DIE KLAUE - Der Kannibale von New York. Robert W. Walker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert W. Walker
Издательство: Bookwire
Серия: Die Fälle der Jessica Coran
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353800
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Bastard vorgeht, wie er ihre Leichen zurücklässt – das könnte selbst für Sie schockierend sein.«

      »Was soll das heißen, Captain? Dass mir mein Ruf vorauseilt? Dass ich unerschütterlich bin? Dass Sie gern sehen würden, wie ich zittere?«

      Sie hatte Rychmans Akte gelesen. Er war 1948 geboren worden, seine Eltern waren einfache Arbeiter und er das dritte von fünf Kindern. Er besuchte Schulen in New York, verbrachte zwei Jahre am John Jay College, ging ab, um in Vietnam zu dienen, und trat bei seiner Rückkehr 1973 in die Polizeiakademie ein. Nach einer Reihe spektakulärer Verhaftungen war er schnell durch die Ränge vom Streifenpolizisten zum Detective aufgestiegen. 1979 wechselte er von der Sitte zur Mordkommission und blieb seitdem dort. 1989 wurde er im 31. Polizeibezirk zum Captain ernannt, ein Bezirk, der als einer der schlimmsten verschrien war, bis er dort aufräumte und die Korruption genau wie interne Probleme beseitigte. Mittlerweile hatte der 31. Bezirk eine der höchsten Aufklärungsraten der Stadt. Er hatte im 31. so gute Arbeit geleistet, dass er seitdem in zwei weitere »schmutzige« Bezirke versetzt worden war, um dort aufzuräumen, und auch diese Aufgabe hatte er glänzend gemeistert. Ihr war klar, dass seine Erfolge auf seiner unnachgiebigen Natur beruhten und seinem zupackenden Führungsstil. Er wurde von den Männern unter ihm auch »der Stiefel« genannt, weil er so vielen ausgebrannten Cops einen Tritt in den Hintern verpasst hatte.

      Außerdem war er in zwei Kriegen für Tapferkeit im Einsatz ausgezeichnet worden, in Vietnam und in New York. In manchem erinnerte er sie an Otto Boutine; die beiden wären entweder sehr gute Freunde gewesen oder Erzfeinde und wie Steinböcke aufeinander losgegangen, dachte sie.

      »Wo sind Sie untergebracht?«, fragte er.

      »Im Marriott.«

      »Downtown? Schön, wenn man ein Zimmer kriegt. Und nahe genug, wenn ein Notruf reinkommt.«

      »Ich hoffe, das ist kein Hinweis darauf, wie energisch Sie den Fall verfolgen werden, Captain.«

      Er sah sie verwirrt von der Seite an. »Was?«

      »Indem Sie auf einen Anruf warten.« Sie nahm ihren Stock und die Tasche und ging in Richtung Tür.

      Er überlegte, ob er ihr folgen sollte und die Sache richtigstellen, doch stattdessen winkte er ihr mürrisch hinterher und ließ sie gehen. Aber dann steckte sie den Kopf durch die Tür.

      »Ja?«

      »Ich will eine Kopie des forensischen Berichts über das sechste Opfer. Können Sie den für mich besorgen?«

      »Ich kümmere mich darum, dass man Ihnen eine Kopie macht. Die wird im Laufe des Tages auf meinen Schreibtisch flattern.«

      »Ist Archer oder Darius der Gerichtsmediziner bei diesem Fall?«

      »Ein Mann namens Perkins.«

      »Hmm, verstehe. Ist er neu?«

      »Nicht wirklich, aber es war das erste Mal, dass er an einem Tatort der Klaue im Einsatz war. Es scheint, dass Archer anderweitig beschäftigt ist, und Darius ist gerade ein wenig durch den Wind.«

      »Es gab also keine Kontinuität?«

      »Könnte man so sagen, ja.«

      »Die einzige Konstante bei all diesen Fällen war der Killer. In der Gerichtsmedizin hat man Reise nach Jerusalem gespielt.«

      Er legte die Stirn in Falten, schürzte die Lippen und sagte entschuldigend: »Wir versuchen unser Bestes mit dem, was wir haben, Dr. Coran.«

      »Leider ist das nicht immer gut genug.«

      »Wir haben hier den besten Mann im Land, und die Leute, die unter ihm arbeiten, sind genauso gut, Doktor. Wenn Sie das Urteil eines Mannes wie Dr. Darius in Zweifel ziehen, könnte das nicht sehr gut ankommen.«

      »Ich will nicht, dass das eine feindselige Beziehung wird, Captain.«

      »Hätte ich jetzt nicht gedacht.«

      Sie brachte ein Lächeln zustande, was er bisher von ihr noch nicht gesehen hatte. Es erhellte den ganzen Raum, fand er. »Wenn wir diesen Verrückten stoppen wollen, dann müssen wir uns an das halten, was wir predigen – Zusammenarbeit. Das heißt, Ihr Kriminallabor muss mit meinem zusammenarbeiten.«

