DIE KLAUE - Der Kannibale von New York. Robert W. Walker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert W. Walker
Издательство: Bookwire
Серия: Die Fälle der Jessica Coran
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353800
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und weiter die Fragen der enttäuschten Reporter beantwortete.

      Rychman wusste, Drake war wie jede Menge anderer Leute darauf aus, dass er sich festlegte, doch das konnte er im Moment nicht. Er hatte lange darüber nachgedacht, sich um den Job des Polizeichefs zu bemühen, aber sollte er in einem solchen Rennen den Kürzeren ziehen, hatte er einiges zu verlieren, und außerdem war er sich nicht sicher, ob er sich den Stress dieses Amtes antun wollte. Er konnte allerdings auf die Unterstützung der Basis bauen, auch wenn das einfach daran liegen mochte, dass jeder den Polizeichef Carl Eldritch hasste, einen Mann, dessen Amtszeit für Langeweile und Ereignislosigkeit stand.

      Zumindest bis jetzt. Dank der Klaue. Das NYPD wurde jeden Tag in der Presse in die Pfanne gehauen und gegrillt, nicht nur in der Stadt, sondern im ganzen Land. Man stellte sie als lächerlich und inkompetent dar. Dass man sie völliger Unfähigkeit beschuldigte, war nichts Neues, aber jetzt gab es sogar Rufe nach einer Reform, und zwar auf allen Ebenen, und da Rychman mehrere Male während seiner Karriere für Tapferkeit ausgezeichnet worden war und sich nach oben gearbeitet hatte … aber selbst er war nicht vor den manchmal grausamen Spitzen der Karikaturisten und Kolumnisten gefeit, den sogenannten Zorn der Öffentlichkeit ausgedrückt durch eine Presse, die sich nicht zu schade dafür war, beinahe genauso viele Nachrichten zu erfinden wie über tatsächliche Ereignisse zu berichten. Der Grundsatz: Alles, was passend für eine Veröffentlichung ist, war längst zu: Alles veröffentlichen, was passt geworden.

      »Und was nicht passt«, murmelte er bei sich selbst, »wird passend gemacht.«

      Rychman musste sich Mühe geben, seinen Zorn auf die Presse in Zaum zu halten. Gute Beziehungen zur Presse konnten über Wohl und Wehe einer Kampagne entscheiden und er hatte tatsächlich den Ehrgeiz, der neue Polizeichef zu werden. Er hatte Ideen und Pläne für eine Reform, die das gesamte System umkrempeln würde, seine oberste Priorität dabei war der Informationsaustausch über alle Grenzen und Bezirke hinweg.

      Dass er die Presse nicht mochte und ihr misstraute, dafür hatte er persönliche Gründe, seit seine kürzlich erfolgte Scheidung vom National Enquirer mit der Art von Sensationshunger breitgetreten worden war, der an Beleidigung und Verleumdung grenzte. Sie nahmen Worte, die emotional und im Zorn gesprochen worden waren, und verdrehten sie gerade genug – ganz gleich, ob es Nancy gesagt hatte oder er selbst. Jede Chance auf Versöhnung war durch die Schläge, die sie durch die Presse in aller Öffentlichkeit hatten einstecken müssen, zunichtegemacht worden. Dadurch hatte er seine abgeklärte Ruhe nach außen und einige Freunde innerhalb der fünften Gewalt verloren. Bald war jede Äußerung von Nancys Anwälten durch die Macht des geschriebenen Wortes zur Wahrheit geworden. Er hatte lesen müssen, dass sie in ihrer Ehe emotionale Qualen hatte erleiden müssen, ebenso geistige und sexuelle und noch etwa sechzehn andere Formen der Qual. Um sich selbst davon abzuhalten, Lowenstein und Rutledge einen Besuch abzustatten und diesen Giftschleudern die Köpfe zusammenzuschlagen, war er zum Schießstand gerast und hatte so viele Kugeln abgefeuert, bis irgendwann das Gift in ihm selbst und das Gefühl der Verletzung und Verwirrung nachgelassen hatte. Er wusste einfach nicht, was passiert war und wie Nancy und er an diesen Punkt in ihrer Beziehung gelangen konnten.

      Nach über zwanzig Jahren in der Abteilung sollte er eigentlich wissen, wann man jemandem in den Arsch kriechen und wann man die Schnauze halten musste. Aber in letzter Zeit waren seine Nerven durch diesen Fall – und wie stümperhaft man bisher damit umgegangen war – zum Zerreißen gespannt. Ihm war klar, er konnte jederzeit durchdrehen, mit oder ohne Kamera in der Nähe. Er war schon in der Nacht zuvor bei Perkins ausgerastet. Die Art, wie er gerade auf Zehenspitzen sowohl bei der Presse als auch bei seinen Vorgesetzten auftreten musste, blockierte das Getriebe bis zu dem Punkt, wo es möglicherweise komplett stehen blieb, wenn er nicht die Kontrolle übernahm.

      Mit dem Aufzug fuhr er nach oben und stieg auf seiner Etage aus. Er starrte den belebten Flur entlang, in dem es vor Menschen wimmelte und der zu dem hastig eingerichteten Beweismittelraum führte, in dem ein Meeting mit dem Beauftragten für öffentliche Sicherheit des Bürgermeisters, Polizeichef Commissioner Eldritch und anderen mit einem gesteigerten Interesse am Fall der Klaue stattfinden sollte.

