Die Protestantin. Gina Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gina Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943121599
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Sie waren auf dem Weg der Besserung, als Friederike mit einer Handvoll Diakonissen ins Saarländische reiste, wo ein neues Krankenhaus eröffnet worden war. Während ihrer Abwesenheit erlitt die neunjährige Simonette einen Rückfall und starb. Fliedner war Friederike entgegengefahren, um ihr die traurige Nachricht zu überbringen.

      Johanne und Catharine hatten sich um die übrigen Kinder gekümmert. Es war eine schreckliche Zeit. Die drei großen Mädchen so stumm und verschlossen und vernünftig. Die elfjährige Luise sorgte wie eine Erwachsene für die Jüngeren, sie betete mit ihnen und schimpfte, wenn sie weinten. »Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt«, hörte Catharine sie einmal sagen und eine unbändige Wut stieg in ihr hoch – auf die widernatürliche Frömmigkeit des Mädchens, auf die Eltern, die sie erzogen hatten, auf den grausamen Gott, den sie anbeteten.

      Catharine saß in der Küche des Pfarrhauses und schälte mit Luise Kartoffeln, als Fliedner und seine Frau zurückkamen. Friederike, die selbst aussah wie der leibhaftige Tod. Ihre Nase ragte spitz und bleich aus ihrem Gesicht, die Haut spannte sich über die Wangen.

      »Sei nicht traurig, Mutter«, sagte Luise. »Unsere Netta ist jetzt ein Engel.« Da zitterten Friederikes Mundwinkel und ihr Kinn, ganz kurz nur, dann war es wieder vorbei. Dann strich sie der Ältesten übers Haar und nickte.

      An der Beerdigung nahm sie nicht teil. Catharine, die neben Johanne hinter dem kleinen Sarg herging, sah sie hinter dem geschlossenen Fenster des Pfarrhauses, das weiße Gesicht unter der Diakonissenhaube regungslos. Zehn Tage später starb dann auch die vierjährige Hanna. Und jetzt war auch Friederike tot und war ihren Töchtern nachgegangen in die ewige Seligkeit, wie sie es sich gewünscht hatte.

      Sie gingen schweigend nach Hause. In einem Garten blühte ein Apfelbaum. Catharine dachte an Nelli. Und sehnte sich nach ihr, nach ihrem Lachen, ihrer Unbeschwertheit. Sie beschloss, gleich am nächsten Tag nach Wittlaer zu gehen. Inzwischen musste auch dieser Theologiestudent aus Frankfurt längst angekommen sein.

      Wie hell es in Wittlaer ist, dachte Catharine voller Sehnsucht, und wie düster und trüb hier in Kaiserswerth. Die Stimme der Schwester riss sie aus ihren Gedanken. »In den nächsten Tagen müsstest du mir einen Gefallen tun.«

      Als könnte sie Gedanken lesen, dachte Catharine. »Worum geht es denn?«

      »Im Asyl herrscht Notstand. Katharina Göbel, die Leiterin, liegt mit Fieber darnieder. Und von den zwei Diakonissen, die ihr zur Seite gestellt sind, ist eine auf Heimaturlaub. Aber es gibt einen Neuzugang, eine Frau aus Essen, die aufgenommen und eingewiesen werden muss.«

      »Und was soll ich dabei tun?«, fragte Catharine. »Mir sind die Angelegenheiten im Asyl fremd. Und ich habe auch keine Erfahrung im Umgang mit entlassenen Strafgefangenen.«

      »Du sollst die Verantwortung ja nicht allein tragen. Schwester Luise Selfenfried wird immer zugegen sein und dich in allem anleiten. Aber zurzeit sind sieben Entlassene im Asyl, von denen sich einige noch nicht an die alltäglichen Abläufe und Pflichten gewöhnt haben. Ohne Hilfe ist das nicht zu bewältigen.« Johanne blieb stehen. Im hellen Licht der Frühlingssonne trat jede Falte in ihrem Gesicht zutage. »Ich bitte dich, Catharine. Ich weiß wohl, dass es nicht die richtige Aufgabe ist für ein Mädchen, das gerade das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat. Im Asyl herrscht oft ein harscher, grober Umgangston. Aber ich kenne sonst keine, die ich um Hilfe bitten könnte.«

      Catharine wollte den Kopf schütteln, stattdessen nickte sie kraftlos. Warum musste ausgerechnet sie eine Heilige zur Schwester haben, die sich für alles und jeden verantwortlich fühlte? »Wann soll ich mich im Asyl einfinden?«