      »Und ich mit Ihnen.«

      »Kann nicht schaden.«

      Trotz ihres ruppigen Tons und dem hart wirkenden Äußeren, dem Stock und dem Hinken lag etwas in ihren Augen, das sie weich, fürsorglich und warmherzig wirken ließ. Aber das war in einer Sekunde verschwunden und wieder in ihrem Innern verschlossen, vielleicht als unbewusste und automatische Reaktion auf sein Starren. Er lächelte, aber ihr Lächeln verblasste. Sie hatte ihm die Stirn geboten; er hatte lange keine Frau getroffen, die das getan hatte.

      Jessica Coran versuchte, sich im Labyrinth von Police Plaza 1 und den angrenzenden Gebäuden zurechtzufinden, indem sie der Wegbeschreibung zum Labor folgte, die ihr Sergeant Lou Pierce gegeben hatte. Man hatte ihr mitgeteilt, Dr. Luther Darius sei nicht da. Er war weltbekannt für die Errungenschaften in seinem Fachgebiet – seine beiden Bücher waren Pflichtlektüre an der FBI-Academy. Lou Pierce hatte es beinahe geflüstert, also nahm sie an, dass das 70 Jahre alte Genie der Forensik bettlägerig war. Die meiste Arbeit, die in seinem Labor anfiel, wurde mittlerweile von jüngeren Männern und Frauen erledigt und Darius verbrachte seinen Arbeitstag damit, Praktikanten zu beurteilen, die aufgrund der Zusammenarbeit mit der New York University, dem John Jay und anderen Colleges im Umkreis herkamen. Allerdings gab es interne Gerüchte und Hörensagen, dass der alte Mann zumindest teilweise für einige Fehler aus Nachlässigkeit verantwortlich war, die im letzten Jahr passiert waren und in Prozessen gegen die Stadt und Vergleichen geendet hatten. Wenn Darius seinen Biss verloren hatte, sollte er vielleicht nicht Zugriff auf die wenigen medizinischen rechtlichen Beweise haben, die im Fall der Klaue existierten. Aber wie entthront man einen Milton Helpern oder einen Luther Darius?

      Eines nach dem anderen, dachte sie. Zuerst wollte sie die Überreste des letzten Opfers der Klaue sehen. Dazu musste sie nur Dr. Simon Archer lokalisieren, den zweiten Mann nach Darius.

      Sie fand das Labor und die daneben liegenden Autopsiesäle und Kühlräume. Ein hilfsbereiter junger Techniker brachte sie zu Dr. Archer, einem großen, gut aussehenden und muskulösen Mann mit aufrechter Haltung und großen braunen Augen, mit denen er sie so durchdringend anschaute, dass sie das Gefühl hatte, er würde durch sie hindurchsehen, als sie sich vorstellte.

      »Ah ja, die Taskforce, und Sie sind Dr. Coran. Ich habe einen Anruf vom Polizeichef erhalten. Willkommen an Bord. Lassen Sie mich der Erste sein, der Ihnen dazu gratuliert, dass Sie diese ganze Matisak-Geschichte überstanden haben.«

      »Äh, nun ja, wenn ich vielleicht einen Labormantel haben könnte, ich würde mir wirklich gern das letzte Opfer der Klaue ansehen.«

      »Natürlich. Alles, was Sie brauchen, finden Sie, wenn Sie hier durchgehen, und die Leiche ist auf der anderen Seite.«

      Er hielt ihr die Tür auf und betrachtete ihren Stock, was ihr das Humpeln unangenehm in Erinnerung rief. Drinnen zog sie sich einen Labormantel, eine Atemmaske und Handschuhe über, während Dr. Archer seinen Leuten Anweisung gab, die Leiche aus der Kühlkammer zu holen und im inneren Raum aufzubahren. Dr. Archer wartete neben der Leiche auf sie und sah aus, als sei er ein Leichenbestatter, der für seine handwerkliche Leistung Applaus erwartet.

      »Ich habe die Autopsie selbst durchgeführt«, murmelte er. »Bin etwas nervös, weil Sie einen zweiten Blick auf Mrs. Hamner werfen, vor allem, wenn man Ihren Ruf bedenkt. Wie haben die Zeitungen Sie genannt?«

      »Kein Grund, nervös zu sein, Doktor.«

      »Leichenfleddererin, oder?«

      »Ja, so werde ich manchmal genannt, aber das ist immer nett gemeint.« Sie lächelte unter der Maske und versuchte ihn so zu beruhigen.

      »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen über die Schulter schaue?«

      »Ehrlich gesagt, machen Sie mich etwas nervös, Doktor.«

      »Oh,