Dreieinhalb Stunden redete er auf den Häuptling ein.
Schweigend, mit verschlossenem Gesicht, hörte ihm der Mann, dessen Name einst wie eine Brandfackel über das ganze Land gegangen war, zu. Dann stand er auf.
»Ich habe nichts von deinem Tod. Aber ich habe auch noch nie einem Bleichgesicht etwas geglaubt. Mein Leben geht zu Ende. Ich gehe keine Gefahr ein, wenn ich dich laufen lasse. Ich weiß, daß du nicht für meine Brüder sprechen wirst. Aber ich schicke dich weg, mit dem Auftrag, für uns zu sprechen. Wir wollen mehr Land. Land, wo wir leben können, wo Wasser ist, wo im Winter Tiere sind, die wir jagen können. Wir brauchen Holz für Feuer und Leder für Kleidung und Zelte…«
Um drei Uhr nachmittags ritt der bundesstaatliche Hilfsmarshal Wyatt Earp auf einem gescheckten Indianerpony von der Höhe des Blauen Wassers hinunter ins Tal.
Als er sich nach angemessener Zeit einmal umwandte, sah er oben auf der kahlen Anhöhe nur die Riesengestalt des Indianerfürsten stehen, der ihm unbewegt nachblickte.
»Das Pferd schenke ich dir«, hatte er gesagt. »Obwohl wir nichts zu verschenken haben. Ich erhoffe nichts von diesem Tag, Mann mit dem Stern. Mein Leben geht zu Ende, und ich will nichts unversucht lassen, meinen Brüdern zu helfen. Hier sind wir nur dreißig. Insgesamt sind wir zweimal tausend mit Frauen und Kindern…«
Er war weit klüger, überlegter und raffinierter, als er seine eigenen Stammesgenossen wissen lassen mochte. Und vielleicht hätte sein Handeln auch einen weniger ehrenhaften Mann als den Marshal dazu veranlaßt, Wort zu halten.
Wyatt war tief beeindruckt von dem außergewöhnlichen Mann. Noch nach Stunden hörte er die Worte des Indianers in seinen Ohren: »Ich erwarte nichts… Ich schenke dir das Pferd…!«
An einem trüben, regnerischen Morgen erreichte der Mann auf dem Indianerpony das in den ganzen Staaten berühmte Fort Laramie. Der Kommandant war nicht anwesend.
Colonel Griffith, ein strenger, schlanker Offizier, vertrat ihn.
Wyatt erzählte ihm seine Geschichte.
Mit ungläubigem Blick musterte ihn der Offizier. »Rote Wolke? Aber lieber Freund, der ist über zehn Jahre tot.«
Wyatt kämpfte hier, wie er sein ganzes Leben für das Recht gekämpft hatte.
Und er wurde abgewiesen.
Wer war er denn? Ein kleiner Hilfsmarshal aus Kansas.
Einer der jüngeren Offiziere sah ihn zufällig, wie er aus dem Tor ritt. Er musterte ihn und rief plötzlich: »He, Mister, wissen Sie, daß Sie eine verteufelte Ähnlichkeit mit Wyatt Earp haben?«
Wyatt blickte den Mann kurz an. »Nein, das wußte ich gar nicht.« Dann ritt er aus dem Tor.
Colonel Griffith hatte am Fenster gestanden.
»Lieutenant Duraney!«
»Sir!«
»Sie kannten den Mann?«
»Nein – aber er hat eine unheimliche Ähnlichkeit mit einem Constabler, der in ganz Kansas, Texas und wohl auch in Colorado bekannt ist, mit Wyatt Earp!«
»Aber… so hieß er auch!«
»Was, das war... Was wollte er denn?«
Der Colonel erzählte es.
Duraney machte ein ernstes Gesicht. »Er ist ein Marshal, und mein Vater sagte immer, wenn die Soldaten mal nicht mehr sind, sind nur noch die Leute mit dem Marshalstern da, die sich für andere aufreiben. Und diesen Earp schätzte mein Vater sehr! Ich weiß es ganz genau.«
Colonel Griffith kratzte sich den Kopf.
Schließlich hieß der Vater dieses Leutnants Colle Duraney und war der Kommandant des Forts Laramie.
