Dass Atys auf den Weihesteinen, zumal den spätern, oft Menotyrannus heisst, beweist seine ursprüngliche Einerleiheit oder spätere Identifikation mit dem kleinasiatischen Men, dem Mondgott371, und dient weiter nicht zur Erklärung dieser Mysterien.
Wichtiger und jedenfalls von edlerm Stil waren die Mysterien der Isis, welche auch in der Literatur deutlichere Spuren zurückgelassen haben. Es wurden nämlich für sie Proselyten geworben durch Bücher, welche wesentlich im Interesse dieses Dienstes geschrieben scheinen. So vor allem die Metamorphosen des Apuleius, dann auch der ebenfalls noch im zweiten Jahrhundert abgefasste372 Roman des Xenophon von Ephesus, von der Liebe der Anthia und des Habrokomes. Hier ist die Isis die Gottheit, welche rettend und schützend über dem von zahllosen Abenteuern bedrängten Paare waltet. Und Isis selber hat sich gebessert; sie gibt nicht, wie früher in so manchen ihrer Tempel, Gelegenheit zur Unzucht, sondern sie bewahrt die Keuschheit des Mädchens, deren Triumph der lobenswerte Inhalt mehrerer dieser spätrömischen Romane ist.
Es soll hier nicht von den alten echten Isisfesten Ägyptens die Rede sein, wobei der zerrissene Osiris gesucht und wieder gefunden wurde373, sondern von dem universellen isischen Geheimdienst der römischen Kaiserzeit. Sinn und Gehalt desselben werden um so weniger genau zu ermitteln sein, als selbst der populäre Isisglaube der Römer eine schwankende, abwechselnde Form hatte. Die einzige zusammenhängende Auskunft gibt Apuleius in dem obengenannten letzten Buche der Metamorphosen, allerdings in einem solchen Sinne, dass man ungewiss bleibt, ob aus seinem Lucius mehr der spekulative Philosoph oder der gläubige Myste spricht. Eins aber bleibt ausser allem Zweifel: auch diese an sich sehr bunten Mysterien verhiessen eine selige Unsterblichkeit. Die »Königin Isis«, die sich als Mutter Natur und Grundform alles göttlichen Wesens zu erkennen gibt, verlangt von dem unglücklichen Lucius als Preis seiner Wiederverwandlung aus dem Esel in einen Menschen, er solle nicht vergessen, dass fortan sein ganzes Leben bis zum letzten Atemzuge ihr gehöre. »Du wirst aber glücklich leben, glorreich durch meinen Schutz; und wenn du einst deine Zeit durchlaufen hast und in die Unterwelt gehest, so wirst du auch dort mich finden wie du mich hier siehst, leuchtend über dem Dunkel des Acheron, herrschend über die stygischen Tiefen, und als Bewohner der elysischen Gefilde wirst du zu meiner Gnade beten ohne Unterlass.« Freilich, im gleichen Atemzug verspricht Isis auch schon ein langes Leben auf Erden, wenn Lucius ihr durch emsigen Dienst und durch Kasteiung wohlgefällig sein würde, und nachher verheisst ihm der Oberpriester unmittelbaren Schutz und Sicherheit gegen das gewöhnliche von den Sternen bedingte Menschenschicksal. Es scheint, man fand noch Glauben für solche Vorspiegelungen.
