Die Protestantin. Gina Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gina Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943121599
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Alles drehte sich. Entscheide dich, du musst dich entscheiden, sagte die Stimme in ihrem Kopf.

      Die alte Magd Frieda schlug fassungslos die Hände über dem Kopf zusammen, als Johanne am Gutshof ankam. Catharine lag schlafend in ihrem Holzwägelchen, über den Karren hatte Johanne ein Tuch gespannt, um die Kleine vor der sengenden Mittagssonne zu schützen. »Ach du liebes bisschen«, jammerte Frieda. »Die junge Mamsell Johanne in dieser Hitze unterwegs. Und das arme Würmchen! Bei dem Wetter trifft das Kind doch der Hitzschlag. Womöglich ist es schon passiert! Oh mein armer Goldschatz!«

      Sie wollte die Kleine hochnehmen, aber Johanne schob sie sanft zur Seite.

      »Lass es gut sein, Frieda. Trinchen schläft nur, es geht ihr gut. Wir stellen den Wagen dort drüben in den Schatten, da hat sie es am besten.«

      Frieda legte den Finger auf die Lippen, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Behutsam schoben sie den Karren in eine schattige Hofecke.

      Im Flur trafen sie auf die alte Frau Hamelius, Nellis Schwiegermutter, die Johanne anstarrte wie eine Fremde. Ihren Gruß erwiderte sie nur mit einem kühlen Nicken, dann drehte sie sich wortlos um und ging die Treppe nach oben.

      Nelli führte Johanne auf die schattige Veranda, von der man in den Garten schaute. Sie ließ Süßmost und Gebäck bringen. Johanne trank, trank so lange, bis das Pochen in ihren Schläfen nachließ und ihr Kopf klarer wurde. Nelli sah ihr dabei zu, das runde Gesicht in die Hände gestützt.

      »So, jetzt quäl mich nicht länger«, sagte sie. »Was bringt dich bei dieser Hitze nach Wittlaer?«

      Da erzählte Johanne Käthes Brief und von Fliedners Antrag und dass ihre Eltern nach Elberfeld wollten. Und hörte sich selbst reden, hörte, wie gefühllos und kühl ihre Worte klangen. Als ob sie über eine Fremde spräche.

      Aber Nelli merkte nichts und spürte auch ihre Verwirrung nicht. Ihr Gesicht leuchtete vor Begeisterung und Freude. »Oh Johanne!« Sie griff nach Johannes Händen und drückte sie. »Das ist ja ganz wunderbar! Eines fügt sich in wunderbarer Vollkommenheit ins andere! Du heiratest deinen Pastor, ziehst mit Catharine ins Pfarrhaus und die Deinen sind versorgt. Danke, danke dem Himmel!«

      Der Herr hat deine Gebete erhört.

      Johanne zog ihre Hände aus Nellis Fingern und ballte sie zu Fäusten.

      Die Freundin schenkte Süßmost nach. »Du hast Angst«, sagte sie ruhig. Johanne nickte und merkte gleichzeitig, wie ihre Kehle eng wurde, wie Tränen in ihre Augen stiegen.

      »Das ist ganz natürlich«, hörte sie Nelli fortfahren. »Es ist ein Schritt fürs Leben und der muss gut bedacht sein. Aber es gibt doch keine Zweifel. Du liebst Fliedner schon lange von ganzem Herzen. Oder haben sich deine Gefühle für ihn gewandelt?«

      Nein, dachte Johanne, und blinzelte die Tränen weg. Auf einmal war ihr Kopf ganz klar. Sie verstand, was sie beunruhigte, was ihr missfiel, was sie davon abhielt, Fliedners Antrag anzunehmen.

      »Ich liebe ihn. Aber liebe ich auch das Leben, das mich an seiner Seite erwartet?«

      »Aber Johanne, du bist dafür gemacht«, rief Nelli. »Du hast Freude an der Gemeindearbeit, die Kranken freuen sich über deinen Besuch, die Herzen fliegen dir zu. Du bist die Richtige für Fliedner, daran habe ich keinen Zweifel.«

      Johanne schaute in den klaren Sommerhimmel. Ganz bestimmt sind Sie die Richtige für ihn. Ich weiß nur nicht, ob er auch der Richtige für Sie ist.

      Ein rosa Streifen zog sich durch die hellblaue Luft über den Obstbäumen. Darunter hing eine kleine, verlorene Wolke. »Meine Pflichten als Pastorin ängstigen mich nicht«, murmelte sie. »Aber der Verzicht.«

      »Aber du warst doch noch nie sehr fürs Tanzen und andere Vergnügungen. Und jetzt meinst du, dass es dir so sehr fehlen wird?«

      »Nicht nur das Tanzen und Ausgehen. Auch die Besuche auf dem Kleianshof werden mir fehlen, das Lachen mit Felix, meine eigenen, sauer verdienten Pfennige, mit denen ich tun und lassen kann, was ich will. Die Bücher werden mir fehlen, die ich als Frau Pastor nicht mehr lesen darf. Ach, ich weiß, im Vergleich zu dem, was mich erwartet, ist das nichts.« Sie zuckte mit den Schultern. »Und doch …«

      »… ist es alles«, ergänzte Nelli leise.

