Die Rechte des Revolvermannes flog zum Halfter und riß die Waffe hoch. Mattschimmernd blinkte der kurze Lauf Wyatt entgegen.
»Nur zu, Ted Seroon«, versetzte der Marshal kalt. »Hier in dieser seltsamen Stadt wird ja so viel geballert, da kommt’s auf einen Schuß mehr oder weniger nicht an. – Oder sollten Sie etwa ein Revolverkämpfer sein, der nicht auf waffenlose Leute schießt?«
»Jawohl, das bin ich«, schnarrte der Schießer. Und sofort ließ er die Waffe wieder ins Halfter gleiten.
Wyatt war mit einem Satz bei ihm, hieb ihm die Linke blitzschnell gegen den rechten Oberarm, schlug die Rechte an den Hals des Schießers und riß ihm mit einem Ruck den Colt aus dem Halfter.
Seroon war hinter den Tisch gefallen und hörte schon die Patronentrommel rotieren, als er sich erhob.
Wyatt sah ihn mit einem bitteren Lächeln an. »Es fehlt keine Patrone.«
Seroon erhob sich grinsend. Da hörte er den anderen sagen: »Und doch ist aus diesem Colt vor wenigen Minuten geschossen worden. Der Lauf ist noch heiß und riecht nach frischem Pulver. Sie können es sich also aussuchen, Seroon. Entweder haben Sie den Burschen draußen ermordet oder auf mich geschossen!« Er schleuderte ihm die Waffe über den Tisch zu.
Seroon fing sie auf und hielt sie zitternd in der Hand.
Wyatt ging wieder zur Theke. »Einen Brandy, bitte.« Er stützte sich mit den behandschuhten Händen auf das grobe Holz der Theke auf, wandte sich um und rief: »Sie können es sich aussuchen, Seroon. Aber ich weiß, wem Ihre Kugel galt!«
Der Revolverschwinger stahl sich aus dem Saloon.
Verstohlen musterte Jeff Collins, der Wirt, den Mann an der Theke. Mit einer gekünstelten Lache stellte er fest: »Ein Glück, daß Sie nicht öfter in die Stadt kommen, Mister Evans.«
»Weshalb denn?« fragte Wyatt, während er an dem Brandy nippte.
»Sie sehen doch, der Schankraum ist völlig leer. Ehe sie kamen, war er gut besetzt.«
»Ich weiß. Ich gehe schon wieder!« Er ließ zwei kleine Geldstücke auf das Thekenblech springen und schritt sporenklirrend zur Tür.
»Mister!« hörte er da Collins hinter sich rufen.
Wyatt wandte sich um.
»Noch eins, Mister – es hat schon einmal so einen harten Burschen hier in der Stadt gegeben...«
Wyatt nickte. »Ich weiß. Er liegt vermutlich oben auf dem Friedhof, nicht wahr?
Es war nicht schwer zu raten. Wahrscheinlich hat Golden Bill ihm zu diesem Platz verholfen.«
»Yeah«, stammelte der Wirt. »Aber...«
»Schon gut, Jeff. Er hat auch draußen auf der Weide eine Sandgrube, wo ein paar rauhe Burschen liegen. Es muß wohl so sein: Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn.« Wyatt schüttelte nun heftig den Kopf.
Da meinte der Wirt halblaut: »Kein Mensch vermag etwas gegen ihn auszurichten. Die Leute in der Stadt reden, daß die Siedler, die er vertrieben hat, einen großen Revolverkämpfer gegen ihn angeworben haben. Es wird schlimm werden, Wynn. Die Leidtragenden sind wir. So lange ich denken kann, hat Bill Cumberland Kämpfe ausgetragen. Auf seiner Ranch, auf seiner Weide und hier in der Stadt. Es hat keinen Sinn, sich gegen ihn aufzulehnen. Sie sind ein aufrechter Bursche, Evans, Sie können anderwärts Ihr Glück machen, reiten Sie fort!«
Wyatt hob die Hand. »Vielen Dank, Jeff...« Dann ging er hinaus.
Als er auf die Straße trat, sah er die Mannschaft der Cumberland-Ranch drüben auf den Vorbauten der anderen Straßenseite stehen.
Es war merkwürdig still auf der Mainstreet.
Als Wyatt nach rechts in die Sonne blickte, sah er fünfzehn Yards entfernt, mitten auf der Straße einen Mann stehen.
Groß, hager, mit leicht gespreizten Beinen.
