Nach einer Stunde etwa hörte er in der Ferne das ratternde und dampfende Geräusch der Bahn, die jetzt schon alle drei Tage hier vorüberkam.
Als der Zug in der Ferne auftauchte, sprangen zwei der Cowboys mit an Drähten aufgespickten brennenden Grasbüscheln auf ihre scheuenden Pferde und sprengten dem Zug entgegen.
Schüsse und brennende, auf die Lok geschleuderte pulvertrockene Grasnarben veranlaßten die Männer auf der Lok schließlich, den Zug fast genau neben der Herde zu stoppen.
Es dauerte nicht lange, da rissen die Männer Rinderstege aus den offenen Waggons, warfen die Seitenwände herunter und begannen die Tiere auf die Wagen zu treiben.
Wyatt wischte sich über die Stirn. »All devils! Wenn das mit rechten Dingen zugeht, heiße ich Jeremias!« flüsterte er vor sich hin.
Er maß die Entfernung bis zu dem Zug. Ja, es war etwas über eine Meile. Reiten konnte er nicht. Und wenn er auf den Zug zustolperte, konnte es ihm passieren, daß die Banditen auf ihn schossen – wenn es Banditen waren.
Es waren Rinderdiebe, Rustler, die von Bill Hogeeter beauftragt waren, dieses Rudel von der Moon-Ranch-Herde wegzutreiben.
Der erste erzwungene Zugtransport war geglückt, und heute wollte die Bande den zweiten starten.
Aber das Schicksal hatte dem Texaner Bill Hogeeter ausgerechnet den schärfsten Spürhund in die Quere geschickt, den er sich denken konnte.
Der Marshal Wyatt Earp lag unten am Fluß und sah unentschlossen zu den Verladearbeiten hinüber. Wenn die Weide hier nicht offen gewesen wäre, hätte er sich längst von der Flußseite her an den Zug herangemacht. So aber mußten die Männer ihn schon von weitem kommen sehen.
Daß er dem Treiben nicht tatenlos zusehen würde, stand für den Marshal fest. Als er gesehen hatte, daß der Zug gewaltsam zum Halten gebracht worden war, wußte er, was da vorn geschah. Rustler waren am Werk. Die gefürchteten Banditen des Westens, die den Ranchern die mühsam aufgebauten Viehherden von den zu schwach bewachten Weiden stahlen.
Wyatt hatte schon oft mit Rustlern zu schaffen gehabt. Es gab sie überall im
Westen. Und die Ranches, die zu seinem District oben in Wichita gehörten, forderten immer seine Hilfe im Kampf gegen größere und kleinere Rustlerbanden.
Aber eine so raffiniert organisierte Viehräuberbande hatte er noch nicht gesehen. Was die Burschen sich da leisteten, war geradezu unglaublich. Sie verluden das geraubte Vieh mitten auf der Strecke auf Waggons und schleppten es so über viele Meilen weg aus der Gegend, wo es von der Weide geholt worden war.
Wahrscheinlich stammten die Tiere von einer Ranch, die oben hinter den Bergen lag. Auf dem felsigen Boden der Red Hills waren kaum Spuren von den weichen Rinderhufen zu erkennen. Und ehe die suchende Ranch-Mannschaft etwas gefunden hatte, konnten Tage vergehen, dann hatte sich das auf den Hügeln und an der Talsenke niedergestampfte Gras längst aufgerichtet – und die Herde war wie vom Erdboden verschwunden. Wurde zu diesem Zeitpunkt vielleicht hundert Meilen entfernt drüben in Arkansas oder gar Missouri weitergetrieben oder war gar schon verkauft.
Eine unfaßliche Lumperei.
Wyatts Plan war gefaßt.
Er konnte den Falben dabei nicht mitnehmen.
Ja, wenn er hätte reiten können, wäre er in einer Comanchen-Attacke im spitzen Winkel auf die Lok zugeprescht, hätte durch die große Geschwindigkeit seines Pferdes vielleicht den Überraschungsmoment für sich gehabt. Aber das ging ja nicht. Er konnte sich zu solch einem scharfen Ritt nicht in den Sattel eines Tieres setzen, dessen Hufe nicht in Ordnung waren.
