Er war ein mit allen Wassern gewaschener Mann, dieser Bill Cumberland. Er verstand es mit geradezu teuflischer Geschicklichkeit, den Fall in ein solches Licht zu setzen, daß jeglicher Verdacht von ihm abfiel und der Beschuldigte im tiefsten Dunkel erschien.
»Ich habe Richter O’Keefe kommen lassen, damit er es ist, der den Mann vom Sheriff verhaften läßt. Damit niemand auf den verrückten Gedanken kommt, ich stünde hinter all diesen Dingen. Damit ferner niemand Grund hat, anzunehmen, ich wolle dem Manne ein Unrecht antun. Nein, all dies habe ich vermieden. Richer O’Keefe wird urteilen. Er allein!«
Wyatt blickte mit kühler Gelassenheit zu dem schreienden Raubrancher auf. – Golden Bill! dachte er. Den Namen hatte sich der Mann da oben sehr passend ausgesucht. Er war wirklich ein goldener Bill, dieser Cumberland. Aber das Gold, aus dem er gemacht war, mußte aus den tiefsten Tiefen der Hölle stammen.
Big Bill fuhr inzwischen fort: »Er ist in unser Land gekommen wie ein Sattelstrolch, dieser Mann. Dann hat er gemordet wie ein hungriger Wolf. Er ist nachts in meine Ranch eingebrochen und hat meine Tochter überfallen, ein Pferd gestohlen und einen braven Mann aus meiner Crew niedergeschossen wie einen tollen Hund. Er ist ohne Waffen gekommen, um uns zu täuschen. Aber ich habe ihn erkannt. Er wird seiner Strafe nicht entgehen. Seroon hat ihn gefordert. Er war ein Narr, daß er es getan hat; es war sein höllisches Glück, daß es nicht zum Kampf gekommen ist...«
Big Bill verschwieg wohlweislich, daß er während der heißen Minuten, da sich die beiden Männer drüben auf der Mainstreet gegenüberstanden, hier im Haus am Fenster gelauert hatte, hinter den Gardinen, in fiebernder Spannung. Er verschwieg, daß er den Richter und den Sheriff währenddessen mit sinnlosen Reden hingehalten hatte, so daß sie von den Vorgängen auf der Straße absolut nichts bemerken konnten. Nachdem er dann mit einem zornigen Aufblitzen seiner Augen feststellen mußte, daß Ted Seroon gekniffen hatte, führte er den alten Richter und den Sheriff eilends hinaus.
Daß Mary Ann unterdessen an dem anderen Fenster des Raumes gestanden hatte und alles mitansah, was sich auf der Straße tat, hatte ihn nicht im mindesten gekümmert.
»Er ist der schlimmste Wolf, der sich in den letzten zehn Jahren in unser Land eingeschlichen hat. Ja, ich möchte sagen, seit den Tagen, an der Ogellala-Chief ›Rote Wolke‹ unsere Weiden heimsuchte, war dieser hartgesottene Bursche der gefährlichste Bandit, den wir je hier hatten! Männer, ich, Bill Cumberland, ich kämpfe seit einem Menschenalter um unser Land, um unsere Weide. Ich habe diese Stadt gebaut, habe sie für euch auf meinem Grund errichten lassen, damit ihr eine Heimstatt habt. Wollt ihr euer Leben und eure Zukunft von einem hergelaufenen Banditen untergraben lassen?«
Zurufe wurden laut. So laut, daß Golden Bill verteufelte Mühe hatte, sich mit seiner Ansprache durchzusetzen.
Aber er setzte sich durch, er war härter, lauter und verbissener als alle anderen.
Er redete weiter. Er brachte die Männer in Zorn, trieb ihnen die Röte auf die
Stirnen und forderte sie schließlich auf, hinüber in die City-Hall zu gehen, um dort der Verhandlung beizuwohnen, wo der ehrenwerte, würdige Richter O’Keefe Recht sprechen werde.
Die zitternde Hand des greisen Richters fuhr indessen ständig in einer fahrigen Bewegung über die linke Jackentasche. Er war ein alter, müder, ausgebrannter Mann, dieser Henry Daniel O’Keefe. Und er war noch etwas anderes...
Mit lautem Geschrei drängten die Männer sich um Wyatt und den Small-Rancher und drängten die beiden hinüber in die City-Hall.
Eine Viertelstunde später begann in dem großen Bau die Verhandlung.
Die Männer saßen und standen dichtgedrängt beieinander. Nur eine einzige Frau war im Saal: Mary Ann Cumberland.
