Die Prämonstratenser. Ulrich Leinsle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Leinsle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170323919
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der Kleriker im Verhältnis zu den Mönchen, das nötige Wissen, den Lebenswandel, die Enthaltsamkeit, den Gehorsam und das Schweigen der Kleriker. Bereits vorher hatte er in einer neuen Vita Augustini die Bedeutung seines gemeinsamen Lebens im monasterium clericorum und einer Aktion und Kontemplation verbindenden Lebensweise herausgearbeitet und so dem Orden den idealen »Regelvater« neu vorgestellt.152

      Philipp beschreibt das urkirchliche Ideal von Prémontré in einem gemeinschaftlichen Leben in Abgeschiedenheit, Armut, Handarbeit, Schweigen und Enthaltsamkeit, im Hinblick auf den Dienst des Klerikers für Gott am Altar und – das ist für den Umkreis von Prémontré beachtlich – auf die Verkündigung des Wortes Gottes. Dazu wird auf die nötige literarische und theologische Bildung des Klerikers und die Klosterschule, die ein zweites Kloster sein soll, Wert gelegt.153 Denn die Attribute des Klerikers sind in der Sicht der Weltleute nicht zuerst die Altargeräte, sondern Bücher, Schreibtafel und Griffel; clericus ist ja bedeutungsgleich mit literatus, was die perfekte Beherrschung des Lateinischen impliziert. Das Proprium der Kleriker ist das Studium der hl. Schrift (= Theologie), die unmittelbar über die klösterliche Gemeinschaft hinaus auch der Seelsorge zugutekommen soll; denn den Priestern ist an erster Stelle die Unterweisung des Volkes in der Predigt des Evangeliums anvertraut.

      Adamus Scotus

      Stärker kontemplativ ausgerichtet als bei Philipp von Harvengt ist die Sicht des neuen Ordens bei Adamus Scotus, Abt von Dryburgh in Schottland ca. 1184–1188 und nachmaligem Kartäuser in Witham († 1212), in seinem wichtigen Werk De ordine et habitu atque professione canonicorum ordinis Praemonstratensis, seinen Anleitungen zum Geistlichen Leben und in den zahlreichen Sermones dieses Meisters der geistlichen Schriftauslegung.154 Adam hielt enge Verbindung zu Prémontré, nahm am Generalkapitel teil und beeinflusste durch seine Schriften die Geistigkeit des Ordens nachhaltig.155

      Adam bietet die erste Auslegung der prämonstratensischen Professformel, in der die Selbstübergabe mit allem Besitz und allen Fähigkeiten an Gott und an die konkrete Kirche vor Ort stark betont wird. Der weiße Habit aus Wolle (Leinen ist nur für die Unterwäsche gestattet) symbolisiert u. a. den endzeitlichen Sieg Christi, dem die Regularkanoniker auf dem geistlichen Exerzierplatz des Gehorsams dienen. Im Kloster aber gibt es drei Stände, die Prälaten, die Offizialen (obedientarii) und die kontemplativ lebenden claustrales. Das Leben der claustrales ist gekennzeichnet durch drei Momente: Gebet, Lesung und Handarbeit. Ihr Stand ist nach Adam der freieste und ruhigste. Denn die ganze Lebensweise der Prämonstratenser zielt darauf ab, für die Liebe zu Gott Kriegsdienste zu leisten (charitati militare). Die charitas ist symbolisiert durch den Baum des Lebens in der Mitte des Paradieses. Im Vergleich zur Welt ist das Kloster zumindest in seiner Bestimmung ein Paradies und ein Ort des Friedens, ebenso wie die einzelne auf Gott bezogene und gereinigte Seele.156

      Prämonstratensische Mystik im Mittelalter

      Mystische Elemente wie Visionen und Auditionen finden sich in zahlreichen Viten von Prämonstratensern, angefangen von den Viten Norberts. Sie stehen allerdings in hagiographischem Kontext und sind als historische Fakten nicht nachweisbar. Sicher trug auch die kontemplative Lebensweise der frühen Prämonstratenser zur Förderung mystischer Begnadungen bei. Zwei mittelalterliche Angehörige des Ordens gelten übereinstimmend als Mystiker, auch wenn Mystik hier nicht im engsten Sinne einer Vereinigung mit Gott aufgefasst werden kann: Hermann Josef von Steinfeld und Christina von Hane.

