»Ja. Ich kam vom Fluß herauf. Ziemlich spät. Da sah ich in der Ferne Rauch aufsteigen. Es war alles vorbei, als ich
das Vorwerk erreichte. Bab Cunnings war tot. Steve Coster hatte sich in ein Gebüsch verkrochen, da lag er mit eingeschlagenem Schädel, als ich ihn
fand.«
Jim Hunter, der auch hinzugekommen war, schlug die Zähne in die Unterlippe. Dann wandte er sich zur Seite.
»Wo ist das Vieh?« fragte der Rancher leise und rauh.
»Verladen, Boß«, versetzte der Texaner grob.
»Was...?«
»Verladen. Die Banditen haben den Zug drüben auf der Strecke nach Arkansas City angehalten und die Rinder verladen.«
Der Rancher wurde aschgrau. »Das kann doch nicht wahr sein!«
*
Drei Tage nach diesem bitteren Ereignis hatte der Rancher die Männer bis in die späte Nacht in der Wohnstube sitzen gehabt. Stundenlang hatten sie beraten, wie sie sich gegen weitere Überfälle der Rustlerbande schützen könnten.
»Wir sind einfach zu wenig Leute!« hatte McIntire gesagt.
»Oder unsere Weide ist zu groß!« war Jonny Tuckers Ansicht gewesen.
»Zu groß?« hatte Frank Luck aufbegehrt. »Wie kann eine Weide überhaupt zu groß sein. Joe hat recht: Wir sind zu wenig Männer. Und deshalb denke ich, daß wir wachsamer sein müssen und vielleicht auch den Zaun verstärken sollten.«
»Wachsamer?« fragte der Rancher. »Seit Bill Hogeeter die Wachen verteilt, seid ihr mehr unterwegs als früher. Das wird auf die Dauer an euren Kräften zehren. Und den Zaun kann ich auch nicht verstärken lassen. Der Draht ist viel teurer geworden. Es wäre sinnlos, noch mehr Dollars daran zu verschwenden. Die Halunken reißen ihn an den Anschlußstellen einfach aus den Stahlschlaufen an den Pfählen. Dann haben sie eine bequeme offene Tür.«
Bill Hogeeter hatte nichts gesagt. Den ganzen Abend nicht. Schweigend hatte er auf einer Fensterbank in einer dunklen Nische gesessen und zugehört.
Und keiner in dem Kreis der verzweifelten Männer wäre auf den Gedanken gekommen, daß der Wolf mitten unter ihnen saß.
Als die Männer auseinandergegangen waren, rief Joe McIntire ihnen von der Veranda aus nach: »Bleibt vor allem da, wohin ihr befohlen worden seid! Das ist das wichtigste. Und keiner unternimmt einen sinnlosen Alleingang, der ihn nur unter die Erde bringt. Gegen ein halbes Dutzend Rustler ist ein einzelner Mann auf verlorenem Posten. Wenn sich irgendwas ereignet, und ihr seht, daß ihr nichts retten könnt, reitet sofort zurück zur Ranch und bringt Nachricht.«
Hogeeter war der letzte, der die Veranda verließ.
Der Rancher stand plötzlich neben ihm und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter. »Bill, ich möchte einen Augenblick mit Ihnen sprechen.«
Susan, die diese Worte bis in die Wohnstube gehört hatte, fuhr zusammen. Mit gesenktem Kopf räumte sie zusammen mit Mary die Gläser und die Whiskyflaschen vom Tisch.
Hogeeter hatte den Kopf zur Seite gewandt.
Der Rancher sah in ein hartes schiefergraues Augenpaar.
»Kommen Sie, wir gehen hinüber in mein Zimmer, Bill!«
Der Rancher führte den Texaner in das große Eckzimmer, wo er ihm einen Sessel anbot.
Es war ein gemütlich eingerichteter Raum mit einem gewaltigen Bärenfell auf dem Boden, einem riesigen Schreibtisch, Bücherregalen, gläsernen Vitrinen, Büffelgeweihen an den Wänden und zwei Bildern aus St. Louis.
Der Rancher blieb vor dem Schreibtisch stehen. Mit nicht ganz ruhigen Händen zündete er sich eine Zigarre an. Als
er dem Cowboy auch eine anbot, lehnte der mit einer schroffen Handbewegung ab.
