Die Protestantin. Gina Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gina Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943121599
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und mir dann ebenso frei und unverhohlen antworten. Können Sie sich vorstellen, als meine Gattin mit mir zu leben und mir Ihre ganze Liebe zu schenken?«

      Wie er schwitzte. Die Tropfen rannen über seine Wangen, in seinen Kragen. Johanne rang nach Worten, aber da waren keine Worte. Da war nur ein großer Schreck oder war es Freude?

      »Lassen Sie mich erst noch etwas hinzufügen, Johanne, ehe Sie mir antworten. Es liegt mir fern, Sie zu einer ungestümen und unbedachten Antwort zu drängen. Nehmen Sie sich Zeit, um vor dem Herrn zu erwägen, ob Sie mit mir glücklich werden. Allerdings ist es auch meine Pflicht, Ihnen zu sagen, dass ich Ihnen nur ein treues, liebendes Herz, aber wenig Anziehendes bieten kann. Ein Seelsorger muss allen Eitelkeiten und Bequemlichkeiten absagen. Und was auch immer ich erreichen werde, nie werde ich irdische Güter anhäufen.«

      Er schwitzte. Sie schluckte.

      »Als Pastorin müssen auch Sie die Welt verleugnen. Müssen Sie sich um die Armen und Kranken kümmern und Ihre Freude an solchen Aufgaben haben. Für weltliche Vergnügungen bleibt in einem solchen Leben kein Raum. Und in allem Tun und Wirken müssen Sie sich immer bewusst sein, dass Sie Vorbild für alle Gemeindemitglieder sind.«

      Als Pastorin, dachte Johanne. Von wem sprach Fliedner? Nicht von mir, dachte sie, doch bestimmt nicht von mir.

      »Bei allen Einschränkungen kann ich Ihnen aber auch von Herzen zusichern«, fuhr er fort, »dass ich Sie niemals von meinem Tun, meinen Plänen und Gedanken ausschließen werde. Im Gegenteil, ich wünsche mir Ihre tätige Teilnahme und Ihren klugen Rat in allen Belangen. Ich habe Sie lange mit Freude beobachtet«, schloss er, »und ich hoffe aus dem innersten Grund meiner Seele, dass Sie meine Werbung bejahen und ich bei Ihren Eltern um Ihre Hand anhalten darf.«

      Er lächelte ein schmales Lächeln, dann holte er ein Taschentuch aus der Jacke und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.

      Johanne faltete die Hände im Schoß. Versuchte, sich zu sammeln. Versuchte, sich zu beruhigen. Sich klar zu werden, vor allem das. Wie lange hatte sie sich nach dieser Begegnung gesehnt. Jetzt, da er sie endlich fragte, war ihr Kopf leer. Wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Sie liebte ihn doch, warum ging es ihr jetzt wieder so wie damals mit Felix? Warum wollte sie am liebsten aufstehen und weggehen und seiner Nähe, seinem Blick entkommen?

      »Meine Schwester«, stieß sie schließlich hervor und erschrak, weil ihre Stimme so rau und fremd klang. »Trinchen. Ich kann sie nicht allein lassen. Was soll denn aus ihr werden?«

      »Natürlich würde ich mich um sie kümmern wie um mein eigen Fleisch und Blut. Es wird ihr gut gehen im Pfarrhaus.«

      Es wird ihr gut gehen. Und Johanne selbst würde es auch gut gehen. Sie würde Fliedners Ehefrau sein, ihn begleiten in allem, was er unternahm und vollbrachte. Sie konnte mit diesem wunderbaren Mann den Rest ihres Lebens zusammen sein, ihn unterstützen, mit ihm leben und arbeiten. Weshalb zögerte sie noch? Ein Wort genügte. Ja. Aber sie sagte nicht Ja und sagte auch nicht Nein, sie schwieg, während Fliedner neben ihr saß und wartete.

      »Ich danke Ihnen aus innigstem Herzen für Ihr Vertrauen und Ihre Liebe«, flüsterte sie schließlich. »Ich fühle mich unendlich geehrt. Aber eine solch folgenreiche Entscheidung muss ich gründlich und sorgfältig überlegen. Geben Sie mir ein wenig Zeit, ich verspreche Ihnen, ich werde Sie nicht lange warten lassen.«

      War er enttäuscht von diesen vorsichtigen Worten? Er hatte selbst gesagt, dass er sie nicht zu einer unbedachten Antwort drängen wollte. Wenn er etwas anderes erwartet hatte, dann verbarg er seine Enttäuschung gut. Er stand auf und reichte ihr die Hand.

      »Überdenken Sie es«, sagte er ruhig. »Sie werden die richtige Entscheidung treffen, des bin ich mir gewiss.«

      Hör auf dein Herz, hatte Nelli gesagt. Aber Johannes Herz schwieg oder vielleicht hörte sie es nur nicht, weil diese Stimme in ihrem Kopf so laut redete. Entscheide dich, sagte die Stimme, du musst dich entscheiden. Das ist doch wirklich nicht so schwer.

