Die Protestantin. Gina Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gina Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943121599
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nickte die Witwe. »Die nächste Frage ist aber noch entscheidender. Wollen Sie ihn heiraten?«

      Natürlich, dachte Johanne. Er ist der Mann meines Lebens. Er versteht mich, wie mich kein anderer versteht. Wir sind füreinander gemacht.

      »Nein«, sagte Frau Händel, obwohl Johanne noch gar nichts erwidert hatte. »So leicht dürfen Sie es sich nicht machen.«

      »Ich verstehe nicht«, sagte Johanne tonlos.

      »Als Katholikin kenne ich Fliedner kaum«, sagte Frau Händel. »Aber ein paarmal habe ich ihn doch gesehen und er hat immer einen starken Eindruck auf mich gemacht. Er ist so voller Begeisterung und Leidenschaft für seinen Glauben, für die soziale Sache. Er will etwas bewegen und verändern und wird bestimmt noch viel von sich reden machen, weit über Kaiserswerth hinaus. Aber eines erscheint mir sicher, Johanne: Diejenige, die Fliedner sich zur Frau wählt, wird nicht auf Rosen gebettet werden. Dieser Mann hat keine Zeit und keine Muße für romantische Tändelei. Wenn Sie ihn wollen, dann erwartet Sie kein leichtes Leben.«

      Johanne hörte gar nicht zu. Sie war fassungslos. Überwältigt von der Erkenntnis, dass sie Fliedner liebte. Deshalb hatte sie Felix nicht heiraten können. Weil sie ganz und gar von Fliedner eingenommen war. Sie liebte ihn, seit jenem Tag, an dem er das erste Mal zu ihnen in die Wohnung getreten war. Warum hatte sie nur so lange gebraucht, um es sich selbst einzugestehen?

      Erst als Frau Händel schwieg, hob Johanne den Kopf und begegnete dem sanften Blick der Älteren. Was hatte sie gesagt?

      »Sie meinen, ich bin nicht die Richtige für ihn?«, fragte sie atemlos.

      Frau Händel lächelte. »Ganz bestimmt sind Sie die Richtige für ihn. Ich weiß nur nicht, ob er auch der Richtige für Sie ist.«

      Zu Hause war es unerträglich. Die dunkle, stickige Wohnung, die Mutter, die seufzend am Herd hockte und Kartoffeln schälte, die feuchte Wäsche auf der Leine. Und Johannes Gedanken, die sich überschlugen. War sie die Richtige für ihn? War er der Richtige für sie? Sie musste nach draußen, sie musste in die Natur, um sich ihrer Gefühle klar zu werden.

      Sie brachte Catharine zu Bett, setzte den Hut auf und lief zum Rhein. Am Abend hatte es ein Unwetter gegeben, jetzt war die Luft kühl und rein und roch wie frisch gewaschen. Weiße Nebelschwaden stiegen von den Wellen des Flusses auf. Fliedner, dachte Johanne. Und lächelte. Diese Liebe, die sie für ihn empfand, konnte ihr keiner nehmen. Ganz egal, ob er sie wollte oder nicht. So ein Glück, dachte sie.

      Auf einer der Bänke saß eine einsame Gestalt, eine Frau, die auf das graue Wasser blickte. Als Johanne näherkam, erkannte sie Nelli. Und überlegte einen Moment lang, ob sie umdrehen und verschwinden sollte, bevor sie sie bemerkte. Um mit ihrer Liebe allein zu sein.

      Dann fiel ihr auf, dass Nelli völlig durchnässt war. Ihr Hut tropfte und ihr Rock klebte an ihren Beinen.

      »Nelli!« Johanne eilte auf die Freundin zu.

      »Johanne«, sagte sie müde, als habe sie sie seit Langem erwartet.

      »Ist etwas geschehen?«, fragte Johanne und ließ sich neben ihr auf die nasse Bank sinken. Nelli starrte zum Fluss, auf die Frachtschiffe, die wie große Tiere durch den Nebel glitten. Dann fing sie an zu weinen.

      »Gütiger Gott, was ist denn nur passiert?«, fragte Johanne. »Nun erzähl mir doch alles, so arg wird es schon nicht sein.«

      »Nichts, es ist nichts.« Nelli schniefte noch einmal kurz und verschränkte die Arme vor der Brust. »Hamelius wird mich heiraten.«

      »Aber das hast du dir doch immer gewünscht, Nelli!«, rief Johanne. »Weshalb freust du dich denn jetzt nicht?«

      »Aber siehst du denn nicht, dass ich außer mir bin vor Freude? Tanzen möchte ich vor Glück, dass er sich herablässt, mich zu nehmen. Einen Klumpen Dreck aus der Gosse.«

      »Bist du von Sinnen, Nelli?«

      »Ich war von Sinnen. Aber jetzt bin ich wieder ganz bei Trost.«

      »Willst du wohl aufhören, so wirres Zeug zu reden? Warum will Hamelius dich nun heiraten? Und weshalb hast du deine Meinung so plötzlich geändert?« Plötzlich kam Johanne ein unangenehmer Gedanke. »Bist du am Ende gar …?

