Die Prämonstratenser. Ulrich Leinsle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Leinsle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170323919
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Bald kamen Franken (Oberzell bei Würzburg) und Schwaben hinzu. Die Magdeburger Filiation siedelte an den Grenzen des damaligen sächsischen Territoriums und stieß später weit nach Osten vor. Eine eigene große Filiation bildete sich von Steinfeld in der Eifel aus, die bis nach Friesland (Mariengaarde 1173) und Böhmen (Strahov, Želiv nach 1140) reichte. In der zweiten Phase verbreitete sich der Orden über ganz Europa: Spanien (Retuerta und La Vid ca. 1160), England (Newhouse 1143), Schottland (um 1150 Dryburgh), das damals dänische Küstengebiet Schwedens (Thomarp, Lund um 1150/55) und von dort bzw. Friesland aus nach

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      Abb. 4: Zahl der selbstständigen Kanonien des Prämonstratenserordens 1121–1990.

      Pommern (Belbuck, Grobe-Pudagla). Hinzu kommen das Domstift in Riga und Kreuzfahrergründungen in Palästina. Eine neue Gründungswelle erfasste zu Beginn des 13. Jahrhunderts schließlich noch Ungarn (ursprünglich von Riéval in Lothringen aus), wo im 13. Jahrhundert ca. 30 Klöster entstanden, und Irland. Zwei bemerkenswerte Wege der Ausbreitung sollen genauer dargestellt werden: Kreuzzüge und Slawenmission.

      Kreuzzugsgründungen

      Noch zu Norberts Lebzeiten erfasste die Kreuzzugsbewegung den jungen Orden, und zwar – geradezu typisch für die Kräfteverteilung – sowohl von Magdeburg als auch von Prémontré aus.5 1131 gründete Norbert das Kloster Gottesgnaden am Rand des Wendenlandes, dessen erster Abt Amalrich nach kurzer Zeit eine Pilgerreise ins hl. Land unternahm und dort erster Abt von St. Habakuk (Ramla) in der Diözese Lydda, später Erzbischof von Sidon wurde (1153–1170). 1159 sind dort 35 Brüder bezeugt. Das Kloster St. Samuel auf dem Freudenberg (Nebi Samwil) bei Jerusalem verdankt seine Gründung noch König Balduin II. von Jerusalem (1118–1131) und Königin Melisendis (1131–1151), die zuerst Bernhard von Clairvaux angeboten hatten, Mönche nach Palästina zu entsenden. Dieser empfahl der Königin aber die Prämonstratenser als »Männer des Rates […] entflammt vom Geist, geduldig in der Bedrängnis, mächtig in Wort und Tat … Nehmt sie auf wie Krieger des Friedens, sanft zu den Menschen, heftig gegen die Dämonen!«6

      Die Prämonstratenser wurden so im hl. Land sesshaft, allerdings nicht an den prominentesten Orten (Hl. Grab, Tempel), die anderen Kanonikergemeinschaften vorbehalten waren.7 Zahlreiche Urkunden belegen ihre Wirksamkeit, auch als Vermittler zwischen rivalisierenden Ritterorden. Nach Jerusalems Einnahme durch Saladin 1187 sammelten sich die Brüder in St. Samuel in Akkon. Wie eng die Beziehungen zu Prémontré trotz der Entfernung waren, zeigen etwa die Briefe des Abtes Gervasius von Prémontré (1209–1220). Möglicherweise diente auch die gleichnamige Abtei St. Samuel in Barletta (Apulien) zeitweise als Refugium wie später die letzte überlebende Kreuzfahrergründung Episcopia/Bellapais auf Zypern, die unter der Oberhoheit des Erzbischofs von Nikosia bis ins 16. Jahrhundert bestand.

      Pilgerfahrten und Kreuzzüge ins hl. Land hatten jedoch auch Auswirkungen in Europa. So wurde Bischof Heinrich Zdik von Olmütz nach seiner Rückkehr aus Jerusalem der Förderer der Prämonstratenser in Böhmen, die er in Strahov (Mons Sion) und Litomyšl (Mons Oliveti) ansässig machte. Gilbert, Graf von Auvergne, gründete nach seiner Rückkehr vom Kreuzzug das Kloster Neuffontaine. Auch die biblische Namensgebung mancher Klöster in Böhmen und Schwaben (z. B. Sorec/Sorech für Schussenried8) erinnert an die hl. Stätten. Bedeutenden Einfluss nahmen die Prämonstratenser auch auf den Fünften Kreuzzug, z. B. Egidius van Leeuw, Abt von Middelburg in Zeeland († 1236), als Kreuzzugsprediger und Kreuzfahrer nach Damiette.9