      Hermann von Steinfeld157 (um 1160–1241) stammte aus Köln und trat in das Prämonstratenserkloster Steinfeld in der Eifel ein, wo er u. a. als Refektorar und Sakristan diente, aber auch in Schwesternklöstern als Seelsorger tätig war. Rigorose Askese und eine von den Mitbrüdern nicht immer verstandene mystische Marien-Frömmigkeit kennzeichnen sein Leben. Mystischer Höhepunkt ist die Vision seiner Vermählung mit Maria unter dem Beinamen Josef und des Tragens des göttlichen Kindes. In seinen heute als authentisch angesehenen Werken (Gebete und Hymnen an Christus, Maria, die hl. Ursula und ihre Gefährtinnen) zeigt sich eine gefühlsbetonte Brautmystik gegenüber Christus als Bräutigam der Seele. Im Gefolge Bernhards von Clairvaux zeichnet die Bildersprache Maria als eine am Symbol der Rose orientierte Minnedame, aber auch als »Schulmeisterin«, unter deren Rute zu leben keineswegs beschwerlich ist. Das Symbol der Rose kehrt wieder im Jubilus auf die hl. Ursula und ihre Gefährtinnen. Trotz vieler Parallelen (Rose usw.) zu den übrigen Werken ist die Verfasserschaft des ältesten bekannten Herz-Jesu-Hymnus ungesichert, des meist Arnulf von Löwen († 1150) zugeschriebenen Summi regis cor aveto, in dem eine auf das Mitleiden mit Christus zentrierte Passionsmystik zum Ausdruck kommt.

      Christina von Hane158 (fälschlicherweise oft »von Retters« genannt, 1269–1292) wurde mit sechs Jahren dem Prämonstratenserinnenstift Hane bei Bolanden übergeben, wo sie 1281 die Profess ablegte. Ekstasen und Visionen, verbunden mit schweren Krankheiten, strengster Askese und Selbstpeinigungen, kennzeichnen ihr durch eine deutsche Vita überliefertes Leben. Ihre oft über Wochen dauernden Visionenreihen

       Images

      Abb. 3: Vermählung des hl. Hermann Josef mit Maria, undatierte Zeichnung nach Antonis Van Dyck.

      nehmen deutlichen Bezug zum liturgischen Kalender. Im Mittelpunkt steht eine starke Christusmystik, die das Kind in der Krippe ebenso einbezieht wie das schmerzhafte Miterleben der Passion Christi, eine enge Beziehung zu Maria als Lehrmeisterin klösterlicher Zucht, aber auch Betrachtungen über die Trinität und die hl. Weisheit. Die Verehrung der Gefährtinnen der hl. Ursula, von denen Hane Reliquien besaß, und die Sorge für die Armen Seelen im Fegefeuer sind weitere aus der Frömmigkeit der Zeit bekannte Erscheinungen. Christinas Mystik ist gefühlsbetont und innig. Trotz starker Individualität bleibt sie rückgebunden an Ordensobservanz und Liturgie.

      2 Ausbreitung im Wandel der Lebensformen

      Mit der raschen Ausbreitung des neuen Ordens im 12. und frühen 13. Jahrhundert ging auch ein Wandel der Lebensformen einher. Das gregorianische Reformideal, die Ausrichtung an der Urkirche und die Bewegung der (Adels-)Konversionen verebbten spätestens gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Stattdessen traten die Sicherung und Stabilität der Klöster, neue Wirtschaftsformen und die persönliche Absicherung des Lebens im Kloster durch Pfründe und Pitanz in den Vordergrund. Die meist auf dem Land ansässigen und begüterten Prämonstratenserstifte verloren oft ihre Attraktivität zugunsten der neuen Stadtkultur und der aufblühenden Mendikantenorden des 13. Jahrhunderts.

      Die »explosionsartige« Ausbreitung der Prämonstratenser im 12. Jahrhundert ist mehrfach beleuchtet worden.1 Besondere Probleme bereiten dabei u. a. die häufigen Frühdatierungen der Klostergründungen und die Unklarheit der faktischen Übernahme der Prämonstratensergewohnheiten bei reformierten Chorherrenstiften.2

      Wurden von 1121 bis zum Tod Norberts 1134 ingesamt 68 Klöster gegründet,3 so sind es von 1134 bis zum Tod Hugos von Fosses 1162 ca. 140 neue Niederlassungen des Ordens. Dagegen verzeichnen wir von 1162 bis 1200 nur etwa 90 Neugründungen, sodass das 12. Jahrhundert ca. 300 Neugründungen aufzuweisen hat. Für das 13. Jahrhundert sind insgesamt nur noch 110 neue Klöster zu verzeichnen, im 14. gar nur noch sechs.

      Geographisch breitete sich der Orden von Prémontré zunächst nach Nordfrankreich, Brabant, Flandern, die Normandie und Lothringen aus, dehnte sich dann mit Cappenberg