Der Revolvermann Theodore Seroon.
Wyatt begriff die Situation sofort.
»Es soll also noch einer sterben?« fragte er in die Stille hinein.
»Komm runter, Evans!« schnarrte Seroon.
»Yeah.« Langsam und ohne Hast stieg Wyatt die Stufen hinunter. Mitten auf der Straße blieb er stehen. Die Sonne blendete ihn nicht allzusehr, da er den Hut tief in der Stirn sitzen hatte.
Da brüllte Harry Walker: »Was soll das, Seroon? Der Mann hat keine Waffe!«
»Gib ihm deinen Colt!« befahl der Schießer.
Walker trat auf die Straße. »Das ist doch Wahnsinn! Habt ihr an dem einen Toten noch nicht genug, ihr verdammten Aasgeier? Sheriff! Sheriff!« Der Ruf gellte durch die Straße.
Aber der Hüter des Gesetzes blieb aus.
Wyatt hob die linke Hand. »Warte hier einen Augenblick, Seroon.« Mit langen, ruhigen Schritten ging er schräge über die Straße und verschwand zur Verblüffung des Mannes im Haus des Reverenden Marcus Oakland.
Plötzlich brüllte Yul Potter: »Er holt sich den Segen des Rev!«
Die Cowboys lachten grölend.
Den Männern der Stadt, die an den Fenstern standen oder sich auf den Vorbauten eingefunden hatten, war nicht sonderlich wohl zumute.
Wyatt hatte die Tür des schmucken kleinen Hauses hinter sich geschlossen.
Der Geistliche kam ihm im Korridor entgegen. »Mister Earp«, sagte er. »Ich habe alles gesehen. Es ist schrecklich. Was wollen Sie tun?«
»Es gibt keinen Frieden in diesem Land, Rev. Es tut mir leid; geben Sie mir bitte meinen Waffengurt zurück.«
Der Geistliche machte ein bedrücktes Gesicht. Dann ging er zurück in die Stube und kam mit einem schweren, patronengespickten Gurt wieder. Kopfschüttelnd meinte er: »Es ist eine Schande. Wir leben hier wie im finstersten Mittelalter. In Europa kennen die Menschen das Tragen von Waffen schon seit zwei Jahrhunderten nicht mehr. Es ist schlimm, Wyatt Earp. Als Sie damals zu mir gekommen sind, um den Colt hierzulassen, habe ich Sorge gehabt, daß Sie ohne ihn nicht auskommen würden. Jetzt, da Sie ihn zurückhaben wollen, habe ich wieder Sorge.«
Wyatt nahm den Gurt, schnallte ihn um, zog den schweren Buntline Colt aus dem Halter, prüfte ihn, ließ die Trommel rotieren, sah in die gefüllten Kammern und betastete den Stecher. Dann ließ er die überschwere Waffe mit einem Handsalto ins Halfter gleiten.
»Gehen Sie mit Gott«, sagte der Reverend.
Wyatt hielt an der Tür inne. »Kann man solch einen Gang überhaupt mit Gott antreten, Rev?« fragte er mit belegter Stimme.
»Man kann jeden Gang mit Gott antreten, Wyatt Earp. Wenn man guten Herzens ist, wird Gott nicht zur Seite schauen...«
Wyatt ging hinaus auf die Straße.
Jegliches Gespräch verstummte augenblicklich.
Wyatt hatte seine schwarze Jacke auf dem Arm, brachte sie zu Walker und trat in die Mitte der Straße.
Irgendwie sah er plötzlich ganz anders aus, dieser Cowboy Wynn Evans, der vor gar nicht allzu langer Zeit in die Stadt geritten kam und drüben im Saloon war und den Vormann der C-Ranch nach einer Arbeitsstelle fragte.
Damals hatte niemand bemerkt, daß er zuvor drüben in dem etwas zurückgebliebenen Haus des Reverend gewesen war und dort etwas abgegeben hatte.
Er sah jetzt entschieden anders aus, mit dem großen Waffengurt. Und dem ziemlich tief auf dem linken Oberschenkel hängenden Colt.
Das fühlten alle.
Vor allem aber Ted Seroon, der Duellgegner.
Auf der Straße herrschte Totenstille. Eine ganz andere Stille als vorhin, der kleine Jonny Hartmann dem Vormann der C-Ranch gegenübergestanden hatte; der kleine Bursche, der jetzt drüben