Eine ferne Angst stieg in Mac Hayley auf. Angst um Seroon. Nicht etwa, weil er den bleichen Revolverschwinger schätzte, sondern weil er mit seinem Untergang auch getroffen wurde. Aber weshalb sollte Seroon untergehen? War er nicht der schnellste Schütze zwischen Wichita und Abilene?
Mac Hayley warf einen nervösen Blick auf Seroon. Weshalb fing er nicht an?
Seroon stand steif da, reglos, starr.
Weshalb fing er nicht an?
Hayley konnte nichts sagen, nichts dazwischenrufen. Das war ein ehernes, ungeschriebenes Gesetz des Westens: Den Beginn des Revolverkampfes hatte allein der Herausforderer zu bestimmen.
Die Stille in der Mainstreet war unerträglich.
Niemand ahnte, was im Hirn des Schießers Seroon vorging. Alle sahen nur seine starren Augen, die auf den Gegner gerichtet waren.
Wyatt allein spürte, daß sie sich an seinem Colt festgesaugt hatten, die Augen des Revolverschwingrs Seroon.
Ted Seroon hatte Angst. Ganz plötzlich stieg sie in ihm auf. Irgendwie aus den Tiefen seiner Brust heraus, klammerte sie sich sein Herz, würgte seine Kehle und lähmte seine Gedanken. Hündische Angst.
All dies aber sah ihm niemand an.
Aber daß er sich plötzlich in Bewegung setzte, staksig, mit hölzernen steifen Schritten voranging, das sahen alle.
Es lag etwas Seltsames in seinem Gang, wie er langsam Fuß vor Fuß setzte, vorsichtig und tastend, als schleiche er sich an ein gefährliches Raubwild.
Einen Yard vor dem Gegner blieb er stehen.
Wyatt Earp rührte sich nicht.
Seroon hob die schwere Waffe und ließ seine Augen darübergleiten; er wog sie in der Hand und hob dann den Blick zu den Augen des anderen. Langsam brachte er schließlich die Waffe wieder ins Halfter zurück. Er wendete sich um, ging langsam zu seinem Pferd hinüber, das drüben vor dem Saloon stand. Er löste die Zügel vom Querholm und zog sich ganz langsam in den Sattel. Träge trottete der Gaul mit ihm die Mainstreet hinunter nach Westen.
Auf der Straße herrschte betretene Stille.
Wyatt Earp preßte die gespreizten Hände auf die Oberschenkel und blickte an sich hinunter. Dann ging er zu Walker, nahm seine Jacke, zog sie an und hielt mit dem Small-Rancher auf die Pferde zu.
Niemand sagte ein Wort.
Dieser seltsame, völlig unerwartete Ausgang eines Revolverkampfes ließ eine tiefe Bedrückung in den Männern zurück. Der große Ted Seroon hatte aufgegeben, aufgegeben gegen einen unbekannten Cowboy. Das war ungeheuerlich. So ungeheuerlich, daß es noch gar nicht recht in die Schädel der Männer hineinging.
Als erste fanden sich die Cowboys von der C-Ranch. Sie schlenderten auf die Straße, gruppierten sich um ihren Vormann und blickten zu Wyatt und Walker hinüber.
Da öffnete sich die Tür eines großen, ziemlich neuen Hauses, und Bill Cumberland trat auf den Vorbau. Ein hagerer, gebeugter Mann mit schlohweißem Haar, blassem Gesicht, dunklen Brauen und hellen wäßrigen Augen trat neben ihn. Er war ganz in feines schwarzes Tuchzeug gekleidet und hatte einen eleganten grauen Zylinder in der Hand, wie man ihn jetzt nach der neuesten Mode aus St. Louis trug.
Noch einer kam aus diesem Haus: Owen Kent, der Sheriff von Florence. Er blieb hinter dem alten Herrn neben der Tür stehen.
Hinter den drei Männern erschien Mary Ann Cumberland, die Tochter Big Bills. Sie hielt sich etwas abseits und lehnte sich gegen einen Vorbaupfeiler, wobei sie nach ihrer Gewohnheit den rechten Fuß vorschob und mit dem linken Sporenrad über das Holz des Pfostens rollte.
Big Bill trat nahe an den Rand der Treppe. Er stand breitbeinig da, die prankenartigen Hände in die Hüften gestemmt, den breitrandigen Hut am Windband auf den Schultern, die mächtige Brust mit der schweren Uhrkette vorgeschoben. Sein Ledergesicht war verhärtet und strahlte wilden Trotz, Verwegenheit und Jähzorn aus. Er blickte auf Wyatt hinunter, der unweit der Treppe neben seinem Pferd stand. Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf ihn und sagte: »Du willst weg?« Seine rauhe Stimme hörte sich an wie Eisen, das aufeinanderrieb.
