Und der junge Mann wandte sich um. »He, Ringo! Dreh dich mal um.«
Die fünf Reiter machten Gesichter, in denen sich Wut und Enttäuschung widerspiegelte.
»Hallo, Gents!« rief Wyatt. »Welch ein Zufall, daß wir uns hier treffen.« Er sah, daß die Banditen ihre Waffen wieder in den Halftern stecken hatten.
Martinez schoß dem Marshal unter halbgesenkten Lidern einen zornigen Blick zu. Schließlich meinte er: »Sie machen mir Spaß, Earp!«
»Sie mir auch, Martinez!« Wyatt wußte, daß der dicke Bandenführer in Texas wegen Mordes und mehrfachen Raubüberfalls gesucht wurde. Er wußte auch, weshalb Martinez ihm gefolgt war.
Blitzschnell zuckte die Hand des Burschen mit dem stechenden Blick zum Colt. Er hatte die Waffe schon halb aus dem Halfter, als ihn die Kugel des Marshals traf. Sie saß genau im Handgelenk.
Martinez wurde dunkelrot im Gesicht. »Sie sind ein ganz verdammter Halunke, Earp!« rief er in gebrochenem Englisch. »Und ich werde Sie zum Teufel schicken! Los, Caballeros!«
Die Banditen griffen zum Colt.
Aber nur Martinez war schnell genug, noch zum Schuß zu kommen. Seine Kugel jedoch fehlte ihr Ziel um zwei Yards.
Im Wechselschlag war Wyatts Rechte nahezu unsichtbar schnell über die Waffe gefahren. Es war gefährlich, dieses Trickschießen, und der alte Wyatt Earp sollte es später einmal verdammen. Aber heute war es für ihn noch die einzige Möglichkeit, in so rascher Reihenfolge vier Schüsse abzugeben. Das Schwierigste daran war das genaue Treffen. Er hatte es jahrelang unten in Missouri mit den Brüdern zusammen geübt. Und er war ein unübertroffener Meister darin geworden.
Martinez lag am Boden, vier seiner Genossen lagen neben ihm. Nur der Bursche, dem Wyatt das rechte Handgelenk zer-, schossen hatte, saß noch im Sattel. Sein Gesicht war aschfahl geworden und schien plötzlich um Jahre gealtert zu sein.
Wyatt lud den Colt wieder auf. Scharf fixierte er den Mann. »Wie heißen Sie?«
»Esterra«, stieß der Bursche hervor.
»Hören Sie, Esterra, oder wie Sie heißen mögen. Sie sind noch einmal davongekommen. Lassen Sie es sich als eine Lehre fürs Leben dienen. Ringo Martinez war ein Raubmörder. Er wäre ohnehin gehängt worden. Und ich sehe da Flaherty, er ist ebenfalls ein Mörder. Und der da ist doch Comoran-Jim, nicht wahr?«
Esterra nickte.
»Vielleicht sind Sie auch ein Mörder, Esterra. Aber ich kenne Sie nicht und kann nichts dergleichen beweisen. Sie haben heute Ihre Chance. Ich will Ihnen nicht wieder begegnen.«
Wyatt ritt an ihm vorbei.
Donegans Gesicht war rot vor Wut. Als er an Esterra vorbeikam, schrie er ihn an: »Du erbärmlicher Köter! Du hättest auch nichts anderes verdient als deine Kumpanen! Wozu hast du den Colt da, Mensch. Knall ihn doch ab! Knall ihn doch ab, diesen verdammten Marshal! Los, ich helfe dir! Los, du armselige Figur!« Mit einem wilden Schrei trieb Donegan sein Tier an und sprengte in rasendem Galopp davon.
Wyatt hörte hinter sich das Knacken eines Hahns und warf sich herum, während er auch schon schoß.
Die Kugel saß im Oberarm Esterras.
Wyatt hielt den Colt noch in der Hand. »Sie haben nichts gelernt – und Sie verdienen die Freiheit nicht. Los, werfen Sie den Colt weg!« Der eisige Blick des Marshals schien den Banditen zu lähmen. »Voran, Sie reiten neben mir her.«
Wyatt trieb Esterra zu höchster Eile an und holte trotzdem Donegan bald wieder ein.
Der starrte auf Esterra. »Ich habe es ja gesagt, du bist eine Niete! Eine schräge Figur! Wenn ich den Colt gehabt hätte, lebte der schnelle Earp jetzt nicht mehr!«
»Halten Sie den Mund!« fuhr ihn Wyatt an.
»Was haben Sie denn vor? Wollen Sie den angeschossenen Hasen etwa auch mitnehmen?« höhnte der Verbrecher.
