Schweizer Tobak. Albert T. Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert T. Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783907301005
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professionelle Arbeit von je einem bekannten Schreiber, Musiker und Regisseur ausarbeiten lassen. Damit hatte er André für den Augenblick zwar abgeblockt, wenn nicht vor den Kopf gestossen, aber noch lange nicht entmutigt. Er bat nur darum, bei weiteren Gesprächen zu diesem Festspielprojekt dabei sein zu dürfen.

      André wurde zu den Sitzungen nicht eingeladen, aber von einem Ausschuss, vermutlich nach Isidors Vorschlag, aus Höflichkeit angehört.

      Zwar hatten anfänglich alle Komitee-Mitglieder Isidors etwas doppelbödigen Vorbehalte hinsichtlich Professionalität unterstützt, aber als es dann um die Kosten ging, schreckten die meisten vor möglichen Honoraren und Gagen zurück. Mindestens wollte man Andrés Ideen anhören. Vielleicht brachte der Mann, den sie langsam wieder als einen der ihren erkannten und an dessen Familie sich im Dorf viele erinnerten, Erfahrungen aus Paris mit, die es zu nutzen galt. Oft war es besser, jemandem etwas zuzutrauen, der sich mit Eifer darauf stürzte, als jemanden teuer zu bezahlen, der sich dann doch als Schaumschläger entpuppte. Immerhin, dieser André Werth hatte Deutsch und Geschichte studiert, so ganz unbedarft konnte der nicht sein. Und der Mann hatte doch Zeit.

      Isidor war über den Entscheid nicht nur glücklich, aber er wurde überstimmt. Er sah sich unvermittelt dem Verdacht ausgesetzt, er missgönne André Werth diese Chance. Das war zwar reiner Unsinn, ihm ging es doch nur um die Sache.

      Im Januar wollte der Ausschuss von André wissen, ob er bereit wäre, seine Ideen in einen konkreten Vorschlag einzubringen und dem Komitee vorzutragen. Man wollte auch erfahren, ob er dafür bezahlt werden wolle, und selbstverständlich müsse ein solcher Vorschlag einen Kostenrahmen für die Realisierung enthalten.

      André meinte, er könne im Moment nicht abschätzen, wie sich sein Aufwand entwickeln werde, jedenfalls für den Anfang wolle er kein Geld, er freue sich auf diese Arbeit und sollten dabei doch schon in einer frühen Phase Kosten entstehen, würde er das Komitee im Voraus informieren.

      Die Leute waren zufrieden, gaben ihm die bisherigen Unterlagen über mögliche Aufführungsorte im Freien, in der grossen Gemeindehalle oder der neuen Sportanlage, über den Einbezug der Schüler aus den umliegenden Dörfern und die Bedingung, dass die Geschichte der Region in den letzten 100 Jahren in einzelnen Szenen darzustellen sei. Ein wenig die Stossrichtung sollte die verantwortliche Kommission schon kennen, sonst aber würde er für eine gewisse Narrenfreiheit einstehen, meinte Rektor Isidor.

      Das Projekt raubte ihm beinahe den Schlaf. Er erinnerte sich an die Geschichten, die Helene ihm erzählt und die Hefte, die sie ihm angeboten hatte. Vielleicht war damit etwas zu machen? In der vergangenen Adventszeit hatte er endlich Elsa in der Stadtkirche getroffen. Sie gab dort mit ihrem Chor ein Konzert, das er im Grunde genommen ihretwegen besucht hatte. Er war von der Qualität der Aufführung überrascht. Das Orchester der Stadt und Elsas Chor boten eine Kantate von Bach, die er bisher nicht gekannt hatte und die ihn sehr beeindruckte. Er hatte in der grossen Kirche von Saint Eustache, die regelmässig solche Konzerte, auch von Laien gespielt und gesungen, bot, selten Besseres gehört.

      Sie unterhielten sich ein paar Minuten. Elsa freute sich offensichtlich, ihn zu sehen und noch mehr über seine Komplimente, im Augenblick hatte sie aber keine Zeit. Hin und wieder begegneten sie sich flüchtig an der Sekundarschule, aber zu einem richtigen Gespräch war es nie gekommen. Das war mit seine Schuld. Sein Alltag war inzwischen ausgefüllt. Anders als er es sich vorgestellt hatte, kam er kaum noch dazu, ein Buch zu lesen oder sich einen Film anzusehen, Bekanntschaften zu pflegen oder gar Freundschaften zu schliessen. Doch bei allen Aktivitäten war er einsam geblieben.

      Jetzt war es an der Zeit, das zu ändern. Da war dieses Projekt, das er mit anderen teilen wollte. Vielleicht konnte man mit Elsa und anderen Leuten der Region zusammen Ideen suchen? Elsa wurde für ihn zu einer grossen Hoffnung.

