Die Weiße Rose. Frank Sturms. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Sturms
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843803274
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von Linken und Demokaten in den Rücken des Heeres habe die Niederlage und den Untergang des Kaiserreiches gebracht. Dass der Krieg verloren war, wollten vor allem die alten Eliten nicht einsehen. Sie schufen die Dolchstoß-Legende, um von ihrer Schuld am Untergang des Bismarckreiches abzulenken. Die entstehende Weimarer Republik sah sich von Anfang an einer starken Phalanx von Demokratiefeinden gegenüber. Für die staats- und gesellschaftstragenden Schichten des Kaiserreiches war die Demokratie eine ungeliebte Frucht der Niederlage. Für die alten Militäreliten war klar, dass ein erneuter „Dolchstoß“, an den sie inzwischen selbst zu glauben begannen, in einem kommenden Krieg unter allen Umständen verhindert werden musste. Dieser Gedanke fiel später bei den Nationalsozialisten auf fruchtbaren Boden.

      Auch nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandvertrages gingen die revolutionären Wirren weiter. Nachdem am 1. Januar 1919 die KPD gegründet wurde, kam es zu Straßenkämpfen in Berlin („Spartakus-Aufstand“). Noch bis in den Mai sollten immer wieder Unruhen im Reichsgebiet auflammen. Radikallinke Gruppen versuchten in mehreren Städten Räteregierungen nach sowjetischem Vorbild zu etablieren. Diese Versuche wurden mit der Einwilligung der Regierung von den neu aufgestellten nationalistischen Freikorps niedergeworfen.

      Im Januar 1919 wurde eine Nationalversammlung gewählt. Es kam eine Dreiviertelmehrheit für die parlamentarische Demokratie zustande. Eine Koalition aus SPD, Zentrum und der liberalen DDP unter Philipp Scheidemann übernahm die Regierung. Friedrich Ebert (SPD) wurde zum Reichspräsidenten gewählt. Die Parteien, die im Kaiserreich die Opposition gebildet hatten, bildeten die „Weimarer Koalition“ und regierten nun das Land.

      Das Frauenwahlrecht, der Acht-Stunden-Tag und Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften wurden eingeführt und damit zum Teil jahrzehntelange Forderungen der politischen Linken erfüllt. Den gewaltsamen Wirren bei ihrer Entstehung zum Trotz, bot die neue deutsche Republik eine Chance für die soziale Weiterentwicklung der Gesellschaft.

      Auch Robert Scholl stellte sich in den Dienst des gesellschaftlichen Fortschritts. In Forchtenberg trat er 1920 sein Amt als Bürgermeister an. Seine älteste Tochter, Inge Scholl, schreibt über diese Zeit:

      In dieser Weltabgeschiedenheit bekam das Ehepaar Scholl vier weitere Kinder: Elisabeth (geb. 1920), Sophie (geb. 1921), Werner (geb. 1922) und Thilda, die 1925 geboren wurde, aber bereits im folgenden Jahr starb. Trotz dieses Schicksalsschlages erlebten sie eine schöne Kindheit. Inge Scholl schreibt darüber:

      Das Verhältnis der Geschwister war sehr eng, auch weil die Kinder mit einem geringen zeitlichen Abstand voneinander geboren waren. Elisabeth Scholl meint dazu:

      Diese enge Bindung sollten die Geschwister ein Leben lang beibehalten, ja sie ging sogar noch über den Tod hinaus. Neben dem geringen Altersunterschied mag auch die besondere Stellung der Scholl-Kinder dazu beigetragen haben. Als die Kinder des Bürgermeisters waren sie privilegiert in der engen Welt der kleinen Stadt. Und noch einen Unterschied gab es zu den anderen Kindern des Städtchens: Robert Scholl legte sehr großen Wert auf Bildung. Im Haushalt der Scholls wurde musiziert, die Kinder wurden spielerisch an die Kunst und an die Literatur herangeführt. Die Künste wurden ein fester Bestandteil ihres Lebens.

      In der Familie wurde ein offener Umgangston gepflegt. Susanne Zeller-Hirzel, eine Freundin und spätere Mitkämpferin Sophie Scholls, schildert Robert Scholl so:

      In jenem Goethegedicht, das aus dem Singspiel Lila von 1777 stammt, heißt es unter anderem:

      „Allen Gewalten

      Zum Trutz sich erhalten

      Nimmer sich beugen

      Kräftig sich zeigen

      Rufet die Arme

      Der Götter herbei.“

      Dieses Hohelied auf den persönlichen Mut, auf Unbeugsamkeit und Selbstbewusstsein half der Familie durch die Zeit der Verfolgung. Elisabeth Scholl berichtet, dass das Goethewort ihnen in den dunkelsten Stunden nationalsozialistischer Hetze Zuversicht schenken konnte. Hans Scholl schrieb den Wahlspruch der Familie unmittelbar vor seiner Hinrichtung an die Zellenwand.

      Als Forchtenberg in der Mitte der 1920-er Jahre an den Errungenschaften der Moderne teilhaben konnte, war es gelungen, die Republik zu stabilisieren. Es war die Zeit der „Goldenen Zwanziger“.

      Vorausgegangen war eine Phase der Krisen. Bei den Friedensverhandlungen 1919 in Versailles wurde dem Deutschen Reich die alleinige Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges gegeben. Die deutschen Unterhändler wurden durch ein Ultimatum der Siegermächte gezwungen, die harten Friedensbedingungen zu akzeptieren.

      Die Haltung der Siegermächte zur Schuldfrage zeigte sich beispielsweise in der symbolischen Gestaltung der Soldatenfriedhöfe. Die alliierten Gefallenen bekamen weiße Kreuze und Grabsteine. Sie waren die unschuldigen Opfer des Krieges. Die deutschen Gefallenen sollten aber unter schwarzen Grabkreuzen ruhen. In den Augen der Sieger waren sie die Aggressoren, die für eine böse Sache gekämpft hatten.

      Die harten Friedensbedingungen, vor allem aber die Kriegsschuldfrage, brachten weite Teile der Bevölkerung gegen die Republik auf. Die deutsche Kriegspropaganda hatte vier Jahre lang behauptet, dass das deutsche Volk seine einzigartige Kultur vor dem Neid der Feinde verteidigen musste. Die Deutschen hatten glauben sollen, dass das Reich einen gerechten Verteidigungskrieg führte.

      Französische und belgische Truppen besetzten das Ruhrgebiet, um den Forderungen der Siegermächte Nachdruck zu verleihen. Die demokratischen Politiker riefen zum passiven Widerstand auf. Wegen des militärischen Drucks der Alliierten blieb ihnen bald nichts anderes übrig, als auf die Forderungen einzugehen. Sie wurden deshalb