Die Protestantin. Gina Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gina Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943121599
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sie gewähren ließe, in allen ihren Wünschen und Vorstellungen. Aber sie liebte ihn nicht, und das hatte die Entscheidung leicht gemacht.

      Wie viel schwerer war die Sache bei Fliedner. Denn alles in ihr drängte zu ihm hin, sie sehnte sich danach, ihn in seinem Innersten kennenzulernen und ganz und gar zu erfahren. Und doch machte er ihr Angst. Sein unbeugsamer, unerbittlicher Wille, der ihn gewiss noch weit bringen würde. Und mit dem er sie immer mehr bedrängen würde, bis er sie erdrückte.

      Wenn sie sich jetzt nicht für Fliedner entschied, würde sie allein bleiben.

      Und frei.

      Johanne nahm ihren Hut, den sie auf den Tisch gelegt hatte, und ging hinunter in den Garten, wo die sengende Hitze sich auf sie legte wie eine große Hand. Sie ging zu den weißen Blumen, deren Namen sie nicht kannte, pflückte eine davon ab und sog ihren geheimnisvollen Duft ein.

Teil 2

      Catharine trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Seit einer halben Stunde wartete sie bereits auf Walter Hamelius. Um zwölf Uhr hatte er sie am Kuhtor abholen wollen, seit zwölf stand sie hier. Aber von ihm fehlte jede Spur.

      Sie wollte sich gerade abwenden, um nach Hause zu gehen, als die Kutsche des jungen Großbauern auf der Landstraße auftauchte. In halsbrecherischem Tempo galoppierte er auf das Kuhtor zu und brachte die nassgeschwitzten Pferde direkt vor ihr zum Stehen.

      »Gott zum Gruße, schönes Fräulein«, rief er fröhlich. »Bitte entschuldigen Sie mir die Verspätung.«

      Catharine musterte ihn schlecht gelaunt. »Deine Späße kannst du dir schenken. Ich stehe mir seit einer halben Ewigkeit die Beine in den Bauch. Und kalt ist es zudem!«

      »Steig ein, ich werde dich schon wärmen!« Erst als sie immer noch keine Miene verzog, wurde Walter ernst. »Es ging wirklich nicht früher. Unsere Alma ist gerade am Kalben, es lief nicht glatt, da konnte ich Vater nicht allein lassen.«

      »Aber mich konntest du hier stehen lassen. Wegen einer alten Kuh.« Catharine griff nach Walters Hand und ließ sich auf den Bock ziehen.

      »Genau wie Mutter«, sagte Walter. »Ihr verachtet die Landarbeit. Weil sie schmutzig ist und Schweiß kostet und Mühe macht. Aber die Früchte der Arbeit genießt ihr nur zu gerne.« Es lag kein Vorwurf in seiner Stimme, er lächelte sogar, aber diesmal war es kein Scherz, das wussten sie beide.

      »Lass uns nicht streiten«, sagte Catharine und als wäre es ihr Stichwort, blitzte die Sonne zwischen zwei Wolkenbergen hervor, tauchte alles in ein warmes Licht und brachte die Wiesen zum Leuchten. »Wie wollt ihr das Kälbchen denn nennen?«

      »Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht Trinchen?«

      »Oh nein! So nennt mich Johanne und ich kann es nicht ausstehen! Obwohl. Für eine dicke Milchkuh passt der Name ganz gut und vielleicht werde ich ihn auf diese Weise für immer los.«

      »Also abgemacht«, lachte er. »Das Kälbchen soll Trine heißen, und du wirst seine Patin.«

      Nelli Hamelius war im Rosengarten. Sie befestigte die Zweige einer Kletterrose an einem Rankgitter. Ihr hellblaues Hauskleid betonte ihre üppigen Formen, eine Strohschute auf dem rotblonden Haar schützte ihre helle Haut vor der Frühlingssonne.

      »Au! Diese vermaledeiten Dornen. Am liebsten würde ich diese stacheligen Rosenbiester zum Teufel schicken!« Sie steckte den blutenden Finger in den Mund.

      Catharine lachte. »Aber wenn die Rosen dann im Sommer in Blüte stehen und alle dich dazu beglückwünschen, bist du wieder stolz. Hier, nimm mein Taschentuch.«

      »Schon gut, Catharine, es wird auch so wieder aufhören. Aber lass dich erst einmal anschauen. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Was gibt es Neues in Kaiserswerth?«

      »Neues?« Catharine verzog spöttisch das Gesicht. »Viel Arbeit gibt’s in der Pfarrei, aber das ist ein alter Hut. In der letzten Woche habe ich mir die Finger wund geschrieben, weil Johanne ständig im Pfarrhaus war und ich ihr die Schreibarbeit abnehmen musste.«

      »Dass Johanne sich damit abgibt.« Nelli verzog das Gesicht. »Das ganze Elend der Gemeinde muss sie sich auf die Schultern laden. Dabei gibt es doch so viel Angenehmeres im Leben.« Sie schlug den Pfad ein, der zum Haus führte.