      Wendenkreuzzug und Slawenmission

      Der Wendenkreuzzug 1147 ist eng mit der Geschichte der Prämonstratenser im Osten der damaligen christlichen Welt verbunden.10 Nach mehreren gewaltsamen Aufständen und Einfällen der heidnischen Slawen, meist zusammenfassend »Wenden« genannt, begannen nach dem Reichstag von Frankfurt 1147 die deutschen Fürsten unter der Führung von Heinrich dem Löwen und Albrecht dem Bären, dem Aufruf Eugens III. und Bernhards von Clairvaux folgend, als Teil des Zweiten Kreuzzugs einen Feldzug gegen die ostelbischen Slawen. Als päpstlicher Legat fungierte Bischof Anselm von Havelberg, der mit dem Nordheer unter Albrecht dem Bären bis nach Stettin zog. Der in seinem Erfolg und in seiner Notwendigkeit schon bei den Zeitgenossen umstrittene Kreuzzug diente weniger der Bekehrung der Slawen als der deutschen Siedlungspolitik im Osten. Auf diese Weise war in der Folgezeit die Wiedererrichtung kirchlicher Strukturen möglich, nicht zuletzt durch die Gründung neuer Klöster und die Wiederherstellung alter Bischofssitze. So konnte Anselm dann in sein verarmtes Bistum zurückkehren und mit Hilfe seiner Prämonstratenser kurze Zeit Aufbauarbeit leisten.11

      Die Gründungen von Magdeburg aus, wo sich bereits Norbert an der Slawenmission versucht hatte, weisen schon vorher eine deutliche Stoßrichtung nach Osten und Norden in das Missions- und Neusiedelland auf:12 Brandenburg und Leitzkau (1138), Jerichow (ca. 1144), Ratzeburg (1154) und schließlich von Jerichow aus Gramzow (1177), die östlichste Gründung in der Sächsischen Zirkarie. Von Jerichow aus wurde das entfernteste Kloster in Riga mit Prämonstratensern besetzt. Magdeburger Einfluss zeigt sich aber auch in Grobe auf Usedom im Herzogtum Pommern (vor 1159), das 1177 von Havelberg aus neu besiedelt wurde und später unter dänischen Einfluss kam. Von Dänemark aus wurde Belbuck bei Treptow in Pommern besiedelt. Später entsandte das Kloster Mariengaarde in Friesland auf Bitten der Herzogin Anastasia von Pommern einen Männer- und Frauenkonvent nach Belbuck. Die östlichen Gründungen wurden alle nicht an abgelegenen Orten wie in Frankreich, sondern teilweise in oder bei bedeutenden Zentren der staatlichen und kirchlichen Herrschaft errichtet, sodass sich aus ihnen später teilweise Domstifte entwickeln konnten.

      Domstifte

      In den in den Siedlungs- und Missionsgebieten im Osten und Norden wieder- oder neu errichteten Diözesen stellten manche Prämonstratenserstifte durch ihre Kanoniker das Domkapitel und leisteten damit einen wichtigen Beitrag zum Aufbau kirchlicher Strukturen: Brandenburg, Havelberg, Ratzeburg, Riga, Mežnote und Børglum.13 Diese Domstifte besaßen meist eine größere Anzahl von inkorporierten Pfarreien, die aber nur zum Teil mit Prämonstratensern besetzt wurden, und waren in ihrer Verfassung und Disziplin sehr verschieden. Während z. B. in Ratzeburg das Gemeinschaftsleben mit persönlicher Armut bis in das 14. Jahrhundert gepflegt wurde, wurde dieses in Havelberg bereits im 13. Jahrhundert abgeschafft und der Dompropst erhielt seine eigene Hofhaltung mit Kaplänen.

      Bischof Anselm von Havelberg holte zum Aufbau seiner Diözese nach dem Wendenkreuzzug Prämonstratenser aus Magdeburg. Als 1161 der bislang in Leitzkau residierende Bischof nach Brandenburg zurückkehren konnte, bildete das Prämonstratenserstift das Domkapitel mit dem Recht, die Kanoniker selbst zu berufen. In dem 1154 von Heinrich dem Löwen gegründeten Bistum Ratzeburg war Evermod, vorher Propst von Magdeburg, zugleich Bischof und Propst des prämonstratensischen Domkapitels, ebenso seine Nachfolger Isfried und Ludolf. In Børglum schloss sich ein an Steinfeld ausgerichtetes Domkapitel zwischen 1152 und 1170 dem Prämonstratenserorden an, wobei dem Bischof zugleich der Abtstitel zukam. Der Bischof war allerdings nur selten Prämonstratenser, da das Wahlrecht des Kapitels in der Regel mit dem Anspruch des dänischen Königs kollidierte. Dem Konvent stand vielmehr ein Propst vor. In Riga, wohin Bischof Albert Prämonstratenser aus Gottesgnaden, Scheda und Cappenberg berufen hatte, schloss sich das Domkapitel unter dem aus Scheda kommenden Propst Johannesx vor 1227 dem Orden an. Die kurzzeitige Zugehörigkeit des Kapitels von Semgallen in Mežnote zum Orden (ab ca. 1233) endete mit dem Untergang des Bistums in einem litauischen Aufstand 1251. Als 1313 das Bistum Litomyšl als Suffraganbistum von Prag errichtet wurde, wurde aus dem dortigen Prämonstratenserstift ein Domkapitel mit zwölf Kanonikern gebildet.