Wyatt tat, als fühle er sich nicht angesprochen, setzte den linken Fuß in den Steigbügel und gab sich den Anschein, als wolle er aufspringen.
Da löste sich ein riesiger Bursche aus der Gruppe der Cowboys und schoß heran: Mac Hayley, der Vormann. Dicht vor Wyatt blieb er stehen. »He, Mann! Big Bill Cumberland spricht mit dir!«
Wyatt maß den Vormann mit einem eisigen Blick. »Und Sie, Hayley, sprechen Sie etwa mit mir?«
Der Riese stierte ihn böse an. Das wenig glorreiche Duell mit dem jungen Hartmann, der verunglückte Revolverkampf Seroons, all das hatte eine höllische Wut in ihm angestaut, die jetzt zum Ausbruch kam. »Du verdammte Ratte! Ich werde dir beibringen, wie man mit Big Bill und mit seinem Vormann spricht!«
Später konnte sich niemand mehr so recht daran erinnern, was in diesem Augenblick eigentlich geschehen war. Jedenfalls lag der klobige Vormann ganz plötzlich an der Erde; mit dem klobigen Gesicht im Straßenstaub. Reglos und ganz still.
Die Cowboys standen einen Augenblick steif vor Schrecken da, dann rannten sie los.
Gedankenschnell zuckte die Hand des Marshals zur Hüfte – und das dunkle Auge der Mündung des schweren Buntline-Revolvers starrte die wilde Horde an.
Sie blieben alle stehen, die ungebärdigen rauhen Burschen. Keiner wollte derjenige sein, der die erste Kugel schlucken mußte.
Da schrie Big Bill mit sich überschlagener Stimme: »Ich klage diesen Mann des Mordes an! Richter O’Keefe, hören Sie mir zu. Sie kennen mich als einen ehrenwerten Mann. Ich bin Bill Cumberland, und jeder in diesem Land kennt mich. Ich klage diesen Mann dort, der jetzt wieder eine Schußwaffe in seiner Faust hält, des Mordes an dem Rancher Willem Termolen an!«
Wyatts Kopf flog hoch. Was war das? Was hatte dieser selbstherrliche despotische Weidepirat da eben von sich gegeben? Wyatt war nahe daran, seine eiserne Ruhe zu verlieren.
Da hörte er Big Bill mit Stentorstimme rufen: »Er ist ein Mörder, dieser Mann, der da in unser Land gekommen ist und allenthalben Unruhe gesät hat. Ein Mörder und ein Pferdedieb! Jawohl, Richter O’Keefe. Er ist auch ein Pferdedieb: Er hat auf meiner Ranch das Pferd meiner Tochter Mary Ann gestohlen!«
Der gebeugte alte Mann mit dem weißen Haar nickte wie eine Marionette. Er sagte nichts. Fast teilnahmslos ruhten seine Augen auf Wyatt.
Cumberland wartete die Wirkung seiner Wort ab. Er spürte, daß seine Anklage auf fruchtbaren Boden gefallen war. Die Blicke der Männer richteten sich empört auf den Beschuldigten.
Das nutzte der Rancher geschickt aus, indem er fortfuhr: »Damit nicht genug, Männer. Ich behaupte ferner, daß er auch der Mörder des Small-Ranchers Robert Hunter ist!«
Laute Zwischenrufe brachen los.
Big Bill hob die Arme und breitete sie in einer theatralischen Geste aus. Er war jetzt in seinem Element. Fast einen Yard über den Köpfen der Leute, am Rand eines breiten Vorbaus stehend, konnte er die ganze Wirkung seiner bombastischen Persönlichkeit zur Geltung bringen. In früheren Jahren wäre dieser Mann zweifellos ein Freibeuter gewesen, ein Pirat, mit dem Degen in der behaarten braunen Faust. Ein brutaler rücksichtsloser Erfolgsmensch, der die Schwäche, die Angst, Dummheit und Kleinmütigkeit seiner Mitmenschen schonungslos ausbeutete.
»Männer, hier steht Richter Henry O’Keefe. Ich habe ihn mit der Postkutsche aus Abilene kommen lassen. Er sollte sich an Ort und Stelle von den Ungeheuerlichkeiten überzeugen, die hier geschehen sind. Es wäre nicht schwer für ihn gewesen, diesen Mann schnell zu vernichten, aber das eben wollte ich nicht. Es gibt hier Leute, die gewisse Hoffnungen mit der Person dieses Verbrechers verknüpft hatten. Deshalb, Gents, deshalb habe ich Richter O’Keefe herbemüht. Er soll sich von den