Das harte Ticken der Uhr erfüllte den Raum.
Da sagte Susan Hollister: »Ich werde morgen die Post nach Wichita nehmen, Vater.«
*
Sie fuhr.
Bill Hogeeter stand hinten in der Scheune und sah mit brennenden Augen durch ein kleines halbblindes Fenster, wie Jeff Tomson den Wagen anschirrte und wie Frankie Luck die Koffer Susans auflud.
Der Rancher und Mary stiegen auf, Susan folgte. Ihr Blick schweifte noch einmal über den Hof.
Dann trieb der Rancher die beiden Rappen an.
Joe McIntire lief wie ein komischer Orang Utan quer über den Hof und winkte mit dem Hut.
Susan nickte ihm zu.
Dann war der Wagen am Tor und verschwand bald hinter dem Weidehügel im Nordosten.
Bill Hogeeter starrte düster vor sich hin.
Jetzt war sie fort.
Alles, was sein dunkles Leben hätte erhellen können, war verschwunden. Nein, er hatte es sich nicht eingestehen wollen, daß er diese Frau geliebt hatte.
Was war denn geschehen?
Nichts.
Sie hatten ja kaum ein paar Worte miteinander gewechselt.
Aber der Kuß, den sie ihm oben auf dem Buschhügel gegeben hatte, der hatte den glühenden Funken in seine Seele geworfen. Er trug die Schuld an dem verzehrenden Feuer, das jetzt in ihm brannte und ihn zu ersticken drohte.
Aber war er nicht hierher gekommen, um Patrick Hollister zu vernichten? Hatte er sich nicht das als Aufgabe gestellt?
War der Weg denn nun nicht vollends frei?
Der Weg, in den sich völlig unerwartet diese Frau geschoben hatte?
Ja, jetzt konnte er sein Ziel weiter verfolgen. Die Ranch vernichten, die Herde – und den Rancher! Den bis in die tiefste Seele verhaßten Patrick Hollister!
Wenn der Rancher gewußt hätte, wer sich da auf seiner Weide herumtrieb, wer sich in Wahrheit in diesem Bill Hogeeter verbarg, er hätte ihn fraglos erschossen.
Der siebenundzwanzigjährige Bill Hogeeter war ein menschliches Raubtier – ein Raubtier aus Haß. Ein geradezu irrsinniger, verblendeter Haß hatte ihn weit vom Brazos hierhergeführt, um diesen Mann zu vernichten.
Nicht schnell mit einem leichten Schuß. O nein. Er würde ihn langsam und allmählich zugrunde richten.
Susan Hollister hatte sich ihm unbewußt in den Weg geworfen.
Aber jetzt war sie weg. Er konnte also sein blindwütiges, wahnwitziges Zerstörungswerk fortsetzen.
Spät in der Nacht bestieg er seinen Grauschimmel und verließ die Ranch in südwestlicher Richtung.
Bei einer hohen, zerzausten Bergfichte hielt er an, stieg vom Pferd und lehnte sich an den knorrigen Baumstamm.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde, da hörte er scharfen Hufschlag.
Dann tauchten drei Reiter vor ihm auf, parierten ihre Pferde und sprangen aus den Sätteln.
Ein kleiner, sehniger Bursche mit krummen Reiterbeinen stieß seinen breitrandigen Sombrero ins Genick und hustete scheußlich. »Was geschieht weiter, Boß?«
»Hört zu!« sagte Hogeeter. »Ich werde die Cowboys jetzt drüben von der Flußweide ablenken. Und da, wo ich den weißen Tuchfetzen aufspieße, reißt ihr den Draht vom Pfahl. Treibt das Rinderrudel in den Fluß, dann etwa zweihundert Yards nach Westen und verlaß das Wasser drüben auf dem Steingrund wieder. Diese blinden Vögel hier finden im Gras schon kaum eine Spur, auf felsigem Boden aber nie!« Er stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus. Dann schwang er sich auf sein Pferd und ritt davon.
Die drei Männer stiegen ebenfalls auf und preschten ein Stück auf die Weide hinaus.
*
Vielleicht wäre Wyatt Earp nie in das Leben des Bill Hogeeter getreten, wenn er nicht ausgerechnet an diesem Morgen unten am Fluß entlanggeritten wäre.
