Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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die Landeshoheit der deutschen Teilfürsten, und das war um so entscheidender, als der Dreißigjährige Krieg an dem Versuche des damaligen Kaisers entbrannt war, ein einheitliches Reich wiederherzustellen. Wollte man die Worte pressen, so ließe sich sogar behaupten, gerade Friedrichs Politik habe der Reichsverfassung wieder eine Art gespenstigen Lebens eingehaucht. Er führte namentlich den zweiten Krieg um Schlesien angeblich für Kaiser und Reich gegen den Despotismus Österreichs, für den rechtmäßig gewählten Kaiser Karl VII. gegen die Rebellion der Königin von Ungarn, und die Bemühungen um den Fürstenbund, die seine letzten Lebensjahre erfüllten, gingen vom Boden der Reichsverfassung aus. Immerhin hieße das mehr auf die Form als auf die Sache sehen. Es beweist nur so viel, daß Friedrichs dynastische Politik auch mit so schemenhaften Faktoren, wie Kaiser und Reich damals waren, trefflich zu rechnen wußte: Ihrem Wesen könnte sie deshalb doch diese Schemen noch schemenhafter gemacht haben. Und das hat sie freilich auch getan, nur nicht durch einen »revolutionären« Entschluß, sondern auf dem Wege einer geschichtlichen Entwicklung, die tief in die Jahrhunderte zurückgreift.

      Es ist ein bürgerlicher Schriftsteller, der in einer Schilderung der Hansa schreibt: »Auf keinem Gebiete irdischer Interessen wird der Unterschied zwischen Oberdeutschen und Niederdeutschen so bemerkbar als in der Tätigkeit, welche nationale Schranken mehr als jede andere zerbricht. Mittelmeer und Nordmeer, Landhandel und Seehandel, Fabrikant und Kaufmann, Goldwährung und Silberwährung stehen im Verkehre der Ober- und Niederdeutschen gegeneinander.« Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 2, 232. Dieser Unterschied verhinderte, daß in Deutschland wie in Frankreich, England, Spanien aus dem Verfalle des feudalen Reichs ein nationaler Staat entstand. Sobald sich aus der mittelalterlichen Naturalwirtschaft Gewerbe, Handel und Verkehr, kurz, die ersten Anfänge der kapitalistischen Produktionsweise zu entwickeln begannen, verhinderte der Widerstreit der ökonomischen Interessen in Deutschland, was ihre Übereinstimmung in jenen andern Ländern verursachte. Will man äußerlich mit einer Jahreszahl den Beginn der Entwicklung bezeichnen, deren letzte Etappen die Jahre 1648, 1763 und 1806 waren, so bietet sich das Jahr 1273 dar. Die Wahl des kleinen Grafen Rudolf von Habsburg zum deutschen Kaiser offenbarte zuerst, daß die deutsche Monarchie eine schattenhafte Existenz zu führen begann. Es genügt darauf hinzuweisen, daß Rudolf bei seiner Wahl im kirchlichen Banne lag, weil er mit seinen Spießgesellen das Magdalenenkloster in Basel angezündet und ausgeraubt hatte. Er war die Puppe der großen Teilfürsten, die ihm nur unter ihrer Vormundschaft die Krone überließen und die ihm nur auf Kosten eines ihnen selbst zu übermächtig gewordenen Genossen, des Königs Ottokar von Böhmen, die Gründung einer sehr unsicheren Hausmacht gestatteten. Wenn Rudolf trotzdem der Ahnherr eines mächtigen Fürstengeschlechts wurde und seine Hausmacht sich zu einem Weltreich auswuchs, worin die Sonne nicht unterging, so geschah es zunächst, weil er und sein Nachfolger sich zu Fähnrichen und Vorkämpfern der päpstlichen Universalmonarchie machten. Das wurde die unverbrüchliche Politik des Hauses Habsburg; Rudolf strafte die Fürsten mit derselben Waffe, womit sie seine mächtigen Vorgänger auf dem Throne so oft gestraft hatten. Gleich nach seiner Wahl unterwarf er sich demütig der Kirche, nach deren irdischen Gütern er in seinen proletarischen Umständen gar zu unehrerbietiges Verlangen getragen hatte. Aus der unbedingten Unterwerfung unter den Papst gewann er aber nicht nur moralische, sondern auch und namentlich ökonomische Macht. Auf Halbpart begünstigte er die Ausbeutung der deutschen Nation durch die römische Kurie; mit eigener Hand schützte er auf einem Fürstenkonvent in Würzburg einen päpstlichen Legaten, dem die schmählichsten Wucherpraktiken nachgewiesen worden waren.

      Allein diese Wucherpraktiken zehrten an den Wurzeln der päpstlichen Weltmonarchie. Sie wurde um so überflüssiger, je mehr sich die Warenproduktion und der Welthandel und in deren Gefolge die weltlichen Wissenschaften entwickelten. Aber je überflüssiger sie wurde, um so höher steigerte sie ihre Ansprüche, um so rücksichtsloser beutete sie die Nationen aus. Eine Auseinandersetzung mit Rom wurde für alle europäischen Völker eine Notwendigkeit. Es erübrigt, hier zu verfolgen, wie sie sich je nach dem von den einzelnen Völkern erreichten Höhegrade der ökonomischen Entwicklung sonst in Europa vollzog. Vergleiche darüber Kautsky, Thomas More und seine Utopie. Für Deutschland war diese Auseinandersetzung bei dem Widerstreite der ökonomischen Interessen, der das Land teilte, nur so möglich, daß der eine Teil um jeden Preis an Rom festhalten, ebendeshalb aber der andere Teil sich um jeden Preis von Rom losreißen mußte.