      »… in der Hoffnung?« Nelli verzog das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse. »So ist es. Nur die Freude darüber mag sich bei keinem so recht einstellen.«

      Johanne dachte an Nellis Worte, als sie das letzte Mal zusammen am Rhein gewesen waren. Er soll nur aufpassen, dass er sich nicht selbst verspielt.

      Nelli schnaubte verächtlich. »Wie er sich gewunden hat, als ich ihm von meinem Zustand berichtet habe. Und dann hat er mich beschimpft. Eine Dirne hat er mich genannt. Und dass er nicht wüsste, ob das Kind von ihm sei oder von einem der Zecher in der Franzosenschänke.«

      »Aber er hat doch eingewilligt, dich zu heiraten?«

      »Erst als ich ihm androhte, für einen rechten Skandal zu sorgen, da hat er klein beigegeben. Fast zwei Jahre lang war er jetzt hinter mir her wie der Teufel hinter der armen Seele. Ich wollte es nicht, ich wollte, dass er mich zuerst heiratet. Aber dann hab ich begriffen, dass er gar nicht daran denkt. Er hätte mich verlassen, wenn ich ihn nicht endlich gelassen hätte. Da hab ich die richtigen Tage abgewartet. Und nun ist es passiert, nun kommt er nicht mehr weg.«

      Du hast ihn reingelegt, dachte Johanne erschrocken.

      »Er konnte es kaum erwarten, unter meinen Rock zu kommen, und jetzt behandelt er mich wie ein Stück Dreck. Und seine Familie erst, als er mich ihnen am Wochenende präsentiert hat. Die stolze Frau Mutter wollte mir kaum die Hand geben.«

      »Oh Nelli, was wirst du nur tun?«

      »Wenn ich es wegmachen ließe, täte ich ihnen allen den größten Gefallen«, zischte Nelli. »Und wenn es mich das Leben kostete, wäre ihr Glück vollkommen. Aber so leicht kommen sie mir nicht davon. Jetzt wird geheiratet, und zwar in aller Pracht und Herrlichkeit, darauf kannst du Gift nehmen.«

      Noch im Mai konvertierte Nelli zum katholischen Glauben. Am 1. Juni 1825 wurde sie in St. Remigius in Wittlaer mit Walter Hamelius vermählt. Die anschließende Hochzeitsfeier fand auf dem Hof der Hamelius statt. Aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit waren außer der engeren Verwandtschaft nur wenige Freunde und Bekannte eingeladen. Johanne gehörte nicht dazu.

      Aber wenigstens die Trauzeremonie in der Kirche wollte sie miterleben. In gebührendem Abstand zu den geladenen Gästen nahm sie in einer der hinteren Bänke Platz. Wie düster und ehrfurchtsgebietend St. Remigius im Vergleich zur hellen Kaiserswerther Kirche am Wall war. Buntes Licht fiel durch die Glasfenster unter dem Dach, aber es blieb oben unter der Decke hängen und drang nicht zu den Bänken herunter. Am Altar brannten hohe Kerzen in üppig verzierten Leuchtern.

      In der ersten Reihe saßen die Eltern des Bräutigams und der Braut. Links Vater Hamelius, der seinen grauen Kopf kerzengerade hielt. Daneben Walters Mutter mit dunklem Hut. Nellis Eltern saßen ein Stück entfernt, die Köpfe gesenkt. Der Vater drehte sich hin und wieder um und blickte zur Kirchentür. Vielleicht zweifelte er daran, dass Nelli und Walter wirklich kamen.

      Warum musste sich Nelli ausgerechnet in den oberflächlichen Walter verlieben, dachte Johanne. Wo es doch so viele Liebenswürdigere gab, die sie mit Kusshand genommen hätten. Männer wie … Felix Winter. Aber dem hatte sogar sie selbst einen Korb gegeben.

      Trotzdem. Felix und Nelli wären das ideale Paar. Warum zum Kuckuck hatte er ihr nicht den Hof gemacht? Johanne unterdrückte ein Seufzen. Es war zu spät. In wenigen Minuten würde Nelli Hamelius das Jawort geben.

      Ob sie selbst jemals heiraten würde? Fliedner hatte ihr bis jetzt keinen Antrag gemacht. Wahrscheinlich hatte sich Käthe damals ganz einfach in ihrem Bruder getäuscht, er hatte nie daran gedacht, sie zu fragen. Er liebte sie nicht. Er konnte sie gar nicht heiraten, sie war wie Nelli, arm und ungebildet, ihr Vater war ein Säufer, er aber war der Pfarrer, er brauchte eine Frau, die man respektierte, kein Mädchen, auf das die ganze Stadt herunterschaute.

      Ihr fiel wieder ein, was Frau