Die Protestantin. Gina Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gina Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943121599
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Szenerie im Winter. Das Zinngeschirr auf dem Kamin war wahrscheinlich mehr wert als der gesamte Hausstand ihrer Eltern.

      Von so einem Raum hatte Nelli ihr Leben lang geträumt. Und von Kleidern, wie sie jetzt eines trug. Das hellblaue Chemisenkleid mit den kleinen Puffärmeln sah so schlicht aus, so bescheiden wie das Gewand einer Schäferin, aber selbst Johanne, die nichts von Mode verstand, wusste, dass der Preis, den Hamelius dafür bezahlt hatte, alles andere als schlicht und bescheiden gewesen war.

      »Wie schön du es hier hast«, sagte sie, um Nelli ein wenig aufzumuntern. »Deine Eltern sind gewiss beeindruckt von all dem Reichtum und der Herrlichkeit, in der ihre Tochter jetzt lebt.«

      Nelli lachte traurig. »Sie sind so beeindruckt, dass sie sich gar nicht mehr hierher wagen. Da sitze ich nun in meinem Glanze. Allein und einsam wie eine alte Jungfer. Walter interessiert sich nicht mehr für mich, seitdem er mich geschwängert hat. Wahrscheinlich sucht er sich bald eine Neue, wenn er sie nicht gar schon gefunden hat.«

      Johanne schwieg betroffen. Tatsächlich hatte sie in der vergangenen Woche Trude und Marianne nach der Bibelstunde tuscheln hören, der junge Hamelius treibe sich mit einem Mädchen aus Kalkum herum. Sie spürte eine ohnmächtige Wut.

      Nelli legte ihr eine Hand auf den Arm. »Lass gut sein, Johanne, du wirst nichts daran ändern können. Ich hab mir die Suppe schließlich selbst eingebrockt, nun muss ich sie auch auslöffeln. Aber eines musst du mir versprechen.« Ihre Stimme klang flehend.

      »Was?«

      »Vergiss das, was ich dir über Felix Winter gesagt habe. Dass du ihn nehmen sollst, weil er eine so vorteilhafte Partie ist. Du hast ihm einmal einen Korb gegeben, und das war richtig so. Bleib dir selber nur treu, kein Geld und kein Gut können eine echte Liebe ersetzen.«

      »Aber du hast deinen Walter doch ehrlich geliebt.«

      »Seinen Reichtum habe ich geliebt. Seinen Stand, seine Macht. Aber im Grunde meines Herzens wusste ich von Anfang an, dass er nicht der Richtige ist. Nein, Johanne, hör auf deine innere Stimme und werde glücklich mit dem Mann deines Herzens. Es ist so einfach.«

      Johanne wusste nur zu gut, wen Nelli meinte. Und sie hatte recht, Fliedner war der Mann ihres Herzens. Aber ob er deshalb auch der Richtige war? Ach Nelli, dachte sie, einfach ist es auch für mich nicht.

      Felix Winter knallte mit der Peitsche in die Luft. »Also es bleibt dabei«, rief er Johanne zu, während er die Zügel anzog. »Morgen Abend geht’s zum Tanz nach Einbrungen. Ich erwarte dich pünktlich um sieben Uhr.« Er schnalzte mit der Zunge, sein Gaul setzte sich schwerfällig in Bewegung. Johanne winkte ihm nach, bis der Wagen von der Clemensbrücke gerollt war, dann drehte sie sich um und wäre dabei fast mit Fliedner zusammengeprallt.

      »Wohin sind Sie denn unterwegs?«, fragte Johanne. »Ein Krankenbesuch?«

      Fliedner nickte. »Gerlinde Sauermann liegt mit einem schweren Fieber darnieder. Ich war gestern schon bei ihr, es sah nicht gut aus. Ich hoffe bei Gott, dass heute Nacht die Wende zum Guten eingetreten ist und sie die Krankheit niederkämpfen kann.«

      »Ich wusste gar nicht, dass sie krank ist.« Gerlinde war eines der Mädchen aus Johannes Strickstunde. »Seit wann geht es ihr denn schon so schlecht?«

      »Erst seit wenigen Tagen. Anfangs sah es nur nach einem leichten Unwohlsein aus, aber dann hat ihr das schwüle Wetter so zugesetzt, und ihr Zustand verschlimmerte sich zusehends.« Er sah sie nachdenklich an. »Wäre es wohl möglich, dass Sie mich zu ihr begleiten? Das Mädchen kennt Sie, gewiss würde ihr Ihr Besuch wohl tun.«

      Die Sauermanns wohnten in einer kleinen Bauernkate unten am Schwarzbach. Fliedner und Johanne gingen einen schmalen Pfad am Bachufer entlang, im Schatten der Büsche war die drückende Hitze erträglicher.

      »Wie geht es Ihrem Bruder Laurenz? Haben Sie Nachricht von ihm?« Fliedner schob die tief hängenden Zweige einer Trauerweide zur Seite. Als Laurenz im Dezember aus dem Klever Zuchthaus entlassen worden war, hatte er ihm eine Anstellung in einer Färberei in Elberfeld vermittelt.