Die Lampe warf ein hartes Licht auf das Gesicht des Texaners; schwere Schlagschatten zogen sich wie dunkle Felsrinnen durch dieses Antlitz.
»Bill«, begann Hollister. »Ich muß etwas mit Ihnen besprechen, etwas Privates. Es geht um Susan!«
Plötzlich stand der Texaner vor dem Sessel. Er war so schnell aufgestanden, daß der Rancher die einzelnen Bewegungen gar nicht hatte wahrnehmen können.
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, Mr. Hollister!« versetzte der Cowboy rauh und wollte sich umwenden.
Der Rancher schluckte. »Bill – warten Sie. Es hilft nichts, ich muß mit Ihnen sprechen. Susan... liebt Sie.«
Das Gesicht des Texaners blieb unbewegt.
Und plötzlich wendete er sich um und schritt zur Tür.
Der Rancher stieß die Luft geräuschvoll durch die Nase aus. Als er aus dem Zimmer kam, sah er Susan drüben vor der Küchentür stehen.
Der schwarze Sammy kam eben grinsend durch den Korridor und trug eine Schüssel mit Wasser hinaus.
Die beiden blickten hinter ihm her. Dann trafen sich ihre Blicke.
Der Vater lächelte schwach. »Bist du noch nicht müde, Kind? Es ist schon spät.«
»Nein, Papa. Hattest du Ärger mit... mit ihm?«
Der Rancher schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht.«
Susan eilte auf den Vater zu und umarmte ihn stürmisch. Sie konnte ja nicht ahnen, was in ihm vorging. Wenn sie jetzt in diesem Augenblick sein Gesicht gesehen hätte, wäre sie vielleicht weniger glücklich gewesen.
*
Es wurden wieder Rinder gestohlen.
Jonny Tucker hatte eine Winchesterkugel im Rücken.
Der alte McIntire schnitt sie ihm mit einem dünnen abgeglühten Messer drüben im Bunkhaus sieben Stunden später heraus.
In der Nacht wußten die Männer, daß der fröhliche, ewig grinsende Jonny trotzdem sterben würde. Da ließ der Rancher ihn im Gastzimmer des Wohnhauses betten.
Mary saß die ganze Nacht am Lager des todgeweihten Mannes. Er verlangte nur immer Whisky.
Als Joe McIntire, mit dessen Schlaf es immer schlechter wurde, beim Aufleuchten der ersten feuerroten Sonnenstrahlen den Kopf neugierig über die Fensterbank schob und von draußen ins Zimmer blickte, sah er vor der immer noch brennenden Lampe die jüngste Tochter des Ranchers sitzen. Sie war neben dem Bett des Cowboys eingeschlafen.
Jonny Tucker aber – grinste dem kleinen Mann am Fenster entgegen und flüsterte mit schwacher Stimme: »Hau bloß ab, Joe! Das arme Girl schläft endlich – und mir geht’s wieder gut.«
Feixend verschwand das Gesicht des Kleinen von der Fensterbank.
Jonny Tucker blieb am Leben. Vielleicht war er einer der wenigen Menschen auf dieser Erde, denen der Whisky tatsächlich geholfen hatte.
Nie würde der Cowboy der kleinen Mary Hollister vergessen, daß sie in der schwersten Nacht seines Lebens an seinem Bett gewacht hatte wie eine Schwester.
*
Das Leben auf der Moon-Ranch ging weiter.
Während eines sonnigen Nachmittags, als Joe McIntire vor dem Stalltor auf einer Kiste hockte und das Brandzeichen der Ranch auf ein Stück Holz schnitzte, ging Pat Hollister zum Corral hinüber, wo der Texaner Bill Hogeeter mit der Wut eines Berserkers das Gatter ausbesserte.
Der Rancher sah sich um.
Es war niemand in der Nähe.
Da trat er nahe an den Cowboy heran. »Bill!«
Der Texaner fuhr herum.
»Bill, ich habe Ihnen neulich gesagt, daß ich mit Ihnen wegen Susan sprechen muß.«
Die harten Augen des Cowboys spien Kälte.