Wyatt, der in der vordersten Reihe umringt von den verwegen dreinblickenden Cowboys der C-Ranch stand, sah sie sofort. Sie stand rechts an einen Türpfosten gelehnt, die Hände auf dem Rücken, den rechten Fuß vorgeschoben, den linken mit dem Absatz auf den Pfosten gestemmt; ab und zu ließ sie das große Sternrad des Sporns ratschend über das braungestrichene Holz gleiten, wo die stählernen Zacken tiefe Spuren hinterließen.
Wyatt dachte über die Frau nach. Der hektische Trubel um ihn herum erregte ihn nicht im mindesten. Er hatte den Blick auf Mary Ann Cumberland gerichtet. Auf die winzigen Löcher, die der Sporn in dem Holz des Türpfostens hinterlassen hatte. Es wäre leicht, ihrer Spur zu folgen, überlegte er. Sie steht überall in der gleichen Weise, lehnt sich an und reißt mit ihren Sporen das Holz auf.
Diese und ähnliche Gedanken zogen ruhig durch den Kopf des Mannes, der hier als schwer belasteter Angeklagter vor die Schranken eines ganz schnell zusammengerufenen Gerichtes gezerrt worden war.
Er hatte die Hände über der Brust verschränkt, stand lässig und ruhig da. Der schwere Colt steckte noch links im Halfter. Niemand hatte es gewagt ihm die Waffe abzunehmen.
Auch Harry Walker war wie ein Verbrecher hereingeführt worden. Er stand zwei Schritte neben Wyatt Earp.
Und der Prozeß, der nun folgte, ging in die Geschichte der kleinen Stadt Florence ein. Der Chronist Nathan Bisbee nannte diesen Tag einen der schwärzesten Tage der kleinen Kansasstadt.
Draußen auf den Stepwalks hatten sich die Burschen, die Frauen, die Alten und die Kinder versammelt. Die Worte Golden Bills waren ja laut genug gesprochen worden; man hatte sie weithin hören können. Jetzt wußte die ganze Stadt, was er gesagt hatte. Da gab es niemanden, der freiwillig zu Hause blieb.
Der Richtertisch hatte eine sonderbare Zusammensetzung gefunden.
In der Mitte auf einem gewaltigen Stuhl, den man extra aus einem Nachbarhaus herbeigeschafft hatte, thronte Big Bill. Rechts neben ihm saß der Richter. Seine Hände lagen nun zitternd vor ihm auf dem rohgezimmerten Holz des
Tisches.
Links von Cumberland hatte sich doch tatsächlich Mac Hayley, der rüde Weidereiter, gepflanzt. Neben ihm hockte mit kalten Augen Jeff Lopin, der blondhaarige, hartgesichtige Revolverschwinger.
Neben dem Richter hatte der Sheriff Platz genommen.
Dieses merkwürdige Tribunal war zusammengekommen, um den Mann, der da vier Yards vor dem Tisch stand, zu verurteilen.
Der Lärm im Saal war ohrenbetäubend.
Niemand achtete auf den Angeklagten, der unbemerkt die rechte Hand in die Hosentasche schob, etwas herausnahm und unter die Jacke steckte.
Mit gewaltigem Stimmaufwand suchte sich Big Bill Ruhe zu verschaffen. Als das nicht half, riß der rigorose, unbeherrschte Mann seinen Revolver aus dem Halfter und feuerte einen Schuß gegen die Decke ab.
Big Bill konnte es nicht abwarten, seinen ärgsten Feind zu vernichten. Er wollte es selber tun. Der Richter war nur das Aushängeschild für die vorgegebene Rechtsmäßigkeit, mit der er jetzt handelte. Er war aufgesprungen. »Ihr müßt Ruhe halten, Männer, wenn hier Recht gesprochen werden soll. Absolute Ruhe. Richter O’Keefe braucht Ruhe, um ein gerechtes Urteil zu finden.«
Um die Lippen Wyatts huschte ein spöttisches Lächeln.
Cumberland mußte es bemerkt haben. Er schoß ihm einen haßerfüllten Blick zu und preßte die Lippen aufeinander, daß sie weiß wurden. Schließlich wandte er sich an den alten Mann, der neben ihm saß. »Euer Gnaden, die Verhandlung kann beginnen.«
Die zitternde Hand des Richters hob einen kleinen Hammer, der aus den Tiefen eines seiner Rockschöße hervorgeholt worden war, und ließ ihn mit einem schwachen Schlag auf die Tischplatte fallen.
»Ich bin Henry Daniel O’Keefe, Richter von Abilene im Staate Kansas.«
Die Männer neben ihm und auch die Zuschauer im Saal, die gesessen hatten, erhoben sich von ihren Plätzen.
In das Fußgescharre und Stuhlgeschiebe mischte sich im hohen Diskant die eigenartig schwankende singende Stimme des Richters: »Ich erkläre die Verhandlung für eröffnet!«
Die Männer neben ihm und die Zuschauer nahmen