      Zwar konnte es einige Jahre so scheinen, als habe Deutschland in dem Kampfe gegen Rom das Band gefunden, das alle Teile des Landes und alle Klassen des Volkes zu einer nationalen Einheit zusammenschließen würde. Die päpstliche Ausbeutung und Plünderung war so unerträglich geworden, daß Bauern, Bürger, Ritter, Fürsten gemeinsame Sache gegen sie machten. Ja, bis tief in die katholische Geistlichkeit hinein regte sich das Verlangen nach Abschüttelung des römischen Jochs, und selbst der habsburgische Kaiser Maximilian sah in Luther einen Mann, den man im Notfall immerhin gebrauchen könne. Allein dies gemeinsame Ziel war nur ein negatives; sobald es erreicht war, mußten die positiven Gegensätze auf ökonomischem und sozialem Gebiete um so schroffer hervortreten. Und so geschah es. Die Niederlage der Bauern, an denen Luther schmählichen Verrat übte und in deren Blute seine fürstlichen Beschützer mit erbarmungsloser Grausamkeit wateten, brach der reformatorischen Bewegung das Rückgrat. Die Fürsten blieben als Sieger auf dem sozialen Kriegsschauplatze. Das war eine historische Notwendigkeit, denn die Fürsten vertraten die Zentralisation des modernen Staats, soweit sie unter den ökonomischen Verhältnissen Deutschlands überhaupt möglich war. Nur daß es deshalb keineswegs das war, was man heutzutage Gedanken- und Geistes- und Gewissensfreiheit, Kulturfortschritt und so weiter zu nennen beliebt. Was die römische Kirche im sinkenden Mittelalter für Armen- und Krankenpflege, für Unterricht und Wissenschaft getan hatte, war herzlich wenig, aber es war doch immer noch mehr, als wenn die Fürsten das Kirchengut durch die Gurgel jagten oder an ihre Dirnen verschwendeten. Die protestantische Lehre selbst aber versteinerte als Spiegelbild dieses Duodezdespotismus zum Dogma vom göttlichen Rechte der Fürsten, von ihrer Allmacht und ihrer Allweisheit, vom unbedingten Gehorsam der Untertanen, kurzum, zu einem Dogma, wie es auf deutschem Boden niemals erhört und vor allem auch niemals von der katholischen Kirche gelehrt worden war.

      Aller Scharfsinn der ideologischen Geschichtsschreibung scheitert an der Frage, wieso es kam, daß die revolutionäre Bewegung gegen die Weltmacht des Mittelalters gerade in dem Lande, wo sie den höchsten Aufschwung zu nehmen schien, in die traurigste Reaktion umschlug, weshalb gerade in Deutschland, um mit Lassalle zu sprechen, die »geistige Freiheit« nur dadurch erreicht werden konnte, daß ihr »bis auf die letzte Spur alles nationale Dasein, alle politische Freiheit, Einheit und Größe mindestens auf drei Jahrhunderte von Grund aus zum Opfer gebracht wurde«, worauf dann natürlich auch die »geistige Freiheit gar bald in jenes widerliche konfessionelle Pfaffengezänk verkümmern mußte, welches das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert erfüllte«. Der ideologische Streit der katholischen und der protestantischen Geschichtsschreiber darüber geht schon ins vierte Jahrhundert und ist doch nicht weiter gelangt wie am ersten Tage. Und auch am Jüngsten Tage wird er nicht weiter gelangt sein, wenn man sich hüben und drüben nicht endlich zur Erkenntnis aufschwingt, daß in dem Kampfe der religiösen Weltanschauungen sich die jeweiligen ökonomischen Klassenkämpfe widerspiegeln. Katholizismus und Feudalismus waren im Mittelalter ein und dasselbe; der entstehende Kapitalismus konnte diesen nicht bezwingen, ohne jenen niederzuwerfen; die Städte mußten mit den Pfaffen abrechnen, wenn sie den Junkern den Daumen aufs Auge drücken wollten. Die ökonomisch hochentwickelten Städte des südlichen Frankreichs waren schon im dreizehnten Jahrhundert die ersten Stätten der protestantischen Ketzereien; mit dem Seherblicke des Dichters feiert Nikolaus Lenau die Albigenser als die rechten Ahnen der »Stürmer der Bastille und so weiter«. Wie die Albigenser waren später die Hugenotten die ökonomisch entwickeltsten Elemente der französischen Bevölkerung, und der Franzose Calvin gab der protestantischen Ketzerei die dogmatische Fassung, die dem revolutionären Bürgertum als siegreiches Banner gegen die habsburgisch-päpstliche Weltmonarchie dienen konnte und gedient hat.

      Vor allem in den »germanischen Ländern« Holland und England, während im eigenen Deutschland der Deutsche Luther nur eine dogmatische Fassung der protestantischen Ketzerei fertigbrachte, die wie ein fürchterlicher Alp durch mehrere Jahrhunderte auf der geistigen Entwicklung der Nation gelastet hat. Nach der ideologischen Geschichtstheorie müßte der Grund dieses weltweiten Unterschieds in der Verschiedenheit