Wyatt hatte Esterra die Waffe abgenommen und wickelte ihm jetzt ein Stück Tuch um die beiden Wunden.
Ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben, ritt der Mann neben den beiden.
In Harrisburg lieferte Wyatt Esterra beim Sheriff ab. Er ließ den Doktor holen und bezahlte die Behandlung, die der an Esterra vornehmen mußte.
Wyatt ritt mit Donegan weiter.
Wer jetzt so auf sein hartes verschlossenes Gesicht blickte, hätte nicht ahnen können, was hinter der Stirn des Marshals vorging. Wer hätte wohl daran gedacht, daß seine Gedanken jetzt bei den Banditen waren, die er unten vor der Grenze von den Pferden schießen mußte, weil sie ihn töten wollten. Dann wanderten seine Gedanken zu Ringo Martinez. Auch der hatte ihn töten wollen.
Und er, der Marshal Wyatt Earp, mußte töten, um sein Leben zu retten.
Und er haßte das Töten. Mehr als sonst etwas auf der Welt. Er würde es sein Leben lang hassen. Deshalb haßte er auch Jack Donegan. Ein Mensch, der ohne Not und Gefahr fürs eigene Leben einen anderen tötete, war das niedrigste Geschöpf in seinen Augen.
Mitten in der Nacht überschritten sie die Grenze von Wyoming. Und noch hatten sie über dreihundert Meilen vor sich.
Im eintönigen stumpfen Trott vergingen die Tage. Die beiden Männer sprachen kaum noch ein Wort miteinander. In stummer Verbissenheit hielten sie nebeneinander, kämpften weiter gegen Müdigkeit, Nachtkälte, Gliederschmerzen, Durst und Hunger. Sie ritten nach Sheridan. Der eisenharte Marshal Wyatt Earp und der Mörder Jack Donegan.
Würden sie je ihr Ziel erreichen?
Manchmal zweifelte der Marshal selber daran. Er kannte die Gegend hier streckenweise von seiner Jagd auf Silk Cassedy. Sechzig Meilen südlich von der Stadt Douglas ritt er an den Osthängen der Laramie-Mountains entlang.
Vor ihnen lag der endlose Weg nach Sheridan.
Wyatt glaubte, mit Esterra das letzte Hindernis auf seinem Ritt aus dem Weg geräumt zu haben. Er irrte sich. Das größte lag noch vor ihm.
Genauer gesagt: Vier Meilen vor ihm. Oberhalb der Bergstraße. Es lag ausgestreckt auf dem steinigen Boden und hatte schlohweißes Haar und ein bronzebraunes Ledergesicht, das von tausend Falten zerschnitten war. Die Augen waren von einem tiefen Braun und erinnerten an den Blick eines Falken. Hinten im Haar steckte eine einzige flammendrote Feder.
Der Mann blickte auf die Straße hinunter und musterte mit seinen scharfen Augen die beiden Reiter, die in der Ferne auf die Bastionen der hier in der Nähe des Laramie River fast zweitausend Yards hohen Felsen zuhielten.
Der Mann zog sich zurück und erhob sich. Er war von riesiger Gestalt, hatte ausladende, breite Schultern und schmale Hüften. Sein herkulisch gebauter Körper war ganz in helles Rehleder gekleidet. Im Waffengurt trug er ein Messer und einen schweren 45er Colt. Seine braunen Hände waren groß wie Teller.
Das Gesicht des Mannes glich einer Maske. Der indianische Schnitt war rein und rassig. Ein hartes, kampfgewohntes, wildes und doch eisern beherrschtes Gesicht. Jeder Indianer von Montana bis hinunter nach Arizona kannte dieses Gesicht. Es gehörte dem fast schon sagenhaften Sioux-Häuptling Rote Wolke.
Er sollte längst tot sein. In den Forts war schon dreimal seine Leiche abgegeben worden. Einmal in Fort Rimpa oben in Wyoming, einmal in Fort Zuc in Colorado und einmal gar in der Stadt Cheyenne. Es war immer die Leiche eines alten ehrwürdigen Indianergreises. Aber niemals die des Häuptlings. Er lebte immer noch. Er, der wildeste und härteste Rote, den es je in den Staaten gegeben hatte. Und soeben bereitete das Schicksal die historische Begegnung zwischen ihm und dem dereinst auch einmal so berühmten Wyatt Earp.
Eine Begegnung, an die jeder der beiden später nur mit Grausen dachte. Zwei Titanen dieser wilden, harten und grausamen Zeit gerieten aneinander. An einem Juniabend des Jahres 1874.
Wenn Watt Earp später darüber berichtete, dann erzählte er zunächst immer, daß er das ganze heute noch nicht