aber vielleicht trifft man auch die eine, entscheidende Kontaktperson für die Erfüllung gemeinsamer Träume. Die "Drachenburg", ein gewaltiger Gründerzeitbau wird eine Rolle gespielt haben. Früher gab es im Erdgeschoss ein bekanntes SA Lokal und bald nach dem Einmarsch der Alliierten, eine Bar für amerikanische Soldaten. Alfredo, durch seine Vergnügungsdampfer Jahre gut Englisch sprechend und international erfahren, könnte seine Dienste und Angebote den richtigen Augen und Ohren dort vorgetragen haben. Was er wieder brauchte waren geeignete Räumlichkeiten. Geschützt vor dem Zugriff der Militärpolizei, sowie sonstiger Banden und beliebt bei amerikanischen Verehrern begehrter deutscher Fräulein. So klapperte Alfredo im Sommer 45 die Umgebung ab und lernte am Wegesrand den dicken Rehm kennen, der zu diesem Zeitpunkt aber noch dünn war. Rehm stöberte in der Gegend nach liegengebliebenen, hochwertigen Metallschrott der untergegangenen Wehrmacht. Sammelte für spätere Tauschgeschäfte. Auch weil es für einen Spezialisten, wie ihn, keine andere Arbeit gab. Nicht mal Anfragen nach neuen Papieren fanden, zu diesem frühen Zeitpunkt, den Weg zu ihm. Alfredo schilderte offen seine Geschäftsidee und so verkuppelte Rehm ihn mit dem Oberst. Alles fand sich auf der Domäne, dem neuen Standort vom Oberst, den er bereits während des Krieges erworben hatte, zusammen. Alfredo machte dem Krieger ein Angebot das dieser für strategisch klug erachtete und somit zustimmte. Es war ja nicht für immer und der Haudegen hatte ein Ausweichquartier, im Gesindehaus, in der Hinterhand. Wenn sich zu viel „gefährlicher Betrieb“ auf der nächtlichen Domäne einstellen würde, zöge sich der arbeitslose Wehrmachtsoffizier mit seinem Gefolge, in einen versteckten Bunker auf dem weitläufigen Grundstück der Domäne, zurück. Alfredo machte auf dem Gutshof “klar Schiff" für Lustspielwiesen der neuen Zeitrechnung. Verbindungsmann wurde Runen Rudi, eine langjährige, loyale Schützengrabenbekanntschaft vom Oberst.
Die Mädchen waren erschreckend schnell gefunden und bald kamen die benötigten Lieferanten für essen und trinken. Der Frieden, mit seinen aufgestauten Bedürfnissen, konnte und wollte gefeiert werden. So wurden die ersten tingel, tangel Partys zum Ernährer vieler versprengter Menschen. Niemand warf dem Jungunternehmer Kollaboration mit den Feind vor. Auch nicht der Oberste, dem die gebrochenen Versprechen der Amerikaner, nach dem Kessel von Demjansk, noch schwer zu schaffen machten. Erst das Fressen, dann die Moral, es fing alles wieder an. Aber zurück ins Jahr 1968: Die kleine Villa mit dem großen Garten war ein Neubau der Schaffenskraft vom Bauunternehmer Hans, auch vom Volk "Hans Dampf" genannt. Gentos Vater und inventarisierter Langzeit-Bürgermeister vom Dorf in der Nähe vom Meer. In Toskana Gelb gestrichen strahlte sie, besonders bei Sonnenschein, freundlich und einladend. Der Volksmund, vertreten durch sittlich begabte Dörfler, nannte das Haus allerdings "Schlangennest". >In seinem Lustgarten steht der Baum der Versuchung, an dem sich die Menschheit immer wieder versündigt<, so Gentos Mutter. Die Anlage am Ahornwald ist sicher das schönste Projekt der Baufirma des Bürgermeisters. Zwei große Terrassen gingen in den Garten hinaus und eine breite Treppe führte runter zum Pool. Leider wären seine