Er schlang die Zügelleine um einen starken Zweig und kroch zum Ufer hin, schwang sich über die Böschung und landete im leichten Uferwasser. Hier lief er geduckt vorwärts.
Er hatte die Meile bald hinter sich gebracht. Leider waren es auch hier vom Fluß bis zum Bahnkörper immerhin noch an hundertfünfzig Yards.
Wyatt zog sich auf die Uferböschung, blickte zu den Wagen hinüber und sah zwischen den Rädern durch, daß der größte Teil der Rinder schon aufgeladen war. Die Burschen hatten anscheinend Erfahrung in diesen Arbeiten.
Wyatt sprang hoch und rannte vorwärts.
In der Rechten hatte er die nicht sehr schwere Winchester, die er vielleicht brauchen würde.
Es gelang ihm, ungesehen bis auf zwanzig Yards an den Zug heranzukommen.
Da sah er plötzlich einen Mann oben auf der Lok, der zur Flußseite hinunterspähte.
Der sah Wyatt sofort, weil er aus ungedecktem, buschlosem Gelände herankam.
Sofort heulte ein Schuß auf.
Wyatt riß die Winchester hoch und feuerte zurück.
Der Mann fiel aus dem Heizerstand und purzelte kopfüber von der Lokomotive.
Der Marshal hetzte weiter.
Nur noch sieben Yards etwa trennten ihn von den Wagen, dann hatte der krummbeinige Rustler Terry Ankins ihn unter dem Wagen erblickt.
Der Cowboy brüllte auf und feuerte sofort seinen Revolver ab.
Sechsmal brüllte der Tub-Villers-Colt auf. Die Kugeln zischten durch die Gräser, klatschten gegen das Metall der Räder, hinter die Wyatt sich geworfen hatte, und fuhren jaulend als Querschläger davon.
Jetzt wußten die Rustler jedenfalls, wo der Gegner lag.
Das konnte höllisch werden.
Vier Männer hatte Wyatt vorhin gezählt.
Einen hatte er vom Heizerstand der Lok heruntergeschossen.
Und den Krummbeinigen konnte er durch den spitzen Winkel sehen, den das stählerne Wagenrad unten zur Schiene hin bildete.
Wyatt zog den Buntline-Revolver aus dem Halfter, zielte einen Sekundenbruchteil früher als Ankins.
Die beiden Schüsse hörten sich wie einer an.
Ankins taumelte zurück und brach in die Knie. Das glühende Blei hatte ihn in der Schulter erwischt. Er riß sich hoch und rannte zu den Rindern hinüber.
Wyatt nutzte die Gelegenheit, sprang ebenfalls auf, lief geduckt vorwärts, erreichte die Lok und schwang sich genau im gleichen Moment mit dem schlitzäugigen Kreolen Timo Billosa auf die eisernen Planken.
Der Kreole schoß sofort.
Wyatt hatte sich losgelassen, rutschte zurück. Die Kugel zischte über seinen Hut.
Da war der Kreole da.
Wyatt packte seine Beine und riß ihn herunter.
Der Rustler lag neben dem Bahnkörper im hohen Gras. Der Colt war ihm entfallen.
Wyatt landete sofort neben ihm.
Billosa riß den Mund auf und stieß einen tierischen Laut aus, dann griff seine Linke zu dem zweiten Colthalfter.
Einen Sekundenbruchteil früher traf ihn die Faust des Marshals am Kinnwinkel.
Das olivfarbene Gesicht des Viehdiebes wurde blaßgrau. Der Mann kippte zur Seite und blieb liegen.
Wyatt nahm die beiden Revolver weg und schleuderte sie in hohem Bogen in die Gräser.
Dann kletterte er wieder zu der Lok hinauf.
Als er auf der anderen Seite der Lokomotive war und vorsichtig heruntersah, konnte er weit in der Ferne zwei Reiter in gestrecktem Galopp davonjagen sehen.
Die beiden letzten Rustler hatten das Weite gesucht. Die Pferde ihrer Kameraden preschten reiterlos hinter ihnen her.
Wyatt hatte die Winchester hochgerissen. Aber er ließ sie langsam wieder fallen. Die Männer waren schon viel zu weit, als daß sie noch von einer Kugel hätten erreicht werden können.
Der Marshal sah sofort, daß der Mann, den er von der Lok heruntergeschossen hatte, tot war.