      Sie trafen sich in der Stadt, erinnerten sich an die Zeit ihrer Jugend, sprachen über die noch rüstige Helene und das grosse Festspiel. André war zufrieden mit dem ersten Gespräch, obwohl sich Elsa nicht allzu sehr begeistern liess. Sie meinte, die Leute seien eher zurückhaltend, nörgelten gleich an allem und jedem, vor allem, wenn die Sache etwas koste. Er solle sich keine allzu grossen Hoffnungen machen. Sie werde gewiss im Rahmen ihrer Möglichkeiten dabei sein und überlegen, wer sonst in dieser ersten Phase hilfreich sein könnte. Später, wenn es an die Umsetzung gehe, müsse er sich ohnehin breit abstützen, sonst käme er bestimmt in Teufels Küche.

      Zum Schluss kamen sie nochmals auf Helene zu sprechen. Sie habe sich über ihn beklagt, er hätte sie ein einziges Mal besucht und ihr versprochen, ihre Hefte und Erinnerungen an Clara Wirth abzuholen. Alles läge parat und er sei nie gekommen. Helene sei schwer enttäuscht und er müsse eine gute Ausrede bereithalten, um wieder in Gnaden aufgenommen zu werden, meinte Elsa lächelnd.

       Die Generalversammlung

      Andrés Entscheid, sich für das grosse Fest zur Einweihung der neuen Schulanlage zu engagieren, fiel Ende Februar kurz nach seinem offiziellen Einstand in den regionalen Segelclub anlässlich der jährlichen Generalversammlung. Im November, als es darum ging, die Schiffe nun wirklich aus dem See zu nehmen, hatte er Glück gehabt. Ein Sekundarschullehrer, der in Pension ging und seine alten Tage mit seiner Frau am Neuenburgersee verbringen wollte, wo er seit langem ein zweites Schiff besaß, verkaufte ihm seine Jolle und André konnte auch den Einstellplatz im Bootshaus übernehmen. Im Frühjahr oder zum Sommeranfang hoffte André, sein Brevet zu machen und er wurde Mitglied im Club der Segler.

      Er freute sich darauf, endlich einer Gruppe von Leuten anzugehören, hinter denen er eine gewisse Geistes- oder gar Seelenverwandtschaft vermutete wie Freude am Leben auf dem See, an Sonne und Wind, Grosszügigkeit im Alltag, geistreich und weltoffen, belesen, mit einer gewissen Neigung zur Musse und so weiter. Er erhoffte sich zudem Gesprächspartner für seine Pläne zum grossen Fest.

      Die Versammlung fand im «Bären» statt, einer Wirtschaft mit guter Küche, ansehnlichem Keller, Lokalitäten für Gruppen und Vereine und einem genügend grossen Saal. Der Präsident begrüsste die neuen Mitglieder speziell und wünschte ihnen viel Spass auf dem See und bei möglichst vielen geselligen Anlässen.

      Zum Schluss der ordentlichen Geschäfte hatte der Präsident jovial und gut gelaunt – alle seine Traktanden und Vorschläge waren glatt über die Bühne gegangen – seine lieben Freunde eingeladen, noch ein paar Stunden zu bleiben und bei einem Glas Wein oder gar einem guten Fischteller einen gemütlichen Abend zu verbringen. Leider müsse er bitten, das Rauchen zu unterlassen, das sei auch für ihn eine Strafe und für die Region ganz besonders, doch es sei nun mal Gesetz und daran müssten sich alle halten. Für ein paar Züge sei im Freien ja noch immer genug frische Luft vorhanden und so gäbe es keinen Grund, die gemütliche Runde vorzeitig zu verlassen.

      André sass mit sieben anderen Personen am runden Tisch. Alle kannten sich, André stellte sich vor und die Leute prosteten ihm zu. Sie nahmen das Thema des Präsidenten auf und verbreiteten sich über die idiotische Einschränkung persönlicher Freiheit durch das Rauchverbot. Ausser André verteidigte nur Marietta, von Beruf Krankenschwester – Pflegefachfrau, korrigierte sie ihre mit am Tisch sitzende Mutter – diese Freiheitsberaubung. Sie meinte, am Sinn der Sicherheitsgurte im Auto und am Pariser gegen Aids zweifle auch niemand, warum denn an der Einschränkung gegen das Rauchen? Nach wie vor gäbe es sinnigerweise noch immer kein Gesetz, das den Männern den Pariser zwingend vorschreibe, meinte ein sich besonders witzig findender Tischgenosse und erntete damit tatsächlich die lachende und schenkelklopfende Zustimmung fast der ganzen Runde.

      Ungerührt meinte die Pflegerin, 400.000 Eidgenossinnen und Eidgenossen litten gegenwärtig an chronischem Raucherhusten und die Chance, sie später, an einer schlimmen Krankheit leidend, teuer durchpäppeln zu müssen, um sie zuletzt doch richtiggehend krepieren zu sehen, sei ziemlich gross. Nun, für sie und das ganze Krankheitswesen wäre das immerhin Arbeitsbeschaffung, aber sie selbst könne sich ein weniger leidvolles Lebensende vorstellen, ganz zu schweigen von den Kosten, die die Gesellschaft zu tragen habe, dem Schaden und dem Leid, das unzählige Familien, insbesondere den Kindern, zugemutet würde.

      Die volle Ladung kam an. Niemand ausser vielleicht den Eltern hätte der zierlich wirkenden Frau