Der Leutnant bekam den Befehl, den Marshal zurückzuholen.
Wieder betrat Wyatt das Haus des Kommandanten.
Diesmal bot der Colonel ihm einen Stuhl an, ließ ein Mahl auftragen und überlegte allen Ernstes mit dem jungen Mann aus Kansas, wie die Sache zu regeln wäre. Allein konnte da von Fort Laramie aus nichts entschieden werden. Ja, die Botschaft, die Captain Hunter brachte – die Geschichte stimmt übrigens –, konnte mal – zurückstellen. Aber man beschloß, sich in Cheyenne um die Sache zu bemühen.
Als Wyatt Earp am späten Abend das Fort verließ, das er übrigens noch einmal in seinem Leben wiedersehen sollte, allerdings unter anderen Umständen, wußte er, daß etwas für die Ausgestoßenen des Häuptlings Rote Wolke geschehen würde.
Wyatt bekam Proviant, neue Munition und einen guten Sattel. Er war für den weiten Ritt gerüstet.
Den weiten Ritt?
Er wollte wieder in die Berge – und dann hinter dem Manne her, den er nach Sheridan bringen mußte.
*
Vier Tage später.
Wyatt ritt an den Westhängen der Berge entlang, als plötzlich gegen Abend ein Pfeil an ihm vorbeischwirrte und in Mannshöhe im Stamm einer Bergkiefer stecken blieb. Es war ein Pfeil mit einer roten Feder.
Wyatt hielt an.
Als er sich umsah, erblickte er rechts neben sich an den Hängen mehrere Reiter.
Indianer.
Langsam führte einer der Männer sein Pferd heran.
Ruhig blickte ihm Wyatt entgegen.
Stumm verhielt der Mann vor ihm. Dann reichte ihm der Wilde, der von ganzen Armeen weißer Soldaten über zwei Jahrzehnte gehetzt und gejagt worden war, die Hand.
»Du hast Wort gehalten!«
Wyatt erfuhr nicht, woher der Chief das wußte.
»Was geschehen wird, weiß ich nicht. Aber du hast Wort gehalten. Und Rote Wolke will nichts von einem weißen Mann geschenkt haben.« Er hob die Hand, und Wyatt sah zu seiner grenzenlosen Verblüffung, wie zwei Rote den gefesselten Jack Donegan mit dem Falben heranführten.
»Ich hatte ihm sofort meine Krieger nachgeschickt. Aber sie haben ihn erst am nächsten Morgen gefangen. Hier hast du ihn. Aber laß ihn nicht auf einem Indianerpferd sitzen. Sonst schieße ich ihn herunter…«
*
Noch vor der Stadt Douglas wären die beiden um ein Haar in einen Weidekrieg zweier Groß-Ranches geraten. Im letzten Augenblick konnte der Marshal aus der Gefahrenzone entkommen.
Weidenkriege werden mit äußerster Erbitterung geführt, und wehe dem, der sich zu diesen Zeiten auf die Gründe einer der beiden Parteien verirrt.
Es war früher Abend, als der Marshal mit seinem Gefangenen in die Stadt einritt. Er kannte Douglas von früher her und besuchte sofort den Sheriff.
Es war ein neuer Sheriff. Er kannte Wyatt nicht und bedauerte, ihm keine Zelle für den Gefangenen zur Verfügung stellen zu können. Die wenigen Zellen waren überbelegt.
Douglas war eine heiße, gefährliche Stadt. Ein kleines Dodge City…
Wyatt brachte Donegan mit dem Sheriff zusammen in den Roten Hund.
Dieser Saloon gehörte dem Iren McCorey. Der riesige rothaarige Wirt hatte ein prächtiges Zimmer für den Banditen. Es befand sich im Dachgeschoß, hatte weder Fenster noch Falltür noch sonst eine Klappe, die nach draußen führte. Nur eine Tür, und die war sicher.
Wyatt ließ seinen Mann mit Speisen und Kaffee versorgen und schloß ihn dann ein.
Er selbst schlenderte durch die Stadt, blieb vor dem Hotel stehen, aus dem man ihn damals verwiesen hatte, weil man ihn für einen Satteltramp hielt, trank im Saloon von Duff Vaugham einen Brandy und ging in den Roten Hund zurück, wo