      Johanne lächelte schwach. »Um sechs Uhr morgens bringt Schwester Luise die Pfleglinge zur Morgenandacht in die Kirche.«

      Die kleine, magere Schwester Luise erwartete sie vor der Kirche am Wall, schwitzend vor Aufregung. Sie streckte Catharine ihre nasse Hand entgegen. »Der gütige Herrgott hat Sie mir geschickt.«

      Das verdankst du nicht dem Herrgott, sondern der barmherzigen Johanne. Und meiner eigenen Dummheit, dachte Catharine ärgerlich und wischte ihre Hand verstohlen am Rock ab.

      In der kühlen Luft des Frühlingsmorgens versammelten sich die sieben Frauen um die Schwester und starrten Catharine mit unverhohlener Neugier an. Die Jüngste schien nicht älter als sechzehn, ein pummeliges Mädchen mit aschblondem, strähnigem Haar. Die anderen schätzte Catharine zwischen zwanzig und dreißig. Nur eine von ihnen war deutlich älter.

      »Sie sind also die Neue«, sagte eine große Dunkelhaarige, die ein bisschen abseits stand. Ihr Haar war straff aus der hohen Stirn gekämmt, lange Wimpern umrahmten die mandelförmigen Augen. Sie war schön.

      »Nein«, entgegnete Catharine hastig. »Ich werde nur für einige Tage aushelfen, solange bis Frau Göbel wieder auf den Beinen ist. Mein Name ist König.«

      Einige der Frauen tuschelten. Hatte sie etwas Falsches gesagt?

      »Dann wollen wir ins Gotteshaus treten und unserem Herrgott die morgendliche Ehre erweisen«, ließ sich die nervöse Stimme von Schwester Luise hören. »Immer schön einer nach dem anderen. Und senkt eure Stimmen im Gotteshaus und legt auch kein unwürdiges Benehmen an den Tag …«

      »… so, wie es sich gebührt«, beendete eine Männerstimme ihren Satz. Pastor Fliedner war aus dem Pfarrhaus neben der Kirche getreten und kam jetzt die Stufen zur Straße hinunter.

      Schwester Luise fuhr zusammen und presste ihre Hände gegen die magere Brust. »Der Herr Pastor«, flüsterte sie Catharine aufgeregt zu, als habe sie ihn am allerwenigsten hier erwartet.

      Fliedners Blick wanderte von einer Frau zur anderen. Er hatte am Vortag seine Frau begraben, aber er wirkte gelassen und ruhig. Kalt wie immer, dachte Catharine.

      »Guten Morgen, Fräulein König«, sagte er und streckte ihr seine Hand entgegen. »Ist es Ihrer Schwester also gelungen, Sie zu überzeugen. Ich freue mich sehr.«

      Er stand jetzt dicht vor ihr und senkte die Stimme. »Wenn es etwas geben sollte, dann wenden Sie sich sofort an Schwester Luise oder an mich. Wir sind immer für Sie da.«

      Obwohl er sehr leise gesprochen hatte, hatte die große Dunkelhaarige ihn gehört und stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus.

      »Nun, Fräulein Engel, was erfreut Sie so?«, fragte Fliedner scharf.

      Sie zog die Brauen hoch. »Ich muss einfach lachen. Weil ich mich so darüber freue, dass ich hier in Kaiserswerth sein darf.« Ihre Stimme war tief und klangvoll, sie sprach ohne eine Spur von Dialekt. Es lag auch kein Spott in ihrem Ton, sie klang aufrichtig glücklich.

      Dennoch bildete sich eine steile Falte auf Fliedners Stirn. »Dazu haben Sie fürwahr allen Grund, Fräulein Engel. Und bedenken Sie auch, dass Sie aus freien Stücken zu uns gekommen sind. Freiwillig haben Sie sich den Regeln dieser christlichen Stätte unterworfen. Und wenn es Ihr Wille sein sollte, so können Sie uns jederzeit den Rücken kehren.«

      Catharine sah, wie die junge Frau ihre Unterlippe nach vorn schob, nur ganz kurz, dann lächelte sie wieder. Und nickte kurz und wandte sich wortlos ab und stieg hinter den anderen Frauen die Stufen zur Kirche hoch.

      Catharine sah ihr nach. Fräulein Engel. Was auch immer sie in den nächsten Tagen erwartete, langweilig würde es bestimmt nicht werden.

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