Realisierung und Bezahlung heute so nicht mehr möglich behauptet der, bis zur Selbstverleugnung, flexible Bauunternehmer. Das Anwesen war durch hohes Buschwerk aufgeteilt, mit Rasenflächen und Blumenwiesen, welche nur durch ein Loch in der Hecke zu betreten waren. Das fand ich toll und für unsere sommerlichen Zeltlager nützlich. Eine Seite grenzte an den Skulpturenpark einer alten Gründerzeitvilla, welcher gerade verwahrloste. Dazwischen stand auf Alfredos Grundstück ein kleiner Bungalow für neue Talente und auswärtige Künstlerinnen. Die Zugnummern eines Lustspielbetrieb gehobener Qualität: der Drachenburg. Zur Straße wurde das Gelände von einem großen Garagenkomplex aus dunklem Holz abgeschottet. Über dem flachen Garagendach ragten die Äste großer Eichen. Als Kinder haben wir uns auf das Dach, unter den Schatten der Bäume gelegt und Comics gelesen. Später benutzten wir die warmen Nächte auf den Garagen um mit Schnaps und Zigaretten um hübsche Dorfmädchen milde zu stimmen. In den Garagen standen ein Porsche und ein fetter amerikanischer Chrom Gigant. Der Porsche war innen in Rot gehalten mit extra Verchromungen. Eines der ständig wechselnden Hausmädchen, mit Lateinamerikanischem Pass und deutscher Arbeitsgenehmigung, nannte den Porsche "the wild making Love Maschine". Sie hat wohl mit Alfredo "Spritztouren" unternommen. Die Wahrscheinlichkeit lässt es vermuten. Alfredo mochte diese Mitnahme Effekte. Keiner konnte so galant zelebrieren, wie der große Alfredo. Wenn er frisch eingetroffenen Minikleid Mädchen die Besonderheit seines 911er Prachtstückes, aus der Zuffenhausener Edelschmiede, spüren ließ, verbunden mit der einen, oder anderen, Bonusaktion.
Die Hausmädchen waren jung, schön und hatten keine Ahnung von ihrem Job, was aber nicht von Bedeutung war. Der alte Postbote, der mit Air- Mail Briefen kam, ging gerne die Auffahrt zum Bungalow und weckte die noch schlafenden Mädchen. Die Empfänger durften persönlich quittieren, was selten nötig gewesen wäre. Er sah was er sah und machte sich wieder vom Hof. Ja, ungläubiger Leser, damals tranken Postboten Alkohol im Dienst, fuhren gelbe Fahrräder und kannten jeden in der Straße. Auch waren sie zeitlich flexibler. Ich erinnere mich gut daran wie Vater und der Kamerad von der Post bei einer guten Flasche sich die Weltpolitik erklärten. "Der schnelle Heinz" war ziemlich trinkfest. Gleiches galt für die ostpreußische Köchin im Hause. Sie mochte die morgendlichen Treffen für den schnellen Schluck mit Herrn Heinz. Ihr Wahlspruch lautete: >habe Russen überlebt, überlebe auch trinken mit lieben Herrn Postboten<.
Wenn in Sommernächten Party Löwen die Hüllen fallen ließen, erst den Pool und dann die Löwinnen bestiegen, sagte sie teilnahmslos: >Habe Russen überlebt, werde auch Verfall von Sitte und Anstand überleben<. Bertha war eine gute Köchin und versorgte auch die "Hungerhaken-Mädchen" im Bungalow mit Essen, zu den unmöglichsten Zeiten. Ob Alfredo zuhause war hing davon ab, wie viele zivile und militärische Schiffe im Hafen lagen. In den goldenen Jahren blieb er tagelang verschwunden. Schlich sich eine "Schlange" in seine Nähe bekam man den Eindruck er sei Beichtvater, Beschützer und Liebhaber in einer Person. Ein begnadetes Talent in Sachen "Frauen schmelzen lassen". Selbst Köchin Bertha erlebte eine Wesensänderung,