      Sie sahen hinunter auf die Blumenbeete. Schwiegen lange, weil alles gesagt war. Irgendwann stand Johanne auf und trat an das Holzgeländer, das die Terrasse vom Garten trennte. Sie stand im Schatten, aber auf ihre Hände, die auf der Balustrade lagen, brannte die Sonne. »Wenn es nicht um Catharine ginge, würde ich mich anders entscheiden«, sagte sie, ohne Nelli anzusehen. »Mit Gottes Hilfe würde ich meinen Weg allein finden, dessen bin ich ganz sicher. Aber Catharine braucht ein Zuhause. Für sie ist das Pfarrhaus die beste Lösung. So werde ich denn Pastorin.«

      Nelli trat jetzt neben sie. »Ich werde nicht zulassen, dass du denselben Fehler begehst wie ich. Du wirst deine Freiheit nicht aufgeben, nicht für Fliedner und nicht für Catharine.«

      »Ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich werde Trinchen keineswegs mit nach Elberfeld schicken, damit sie in ein paar Jahren ebenfalls in der Färberei endet, ohne lesen und schreiben gelernt zu haben. Von der religiösen Erziehung ganz zu schweigen.«

      »Nein, das wäre schrecklich«, pflichtete Nelli ihr bei. Und zögerte einen Moment, bevor sie fortfuhr. »Aber ich sehe noch eine Möglichkeit, die dir deine Freiheit lässt und die auch für Catharine gut ist.« Sie ergriff Johannes Schultern und drehte die Freundin zu sich. »Vertrau mir dein Trinchen an.«

      Johanne wollte etwas einwenden, aber Nelli ließ sie gar nicht zu Wort kommen. »Sie wird es gut bei mir haben, da kannst du gewiss sein. Ich mag schwach und leichtsinnig sein, das gebe ich gerne zu, aber an der Fürsorge für meine Brüder hab ich es nie fehlen lassen und auch meinem Sohn bin ich eine gute Mutter. Wenn du mir Catharine lässt, soll sie wie sein Schwesterchen heranwachsen, es wird ihr an nichts fehlen. Du kannst sie sehen und mit ihr spielen, so oft du möchtest. Ansonsten wird es dir nicht schwerfallen, für dein eigenes Auskommen zu sorgen. Und wenn du dich dann aus ganzem Herzen für einen Ehemann entscheidest, dann kannst du sie zu dir in dein neues Heim nehmen.«

      Johanne schüttelte den Kopf. »Es ist Fliedner oder keiner. Wenn ich ihn nicht nehme, dann wird es mein Lebtag auch keinen anderen für mich geben.«

      »Das sagst du jetzt, aber weißt du, was noch alles kommen wird? Du wirst noch so vielen Männern begegnen, einmal wird einer dabei sein, bei dem deine Zweifel auf der Stelle verfliegen.«

      Johanne sah auf die weißen Blüten, die sich am Eingang des Gartens an einer efeuumwucherten Pergola emporrankten. Die Blütenköpfe hatten eine leuchtend gelbe Mitte, die von orangefarbenen Wimpern umgeben war. Sie sahen aus wie kostbar gearbeitete Broschen, die man auf ein grünes Kleid gesteckt hatte. »Ich danke dir, Nelli, ich danke dir von ganzem Herzen. Aber es kann nicht sein. Ganz gewiss wird es Walter nicht gefallen, dass du ein fremdes Kind ins Haus nimmst.«

      »Walter?« Nelli lachte verächtlich. »Es wird ihm nicht passen, aber er wird sich fügen müssen. Er hat seinen Spaß mit den Mädchen. Und ich bekomme meinen Willen in dieser Sache. Walter hat ein schlechtes Gewissen, weißt du.«

      Johanne dachte an ihre eigene Mutter. Frau König würde Catharine kaum vermissen. Sie würde bestimmt keine Einwände erheben, wenn sie in Wittlaer bliebe.

      »Johanne«, sagte Nelli und trat noch einen Schritt näher. »Nimm Fliedner, wenn du ihn wirklich willst. Aber nimm ihn nicht um Trinchens willen. Versprich mir das.« Dann drehte sie sich um und ging zurück ins Haus.

      Johanne blieb auf der Terrasse zurück. Der rosa Streifen am Himmel schien schmaler geworden zu sein. Die kleine Wolke hing hilflos über dem Giebel des Pavillons, als habe sie jemand gegen ihren Willen dorthin geschoben.

      Wieder wanderte ihr Blick zu den weißen Blüten, die sich im grünen Efeu ihren Weg suchten. Nimm ihn nicht um Trinchens willen. Nelli würde sich gut um Catharine kümmern. Und sonntags könnte Johanne sie zu sich nach Kaiserswerth holen.

      Sie dachte an Fliedner. Der zweite Mann, der ihr einen