      »Es ist ganz einfach«, flüsterte Johanne.

      Sie würde Fliedner heiraten und von diesem Moment gäbe es sie nicht mehr. Johanne König, die alle verspottet hatten, auf die alle herunterblickten, würde verwandelt und erhöht werden in Frau Theodor Fliedner. Die Frau Pastorin. Wie schön das klang. Und wie furchterregend.

      Aber warum fürchtete sie sich?

      Sie wären nicht auf Rosen gebettet, hatte Frau Händel gesagt. Ich kann Ihnen wenig Anziehendes bieten, sagte Fliedner. Als Pastorin müssten Sie die Welt verleugnen. Aber das schreckte sie nicht. Sie wäre bei ihm, sie würde mit ihm wirken, mit ihm arbeiten. Ihm Kinder gebären. Johanne dachte an die Qualen ihrer Mutter bei Catharines Geburt und drängte den letzten Gedanken rasch wieder weg.

      Und ging schneller. Fliedner war der Richtige. Der Einzige. Er würde sie zielsicher lenken, zum Guten bringen. Sie waren füreinander bestimmt.

      Die Schriftlesung vom letzten Sonntag, aus irgendeinem Grund fiel sie ihr jetzt wieder ein. Sie hörte Fliedners Stimme, wie er Paulus’ Worte sprach. Der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen. Wie so oft hatte sie das Gefühl gehabt, dass er vom Altar direkt in ihr Gesicht blickte, dass er allein zu ihr sprach. Wenn das Weib um des Mannes willen geschaffen wurde, hatte Gott sie, Johanne, dann nur wegen Fliedner in die Welt gesetzt? Um ihm zu helfen, ihn zu unterstützen? War das ihre göttliche Bestimmung? Der Gedanke hatte ihr damals schon nicht gefallen. Heute gefiel er ihr noch weniger.

      Vielleicht war das Ganze ja anders gemeint. Aber wie? Der Satz war klar und unmissverständlich. Das Weib war für den Mann da und nicht umgekehrt.

      Fliedner wäre in allem der Herr und sie wäre ihm untertan. Sie wäre für ihn da, ganz wie es in der Bibel stand. Richtig so, dachte Johanne. Dass es schlimme Folgen hatte, wenn die Frau sich gegen ihren Mann auflehnte, das sah sie doch jeden Tag an ihren eigenen Eltern. Wenn ihre Mutter den Vater mit etwas mehr Demut und Ehrfurcht behandelt hätte, dann … Was dann? Hätte er eine neue Arbeit gefunden? Oder wenigstens mit dem Trinken aufgehört? Es wäre zumindest erträglicher für uns alle, dachte Johanne, während sie die Haustür aufschob und in den Hausflur trat.

      Die Mutter empfing sie an der Wohnungstür. »Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen? Ich hab dir doch gesagt, dass ich mit dir zu reden habe.«

      Die Luft in der Wohnung nahm ihr den Atem, die Kohlsuppe vom Vortag hing noch im Zimmer und vermischte sich mit dem seifigen Geruch der Wäsche auf der Leine.

      Johanne ging zu Trinchen, die die Mutter am Tischbein festgebunden hatte. Die Kleine jauchzte vor Freude, als Johanne sie losmachte und hochnahm. »Sie ist ja ganz nass«, stellte sie vorwurfsvoll fest.

      »Es wird Zeit, dass sie endlich sauber wird«, sagte die Mutter gleichgültig. »Aber jetzt hörst du mir zu.«

      Johanne seufzte. »Was gibt es denn so Dringliches?«

      »Es geht endlich aufwärts, das gibt es!«, sagte Frau König, während Johanne Trinchen die nassen Kleider auszog. Ihre Mutter klang so froh, so hoffnungsvoll, dass sie sich plötzlich fragte, ob sie von Fliedners Antrag wusste. »Endlich hat sich eine Stellung aufgetan für Vater. In Laurenz’ Färberei in Elberfeld suchen sie noch Leute. Selbst Heiner und Theodor können dort anfangen. In zwei Wochen geht es los. Jetzt hat es ein Ende mit diesem Elend!«

      »Schon in zwei Wochen? Und Heiner und Theodor sollen auch dort anfangen?«

      »Sicher«, nickte die Mutter. »Das Geld können wir dringend gebrauchen.«

      »Aber Theodor ist gerade einmal zwölf. Und der Heiner wollte doch als Lehrbursche zum Schlosser.«

      »Der Theodor ist alt genug. Wer so viel essen kann, der kann auch arbeiten. Und das Lehrgeld für den Heiner hätten wir ohnehin nicht bezahlen können.«

      »Ich kann das Lehrgeld doch zahlen« Ihre Stimme klang müde und mutlos, das merkte sie selbst. Die Sache war entschieden, ganz egal, was sie sagte oder wollte oder tat.

      »Vielleicht findet sich ja auch für dich eine Anstellung in der Fabrik«, jubelte die Mutter.