      Catharine folgte ihr lächelnd. Sie dachte an Tante Nellis Begeisterung, wenn am Monatsanfang die bunten Illustrierten aus Paris und London eintrafen. Als Kind hatte sie Nelli immer über die Schulter geschaut, wenn sie in den Heften blätterte und die Zeichnungen von eleganten Damen mit ausladenden Hüten und Parasols studierte. Auf einmal hatte sie den unverwechselbaren, ein wenig beißenden Geruch der Blätter wieder in der Nase und hörte Onkel Walter spotten. Nellis Bibeln.

      »Und was gibt es bei euch Neues?«, fragte sie, während Nelli an einem kleinen Apfelbaum stehen blieb und wohlgefällig die dicken Knospen prüfte, die kurz vor dem Aufbrechen waren.

      »Auch hier ist alles beim Alten. Dein Onkel hat wieder eine neue Gespielin. Wenn ich mich nicht schwer täusche, treibt er es mit Margarete, der Tochter eines unserer Pächter. Das arme Ding ist kaum einmal volljährig, aber so jung sind sie ihm ja am liebsten.«

      »Dieser Taugenichts! Dass er es nicht lassen kann! Ich hatte gehofft, das Alter würde ihn zum Verstand bringen.«

      »Je älter sie werden, desto ärger wird es. Aber mir ist das ganz gleichgültig, soll er sich doch vergnügen, dann lässt er mir meine Ruhe.«

      »Ich verstehe dich nicht. Wenn er mein Mann wäre, ich würde es nicht einfach so hinnehmen.«

      »Wenn er dein Mann wäre, würde ich es auch nicht akzeptieren. Wie war es übrigens am Samstag auf der Hochzeit der kleinen Antonia? Hast du getanzt?«

      »Bis in den frühen Morgen!«, sagte Catharine und mit der Erinnerung an das Fest verflog der Ärger über ihren untreuen Ziehvater.

      »Mit wem?«

      »Mit allen möglichen. Mit Walter und mit Mathias Dörfler und mit Karl und mit anderen ebenfalls.«

      »Ein ständiger Kavalier ist also nicht in Sicht. Dabei solltest du besser in festen Händen sein. Dann wärest du gefeit.«

      »Gefeit? Wogegen?«

      »Wir bekommen am Freitag Besuch aus Frankfurt. Ein guter Bekannter Walters schickt seinen Sohn auf ein paar Wochen zu uns. Gustav Winkels heißt der junge Herr. Dass du es dir aber ja nicht einfallen lässt, ihm den Kopf zu verdrehen, Catharine! Der Junge hat nämlich gerade sein Studium der Theologie abgeschlossen.«

      »Ach, und weshalb wird der junge Herr jetzt zu euch nach Wittlaer verbannt? Hat er am Ende gar etwas angestellt in Frankfurt, das sich mit seiner Berufung nicht vereinbaren lässt?«

      Nelli lachte. »Davon weiß ich nichts. Nein, Pastor Fliedner in Kaiserswerth und sein unermüdliches Schaffen haben es ihm angetan. Er möchte die Diakonissenanstalt vor Ort studieren, bevor er im Sommer eine Stellung antritt.« Sie zog ihre Schere hervor und schnitt ein paar Zweige vom Baum, die sie in ihren Korb legte. Dann reichte sie Catharine ihren Arm. »Doch nun lass uns nach drinnen gehen. Mir ist nach einer Tasse Kaffee. Und wie steht es mit dir?«

      Zu Hause öffnete ihr Johanne die Tür, das Gesicht grau vor Müdigkeit.

      »Da bist du ja endlich.«

      »Hast du auf mich gewartet?«, fragte Catharine. »Du wusstest doch, dass ich Nelli besuche.«

      »Ich habe es vergessen«, sagte Johanne. »Geht es ihr gut?«

      »Alles ist bestens«, sagte Catharine und dachte an Onkel Walter und seine neue Gespielin und verdrängte den Gedanken wieder. Sie nahm ihren Hut ab, stellte den Sonnenschirm in den Ständer und folgte ihrer Schwester in die Küche.

      »Hast du Hunger?«, fragte Johanne.

      »Nein, nein. Ich habe in Wittlaer zu Abend gegessen. Du hast doch nicht etwa auf mich gewartet?«

      Johanne