      Die Menschen, die in den Büros ein- und ausgingen, die seinen Weg säumten, grüßten ihn routiniert und beflissen, aber nichts davon war ehrlich gemeint. Rychman schenkte jedem im Gegenzug sein lange perfektioniertes und eiskaltes Starren. Police Plaza 1 war noch nicht sein Bezirk, aber dank der Scheidung kannte man ihn in der ganzen Stadt. Er ging schnell an den Cops vorbei, von denen ihn einige scherzhaft um einen Gefallen baten, wenn er an die Macht kommen sollte. Seine wie gemeißelt wirkenden, versteinerten Gesichtszüge erinnerten an eine Bronzestatue. Bronze hauptsächlich wegen seines jüngsten Ausflugs auf die Bermudas, der ihn nachdenklich gemacht und ihm eine gesunde Bräune verschafft hatte. Er hatte sich an die Sonne und den Rum gewöhnt und an eine Welt ohne Bindungen – egal welcher Art. Er band sich auch selten eine Krawatte um, aber heute hatte er eine Ausnahme gemacht. Die Krawatte lag über seiner breiten Brust und reichte nicht bis an die Gürtellinie. Einige starrten ihn an.

      Er wusste, er wirkte auf so manchen einschüchternd, und das war – zumindest für die meisten – keine beliebte Eigenschaft. Er wusste, dass er die jüngeren Cops einschüchterte, weil er schon so lange dabei war, doch das war eine positive Art der Einschüchterung, fand er. Überzeugend zu wirken, ohne ein Wort zu sagen, konnte in den richtigen Händen im richtigen Moment ein nützliches Werkzeug sein, besonders für einen Befehlshabenden. Im Krieg hatte ihm das auf jeden Fall nicht geschadet.

      Die meisten anderen Cops verstanden ihn. Er war grimmig, gelegentlich auch grausam, wenn es sein musste, und unnachgiebig, wenn es die Umstände erforderten. Dennoch störte es ihn manchmal, dass niemand sich in seiner Gegenwart behaglich fühlte. Er hatte bei der Polizei Karriere gemacht und sich hart nach oben gearbeitet. Stets war er nur aufgrund von Befähigung auf eine Stelle berufen oder in irgendeinen Rang befördert worden. Selbst die Presse konnte ihm da keinen Fehler nachweisen. Aber er hatte sich keine politische Heimat geschaffen und keinerlei politische Verbindungen; im Grunde war er einfach nicht politisch, nicht in dem Sinne, in dem es Eldritch war. Rychman fehlte es an der nötigen Listigkeit und dem Durchhaltevermögen für das, was Eldritch »politischen Scharfsinn« nannte. Das Fehlen dieser »Qualität« war seine wichtigste Schwäche, sollte er gegen Eldritch antreten. Trotz der Tatsache, dass er Polizeibezirk nach Polizeibezirk in gut organisierte Organisationen verwandelt hatte, die Ergebnisse lieferten, tänzelte er noch nicht leichtfüßig über das Drahtseil der polizeilichen Strukturen, was sehr viel schwerer war als mit der Presse ein kleines Menuett aufzuführen. Wahrscheinlich war er kein Tänzer und vielleicht war er auch nicht der Richtige für den Posten des Polizeichefs.

      Bevor er den Beweismittelraum aufsuchte, einen Raum, der gefüllt war mit den gesammelten Informationen über die Klauen-Morde, erinnerte er sich daran, dass Eldritch ihn sehen wollte. Gerüchte breiteten sich unter Cops schneller aus als ein Buschfeuer. In jeder Abteilung sprach man davon, dass Eldritch eine spezielle Taskforce zusammenstellen ließ, um die Ermittlungen in den Klauen-Morden zu leiten. Heute würden es alle erfahren.

      Eldritchs Sekretärin meinte zu ihm: »Sie werden schon erwartet, Captain Rychman. Gehen Sie gleich rein.« Eldritch hatte ihn erst vor zwei Wochen aus seinem Büro zu sich beordert und ihm wütend eröffnet, man brauche keine solche Taskforce. Dann riet er ihm, er solle eine Woche Urlaub machen. Es waren die ersten Tage seit vielen Jahren, die er weit weg von seinem Job und der Stadt verbracht hatte, und er fühlte sich ausgebrannt. Also war er nach Bermuda geflogen, wo er zumindest eine Zeit lang die Klaue aus seinen Gedanken verbannen konnte. In der Zwischenzeit war in den Nachrichten von einem weiteren Opfer die Rede gewesen und davon, dass er unterdessen auf Bermuda Urlaub machte, was ihn schlecht dastehen ließ, da es passenderweise ebenfalls an die Presse weitergegeben worden war.

      Eldritch, stets der clevere Politiker.

      Als er in Eldritchs Büro trat, fand er zwei weitere Männer vor. Ken Stallings, den stellvertretenden Bürgermeister, und Lieutenant Captain Lowell Morris, einen fähigen Mann, den Rychman mochte und respektierte. Eldritch stellte Stallings und Rychman einander vor und die beiden Männer versuchten, sich gegenseitig einzuschätzen.

      »Ich hab Sie hergerufen, Alan, weil wir einen Mann Ihres Kalibers brauchen, um die Taskforce im Klauen-Fall zu leiten