Er kam von Arkansas City, bis wohin er einen Pferdedieb verfolgt hatte. Nachdem er ihn gestellt und im Revolverkampf bezwungen hatte, konnte er sich wieder auf den Heimritt nach Wichita machen.
Wyatt hatte, als er sein Nachtlager unten am Fluß verließ, für einen Augenblick mit dem Gedanken gespielt, über Wienfield zu reiten und seinen alten Freund, dem Schmied Jim Lederer, einen Besuch abzustatten.
Aber dann hatte er den Gedanken doch aufgegeben. In diesen Tagen wurden oben in Wichita neue Herden aus Texas erwartet. Die Treiber brachten immer wieder neue Unruhen in die Stadt, und da war es schon besser, wenn der Marshal seinem jungen Stellvertreter Kid Kay nicht die ganze Bürde allein überließ.
Deshalb war er weiter am Fluß entlang nach Norden geritten.
Es war ein herrlicher Morgen, der sich über das Land gebreitet hatte.
Leise schlugen die Wellen des Arkansas unten ans Ufer. In der Ferne schimmerte das Band des Stromes im Morgennebel silberblau. Das Land, das sich rechts zu den Bergen hinaufzog, war von den feuerroten Strahlen der Sonne wie mit einem Gluthauch überzogen.
Das hohe Gras war noch naß vom Tau der Nacht.
Der hochbeinige Falbe setzte seine schwarzgestiefelten Beine im leichten Trab vorwärts. Es war ein wunderbares Bild, das Muskelspiel des prächtigen Pferdes zu beobachten.
Der Mann saß in der für ihn typischen Manier nach Indianerart etwas vorgebeugt im Sattel. Die Rechte hielt den Zügel locker über dem Sattelknauf, die Linke herunter.
Wyatt ritt jetzt etwas vom Wasser weg in die Prärie hinein und spürte plötzlich, wie der Gaul lahmte.
Sofort sprang er ab, sah an der lockeren Haltung sofort, daß es der linke Vorderhuf war. Er hob ihn an, tastete das Bein ab – und spürte vorn gleich über dem Hornansatz das stumpfe abgebrochene Ende eines großen Dorns.
Vorsichtig zog er die Nadel aus dem Fuß.
Dann führte er das Tier einige Schritte am Zügel und stellte zu seinem Ärger fest, daß der Falbe weiter lahmte.
Er war ein Tierfreund, der Marshal aus Wichita. Deshalb legte er eine Rast ein, führte das Tier wieder hinunter zum Fluß und ließ es gewähren. Wenn es Kühlung suchte, würde es selbst in die Fluten steigen.
Aber der Falbe blieb am Ufer.
Plötzlich lauschte der Mann angestrengt nach Nordwesten.
Oben von den Hügelkämmen, die den Bergweiden vorgelagert waren, kamen Schreie und Schüsse.
Dann hörte er das donnernde Stampfen von vielen Rinderhufen.
Zu sehen war noch nichts.
Unwillkürlich verkroch sich der Mann mit dem Pferd hinter ein Timorella-Gebüsch, das dicht am Ufer stand und ihn so zu den Hügeln hin verbarg. Es dauerte noch fast zehn Minuten, dann kam es oben über den Hügelkamm. In wilder Jagd, brüllend, blökend, schreiend, schießend und stampfend.
Eine Herde von wenigstens dreihundert Rindern wälzte sich in einer gewaltigen Wolke von Staub zu Tal.
Schreiend und immer wieder schießend jagten vier Männer um die wild dahinstürmende Herde herum.
Unten am Talhang brachten die Männer die Herde zum Stehen. Da ihnen das nicht leicht wurde, feuerten sie wild in die Herde hinein.
Sofort brachen mehrere Rinder zusammen. Andere brüllten qualvoll auf und tobten vor Schmerz wie irr umher.
Wyatt fuhr sich mit der Rechten gedankenvoll über die Unterlippe. Wo gab es eine Crew, die ihre eigenen Tiere so mißhandelte? Erst die wilde Hetzjagd den Berg herunter und dann die bestialische Schießerei?
Die Herde war zum Stehen gekommen. Vielleicht eine Meile von Wyatts Standpunkt entfernt.