      »Oh, es steht alles zum Besten. Ach Herr Pastor, wir sind Ihnen so unendlich dankbar für Ihre Hilfe in dieser Sache. Ich mag gar nicht daran denken, was ohne Ihre Unterstützung aus Laurenz geworden wäre.«

      Fliedner winkte ab. »Es ist nicht der Rede wert.«

      »Wie sehr vermisse ich bei solchen Krankenbesuchen mein gutes Käthchen«, wechselte er dann das Thema. Lore hatte sich auch nach über einem Jahr nicht im Pfarrhaus eingelebt. Die Hausarbeit, die Käthe scheinbar so mühelos erledigt hatte, bewältigte sie kaum. Und zu weiterer Gemeindearbeit fehlten ihr sowohl die Zeit als auch der Wille. Zumindest wusste Fliedner jetzt zu schätzen, was er an Käthe gehabt hatte. Damals hatte er sie kaum zur Kenntnis genommen und nur selten gelobt. Käthe dagegen hatte ihr ganzes Leben nach ihm ausgerichtet. Wenn er sie brauchte, war sie zur Stelle gewesen, still und willenlos. Wie sein Schatten. Ob er wusste, wie gerne sie hin und wieder tanzen gegangen wäre?

      Die Luft im Krankenzimmer war zum Schneiden. Die Sauermanns hatten die Fensterläden geschlossen, um die Hitze auszusperren, dabei war sie längst im Haus. Frau Sauermann stellte ihre blakende Öllampe auf den Tisch und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Gerlinde«, flüsterte sie dann. »Besuch ist da. Der Pastor ist noch einmal gekommen.«

      Die Kranke schlug die Augen auf und sah Johanne.

      »Und das Fräulein Johanne. Das ist aber eine Freude, dass Sie hier nach mir sehen.«

      Sie roch stechend nach Schweiß, Zwiebelsaft und Essig. Johanne musste sich beherrschen, um nicht zurückzuweichen. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Gerlinde. Aber du darfst dich nicht anstrengen, sondern musst dich ausruhen, damit du bald wieder gesund wirst.«

      Gerlinde gehorchte aufs Wort, sie konnte gar nicht anders. Sie ließ sich kraftlos zurück in die Kissen fallen und schlief sofort ein.

      Johanne und Fliedner gingen mit der Mutter in die Wohnstube, wo Frau Sauermann haltlos zu schluchzen begann. »Gott will mich strafen für meine Sünden.« Ihre rechte Hand schlug heftig gegen ihren Busen, wieder und wieder. »Er nimmt mir mein Töchterchen, um mir mein fehlerhaftes Tun so grausam vor Augen zu führen. Oh gütiger Gott, sei mir gnädig!« Sie begann unzählige lächerliche und nichtige Sünden aufzuzählen, die sie in ihrem Leben begangen hatte. Wie sie einmal am heiligen Sonntag den Küchenfußboden geputzt hatte und ein andermal war sie nicht zum Gottesdienst erschienen, weil sie ein Fieber ins Bett gezwungen hatte.

      Das Leid ihrer Tochter ist ihr ganz egal, dachte Johanne angewidert. Solange wir sie nur für ihre Güte loben und für die harten Prüfungen bemitleiden, die Gott ihr auferlegt hat.

      Fliedner sah die jammernde Frau aufmerksam an. Er wirkte geradezu gefesselt von ihrer Tugendhaftigkeit und schien die Heuchelei gar nicht zu bemerken. »So ist es also wirklich wahr, was man sich erzählt«, murmelte er nach einiger Zeit kopfschüttelnd. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten.«

      Frau Sauermann verstummte und starrte den Pastor an. »Was erzählt man sich denn?«

      »Dass Sie eine sündige und in allen religiösen Dingen nachlässige Person sind«, sagte er ernst. »Das erzählen sich die Leute und ich wollte es nicht glauben. Aber jetzt muss ich wohl einsehen, dass Sie wirklich …«

      »Das muss die alte Kohlmeier herumgetratscht haben, das schmutzige Schandmaul!«, unterbrach ihn Frau Sauermann. »Nichts als Lügengeschichten verbreitet dieses verkommene Weibsbild. Sie hält sich selbst für was Besseres, dabei …«

      Als sie sah, wie Johanne und Fliedner einen Blick wechselten, klappte sie erschrocken den Mund zu.

      »Nun wollen Sie also Ihr eigenes Wort nicht mehr gelten lassen?« Fliedner sprach ganz leise, aber sein Ton war so schneidend, dass Johanne unwillkürlich fröstelte, als wäre sie es, die er tadelte. »Glauben Sie mir, falsche Buße ist Gott ein Gräuel. Doch er ist gnädig, und ich bete inbrünstig, dass er nicht Gerlinde für Ihre Selbstgerechtigkeit straft. Ihnen aber gebe ich den guten Rat, kehren Sie in sich, Frau Sauermann, denn nur wenn Sie wirklich bereuen, wird Gott Ihnen vergeben.«

      Als