Sehr tief ging wohl die heilige Belehrung nicht, die dem Einzuweihenden, vorgeblich aus hieroglyphischen Büchern, gegeben wurde; das äussere, pomphafte Zeremoniell tritt gar zu sehr in den Vordergrund, als dass ein höheres, geistiges Element, eine Sinnesänderung, auch nur eine dauernde Askese das Gemüt des Mysten hätte ergreifen können. Wurde er wirklich darüber aufgeklärt, dass Isis die Natur und zugleich die Summe alles göttlichen Wesens sei374, oder ist dies bloss persönliche, tendenzhaft ausgesprochene Ansicht des Apuleius? – wir wissen, wie gesagt, nur so viel, dass diese Mysterien auch eine der damals beliebten Arten waren, sich durch gewisse Zeremonien und magische Künste gegen Unglücksfälle im irdischen Leben und gegen ein trübes Jenseits oder gegen die gänzliche Zernichtung nach dem Tode zu versichern. Das einzige, was bei diesen Weihen auf eine systematische Behandlung des geistigen Menschen hindeutet, sind die beständigen, gewiss nicht ganz unwillkürlichen Träume, während welcher man den Willen der Isis über alle und jegliche Angelegenheiten vernimmt. Neben eigentlichem Betrug von aussen, der ja dem Schlafenden Träume ins Ohr flüstern kann, ist doch auch eine dauernde, künstlich genährte Nervenaufregung gar wohl denkbar. Die äussern Bräuche dagegen sind entweder halb missverstanden aus Ägypten herübergenommen oder auf eine eigentümlich erregbare Phantasie berechnet. Die Vorbereitungen während der Belehrung waren die in den meisten Mysterien üblichen: Enthaltung von Wein, Fleischspeisen und Wollust für ganze zehn Tage, ein Bad, Besprengungen mit Weihwasser und dergleichen; Freunde und Miteingeweihte bringen Patengeschenke. In der durch Traumgesichte bestimmten Weihenacht verharrt man im Tempel, zuerst in rauhem Linnenkleid, dann wechselt man zwölfmal das Gewand und erhält zuletzt einen geblümten Rock und die mit mystischen Tierfiguren bemalte olympische Stola. Von den Aufzügen und Erscheinungen, die dem Mysten zuteil wurden, darf Lucius nur so viel andeuten, dass er symbolisch sterben und durch die Gnade der Isis wieder aufleben musste (precaria salus). »Ich durchschritt die Pforten des Todes, ich betrat die Schwelle der Proserpina, und nachdem ich durch alle Elemente gefahren, kehrte ich zurück. In der Mitte der Nacht sah ich die Sonne in ihrem hellsten Schein. Vor die untern und die obern Götter trat ich hin und betete sie in der Nähe an.« Dies sind Dinge, über welche man nie ins klare kommen wird375. Soll man für jede einzelne Weihe denjenigen Aufwand optischer und dioramatischer Künste voraussetzen, welcher nach unserem Maßstabe zu einer auch nur äusserlichen Illusion nötig wäre? Wohl besass man, wie bei anderer Gelegenheit erzählt werden wird, hinlängliche Mittel, um die damaligen Menschen an diese oder jene Beschwörung und Geistererscheinung glauben zu machen, allein die Sinnesweise dieser Zeit war doch noch genugsam von dem Werte alles Symbolischen durchdrungen, um auch durch blosse rituell imposante Vorzeigung von Sinnbildern einen tiefen Eindruck auf die Phantasie hervorzubringen. Unsere jetzige Welt dagegen ist dergestalt mit Abneigung und Hohn gegen das Symbolische getränkt, dass wir einen andern Gesichtspunkt kaum verstehen können, und schon bei allen Formalitäten und Zeremonien ungeduldig werden. Dies Gefühl wird dann schon auf die Vergangenheit angewandt. Eher als dass man eine tiefe Wirkung durch Symbole zugäbe, werden die kostspieligen Künste der optischen und mechanischen Täuschung, das heisst der wirklichen Betörung vorausgesetzt werden.
Doch wir kehren in den Isistempel von Korinth zurück. Es ist die Zeit gegen Morgen; Lucius in seinem bunten Kleid, eine brennende Fackel in der Hand, einen Strahlenkranz von Palmblättern um das Haupt, steht auf einer hölzernen Estrade vor dem Bild der Göttin; plötzlich öffnet sich vor seinen Augen ein Vorhang, und die draussen im Schiff des Tempels versammelte Menge erblickt ihn als lebendes Bild der Sonne. Festliche Schmäuse beschliessen die Feier.
Die wahre sacrosancta civitas ist aber dem Isisdiener Rom selbst, wo denn auch Lucius in der Folge beim Tempel der Isis campensis sein Quartier aufschlägt. Im folgenden Jahr wird er im Traume ermahnt, auch des Osiris nicht zu vergessen und sich an einen bestimmten Pastophorus zu wenden, welcher natürlich seinerseits schon von Lucius geträumt haben muss. Nach allerlei Schwierigkeiten, zum Teil pekuniärer Art, empfängt der fromme Dulder auch die Weihen des Osiris; dieser »allergrösste der allerobersten Götter« verspricht ihm sogar ausdrücklich seinen Segen für die von ihm angetretene Advokatenlaufbahn und bezeichnet ihn, wiederum in einem Traumgesicht, zum Mitgliede des Pastophorenkollegiums.